CDU-Politiker Stahlknecht

"Wir brauchen ein neues Zuwanderungsgesetz"

Holger Stahlknecht (CDU), Innenminister Sachsen-Anhalts, am 25.07.2015 in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halberstadt. Eine provisorisch Zeltstadt auf dem Gelände der Einrichtung soll die Aufnahmekapazität deutlich erhöhen.
Holger Stahlknecht, Innenminister Sachsen-Anhalts, vor einer provisorischen Zeltstadt in der überfüllten Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halberstadt. © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Holger Stahlknecht im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 05.08.2015
Deutschland brauche ein "modernes und neues Zuwanderungsgesetz", sagt Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen müsse man den Bürgern erklären, dass Migration viele Vorteile bringe.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hat sich für ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen. Aus seiner Sicht brauche Deutschland ein "modernes und neues Zuwanderungsgesetz", sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Man müsse im Dialog mit den Bürgern deutlicher herausarbeiten, dass Deutschland seit Jahren ein Einwanderungsland sei und auch, "dass wir das wesentlich zu spät erkannt haben und auch wesentlich zu spät öffentlich kommuniziert haben", so Stahlknecht.
Der Innenminister Sachsen-Anhalts betonte, man müsse die Menschen, die nach Deutschland kommen, menschenwürdig aufnehmen, "unabhängig davon, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder nicht". Deutschland habe die Möglichkeiten dafür: "Wir sind ein gut aufgestelltes Land, diesen Menschen zumindest vorübergehend eine vernünftige Unterkunft zu geben." Allerdings müsse man auch deutlich machen, dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive hätten oder sich nicht integrieren wollten, Deutschland auch wieder verlassen müssten. "Auch das gehört dazu."
Stahlknecht räumte gleichzeitig ein, er könne die Sorgen mancher Bürger verstehen, "weil wir auch Regionen haben, wo der Anteil, sag ich mal, ausländischer Bürgerinnen und Bürger sehr gering ist. Da bestehen Vorurteile, die kann man ausräumen, das kann man besprechen." Kein Verständnis habe er jedoch dafür, wenn jemand dagegen sei, dass Menschen, wenn auch nur kurzfristig, bei uns lebten.

Stahlknecht besucht einem Infoabend in Quedlinburg über Asylbewerber in Halberstadt. Wir berichten darüber am Donnerstag (6.8.) gegen 7.40 Uhr in "Studio 9".

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Im schönen Quedlinburg im Harz passiert heute das, was derzeit an vielen Orten passiert in Deutschland – Bürger versammeln sich, weil sie Sorgen haben, Fragen vielleicht auch, Vorurteile und Ressentiments, dann, wenn in ihrem Ort eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll oder noch mal vergrößert wird. In Quedlinburg ist es eine alte Schule, die für 200 Asylbewerber umgebaut wird, um die Erstaufnahmekapazitäten des Landes Sachsen-Anhalt zu erhöhen. Heute Abend ist die Bürgerversammlung und sich den Bürgern stellen wird dort der Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, der CDU-Politiker Holger Stahlknecht, und er ist jetzt hier zu Gast in "Studio 9". Guten Morgen, Herr Stahlknecht!
Holger Stahlknecht: Guten Morgen!
Frenzel: Mit welchen Erwartungen fahren Sie heute nach Quedlinburg?
Stahlknecht: Auf der einen Seite, dass man die Bürgerinnen und Bürger überzeugt, dass wir diejenigen, die zu uns kommen, menschenwürdig aufnehmen muss, unabhängig davon, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder nicht, das ist die eine Seite. Aber auf der anderen Seite schwingt natürlich auch, und da bin ich ganz ehrlich, immer eine gewisse Anspannung mit, weil immer die Gefahr besteht, dass Rechtsextreme solche Veranstaltungen als ihre Bühne mitbenutzen oder auf der anderen Seite man auch mit dumpfem Ressentiment konfrontiert wird.
"Ich kann Sorgen der Menschen schon verstehen"
Frenzel: Können Sie es verstehen, wenn Bürger dagegen sind, dass Flüchtlinge in ihre Nachbarschaft kommen?
Stahlknecht: Ich kann Sorgen der Menschen schon verstehen, weil nehmen wir mal auch unser Bundesland, weil das gilt für die gesamte Bundesrepublik, wir auch Regionen haben, wo der Anteil, sage ich mal, ausländischer Bürgerinnen und Bürger sehr gering ist, da bestehen Vorurteile, die kann man ausräumen, das kann man besprechen. Aber dass man dagegen ist, dass Menschen bei uns zumindest, auch wenn nur kurzfristig, leben, dass sie dagegen sind, dafür habe ich allerdings kein Verständnis.
Frenzel: Wenn Sie diese Sorgen präsentiert bekommen, die Sie da gerade dargestellt haben, die Sie für verständlich halten – was antworten Sie denn darauf?
Stahlknecht: Auf der einen Seite muss man, glaube ich, grundsätzlich wesentlich deutlicher herausarbeiten, dass Deutschland seit Jahren ein Einwanderungsland ist, dass wir das wesentlich zu spät erkannt haben und auch wesentlich zu spät öffentlich kommuniziert haben, dass man den Menschen sagt, dass 16 Prozent aller Deutschen einen Migrationshintergrund haben, dass Vielfalt auch eine Chance ist, dass man den Menschen sagt, wir werden weniger, wir haben einen Arbeitskräftemangel bekommen, wir brauchen also Bürgerinnen und Bürger, die bei uns leben, die auch hier arbeiten können, dass man darauf eingeht, dass wir aus meiner Sicht ein modernes und neues Zuwanderungsgesetz brauchen. Aber eben auch deutlich macht, dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, dass diejenigen, die sich nicht integrieren wollen, Deutschland auch wieder zu verlassen haben, auch das gehört dazu.
Frenzel: Und wenn da einer sagt in so einer Versammlung, wir haben die Grenze erreicht, wir können nicht mehr aufnehmen, was sagen Sie dann?
Stahlknecht: Da würde ich immer auf die Weihnachtsgeschichte zunächst verweisen, die ja für uns einen großen kulturellen Hintergrund hat: Maria und Josef sind ja bekannterweise dann auch in einem Stall untergekommen, wo Großes passiert ist. Insofern muss man den Menschen sagen, dass das eine ähnliche Situation ist, dass diejenigen, die zu uns kommen, unabhängig davon, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder nicht, untergebracht werden müssen. Und da hat Deutschland auch die Möglichkeiten, wir sind ein gut aufgestelltes Land, diesen Menschen zumindest vorübergehend eine vernünftige Unterkunft zu geben.
Stahlknecht: Übergriffe auf Flüchtlinge nicht nur im Osten
Frenzel: Das heißt, Sie als der verantwortliche Minister in Sachsen-Anhalt sagen, es gibt keinen Punkt, an dem auch Sie sagen würden, es geht nicht mehr, wir können nicht mehr aufnehmen?
Stahlknecht: Nein, ich denke, das wird so nicht funktionieren, weil die Menschen zu uns kommen, sie sind in Deutschland da, und niemand kann sich dann hinstellen – stellen Sie sich vor, alle 16 Bundesländer würden gleichzeitig sagen, wir können keinen mehr aufnehmen, dann stehen die Menschen, die zu uns kommen, und selbst wenn sie ohne Bleibeperspektive kommen, auf der Straße, das ist nicht begründbar.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, dass es in Ostdeutschland schwieriger ist, schwieriger als im Westen, den Menschen zu vermitteln, warum wir Flüchtlinge aufnehmen müssen?
Stahlknecht: Ich halte das ein Stück weit für ein Vorurteil. Ich glaube nicht, dass das hier schwieriger ist, das ist regional abhängig. Und auch wenn man mal die Übergriffe auf Asylunterkünfte sieht, das ist ja kein spezifisch ostdeutsches Problem, das ist in den anderen Bundesländern genauso passiert, und ich halte das für kein spezifisch ostdeutsches Problem.
Frenzel: Haben Sie denn Angst – Sie haben es vorhin schon angedeutet –, dass da heute Abend nicht nur Bürger auftauchen können, sondern möglicherweise auch zugereiste Neonazis, andere, die da Stimmung machen wollen?
Stahlknecht: Die Sorge habe ich, weil meine Erfahrung über mehrere Jahre mir gezeigt hat, dass insbesondere, wenn solche Veranstaltungen in einem medialen Fokus stehen, dass die Rechtsextremen, die ja sonst keine Medien bekommen, gerne das als ihre Bühne benutzen, aber das werden wir uns heute Abend in Ruhe angucken, und dann lassen wir uns auch nicht durch solche aus der Ruhe bringen.
Frenzel: Heute Abend wird er sich also den Bürgern stellen in Quedlinburg, Holger Stahlknecht, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Stahlknecht: Ja, angenehmen Tag Ihnen noch! Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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