CDU-Parteitag

"Es gibt nur eine richtige oder falsche Flüchtlingspolitik"

Armin Laschet, Bundesvize und NRW-Landeschef der CDU
Armin Laschet ist CDU-Bundesvize und Landeschef der CDU in Nordrhein-Westfalen © dpa / Maja Hitij
Armin Laschet im Gespräch mit Dieter Kassel |
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet erwartet vom heute beginnenden CDU-Parteitag in Karlsruhe eine "offene Diskussion" über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Doch an deren Grundausrichtung gebe es "kein Rütteln".
Laschet zeigte sich überzeugt, dass es in Karlsruhe "kritische Stimmen" geben werde. Er selbst wünsche sie sich auch. Doch in der Flüchtlingspolitik könne man nur sagen: "Entweder die Politik der Bundesregierung ist richtig oder sie ist falsch. Es gibt keinen Mittelweg." Die Ausrichtung laute, dass das Problem national nicht zu lösen sei, sondern einen größeren europäischen Blick, europäische Verteilschlüssel, Hilfe für die Herkunftsländer sowie den Schutz der Außengrenzen erfordere - "alles das, was die Bundeskanzlerin seit Wochen macht".
Der Streit um Obergrenzen war Wortakrobatik
Wahr sei aber auch, dass Deutschland nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen könne. Das werde das Land überfordern. So stehe es nun auch im Text zum Parteitag. Dies sei keine "Wortakrobatik", so Laschet:
"Wortakrobatik war für mich der Streit um Obergrenzen, Reisezentren, Transitzonen - alles das, was wir uns in den letzten Wochen erlaubt haben, weil es nicht an der Lösung der Sache orientiert war."
Zu einer Emnid-Umfrage, wonach 62 Prozent der Deutschen für Obergrenzen sei, sagte der CDU-Parteivize: "Eine Volkspartei wie die CDU muss das Richtige tun." Zugleich verwies er auf das ZDF-Politbarometer: "Wenn in dieser kritischen Phase 39 Prozent der Deutschen sagen, sie würden CDU wählen, ist das ein sehr hoher Wert." Nach Überzeugung Laschets wird die Bundeskanzlerin den Parteitag ohne Gesichtsverlust verlassen - "weil ich glaube, dass die große Mehrheit den Kurs der Bundesregierung stützt".

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der ursprüngliche Entwurf eines Leitantrags für den CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe, der schon am Donnerstagabend bekannt wurde, der hat die parteiinternen Kritiker von Angela Merkels Flüchtlingspolitik erst recht auf die Palme gebracht. Darunter die Junge Union, die Mittelstandsvereinigung, einzelne Landeschefs, Kommunalpolitiker, die alle fanden, ihre Kritik an dieser Flüchtlingspolitik sei in diesem Entwurf völlig ignoriert worden. Deshalb hat der Vorstand der CDU gestern dann am späten Nachmittag einen neuen Leitantrag präsentiert, der an einigen Stellen entscheidend umformuliert wurde. Und ob das die Kritiker nun wirklich beruhigen wird, darüber wollen wir jetzt mit Armin Laschet reden, CDU-Vizevorsitzender und ehemaliger Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Laschet!
Armin Laschet: Guten Morgen!
Kassel: Ich will mal den Satz – da werden wir uns, glaube ich, drauf einigen können –, der der entscheidende ist, der verändert wurde, den will ich mal zitieren. Der lautet nämlich: "Wir sind entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern. Denn ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und Gesellschaft auch in einem Land wie Deutschland auf Dauer überfordern." – Zitat Ende. Sie, Herr Laschet, haben im Zusammenhang mit diesen Diskussionen – schon am Freitag, glaube ich, war es – von Wortakrobatik gesprochen. Ist das jetzt nicht auch bloß Wortakrobatik?
Laschet: Also, Wortakrobatik war für mich der Streit um Obergrenzen, Reisezentren, Transitzonen, alles das, was wir uns da in den letzten Wochen erlaubt haben, weil es nicht an der Lösung der Sache orientiert war. Sie können in der Flüchtlingspolitik nur sagen: Entweder die Politik der Bundesregierung ist richtig oder sie ist falsch. Es gibt keinen Mittelweg, man kann nicht mit Formelkompromissen an einer Grundausrichtung etwas ändern.
Wir brauchen einen größeren europäischen Blick
Denn die Ausrichtung lautet: National werden wir das Problem nicht lösen können, wir werden es in Salzburg an der Grenze nicht mit Polizei lösen können, sondern wir brauchen einen größeren europäischen Blick, europäische Verteilschlüssel, Hilfe im Herkunftsland, Schutz der Außengrenze, alles das, was die Bundeskanzlerin seit Wochen macht. Und dann kann man natürlich einen Satz hineinschreiben, in dem man sagt, ja, eine Obergrenze hat ein Grundrecht nicht, aber wahr ist auch, wir können nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen. Das wird auch Deutschland irgendwann überfordern. Und dieser Satz findet sich jetzt in dem Text, so wie Sie ihn gerade zitiert haben, wieder.
Kassel: Aber Herr Laschet, wenn Sie sagen, es gibt da gar keinen Kompromiss, man kann nur sagen, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ist richtig oder falsch, dann können ja die Kritiker auch mit diesem neuen Text gar nicht einverstanden sein!
Laschet: Ja, das müssen Sie die Kritiker fragen. Ich habe seit Wochen dafür geworben, den Menschen ehrlich zu sagen, was ist möglich und was ist nicht möglich. Und manche haben da diese Wortakrobatik betrieben, von Obergrenzen geredet, die man dann auf Parteitagen beschließt. Aber ich habe immer gesagt, okay, wenn die Obergrenze 400.000 ist, was machen wir, wenn der 400.001. an der Grenze steht und Asyl beantragt? Dann sagt unser Grundgesetz: Diesen Antrag muss man prüfen.
Und insofern ist die Debatte über etwas so Statisches wie eine Obergrenze keine, die wirklich in der Sache dient. Und deshalb konnte man da auch jetzt nicht mit Begriffen Kompromisse machen. Dass wir Grenzen der Belastbarkeit haben, das ist ja klar, wenn morgen 10 oder 20 oder 30 Millionen kommen, wird Deutschland das natürlich nicht stemmen können. Aber in der jetzigen Phase ist die Politik, darauf zu setzen, eine gesamteuropäische Lösung zu erreichen, die einzig Erfolg versprechende.
Die Flüchtlingszahlen gehen langsam zurück
Kassel: Aber was ist denn, wenn zehn Millionen kommen und alle einen Antrag stellen wollen?
Laschet: Ja, aber sie kommen nicht. Sie kommen ja derzeit nicht. Ich bin dafür, wenn eine Situation da ist, dass man sie dann entscheidet. Die Flüchtlingszahlen gehen seit einigen Wochen vorsichtig, langsam, das ist vielleicht noch kein Trend, aber sie gehen zurück. Und das hat sicher auch den Grund, dass deutlich wird, wir – ich war vor zwei Wochen in dem Flüchtlingslager in Jordanien –, die Hilfe ist international wieder aufgestockt worden, die Menschen sehen heute, sie können auch dort bleiben. Wir hoffen, dass der syrische Bürgerkrieg zu Ende geht ...
Kassel: Na gut, seien Sie mir nicht böse, Herr Laschet, hoffen tun wir das alle! Aber er tobt jetzt seit Jahren, niemand hat eine Lösung, niemand hat nach der Lösung eine Exitstrategie, niemand weiß, wer in dem Land in Zukunft regieren soll, eigentlich weiß niemand, welche Grenzen dieses Land in Zukunft haben soll. Das ist ja doch dann wirklich das Prinzip Hoffnung!
Laschet: Ja, aber seit vier Jahren ist nichts passiert. Jetzt endlich steht die internationale Gemeinschaft – vielleicht auch aufgerüttelt durch diese Ereignisse – endlich zusammen. Ich habe seit Jahren dafür geworben, Russland einzubeziehen. Man wird einen solchen Konflikt nicht ohne Russland lösen können. Und wenn jetzt Russland, die USA, der Iran, Saudi-Arabien ernsthaft willens ist, die größte Gefahr für den Weltfrieden, den IS, zu bekämpfen, dann kann das auch relativ schnell gelingen.
Aber mein Satz war ja nur daran anknüpfend: Die Flüchtlinge, die da in Jordanien sind, wollen in der Nähe zur syrischen Grenze sein, die wollen so schnell wie möglich, so schnell es geht, wann auch immer, zurück in ihre Heimat, und nicht diesen risikoreichen, lebensgefährlichen Weg über die See gehen. Und wenn man die Bedingungen da verbessert, dann hat das schon Auswirkungen, auch auf unsere Dörfer und Städte hier in Deutschland.
39 Prozent für die CDU sind ein hoher Wert
Kassel: Sie haben vorhin gesagt, man kann die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel richtig oder falsch finden, nichts dazwischen. Dazu gibt es zwei interessante Umfrageergebnisse: Laut einer Emnid-Umfrage sind 62 Prozent der Deutschen für Obergrenzen, laut ZDF-Politbarometer sagen inzwischen 49 Prozent, Angela Merkel mache in der Flüchtlingskrise nicht alles richtig, nur noch 47 sagen, sie tut es. Kann eine Volkspartei wie die CDU so was einfach ignorieren?
Laschet: Eine Volkspartei wie die CDU muss das Richtige tun. Und wenn Sie Politbarometer zitieren, liegt Angela ... liegt die CDU bei 39 Prozent. Ich glaube nicht immer an diese Umfragen. Aber das wissen Sie ja auch, es kommt darauf an, wie stellt man die Frage. Wenn in dieser kritischen Phase 39 Prozent der Deutschen sagen, sie würden CDU wählen, ist das ein sehr hoher Wert. Und dass wir nicht ständig knapp an der Grenze zur absoluten Mehrheit liegen können wie bei der Bundestagswahl, ist in solchen schwierigen Zeiten verständlich.
Die Diskussion geht doch durch jede Familie, jeden Verein, überall wird doch über dieses Thema diskutiert. Ich wette übrigens, auch an der SPD-Basis wird über dieses Thema diskutiert. Aber man muss dann eine Vorstellung haben, wie löse ich es, und für diese Idee werben und den Weg gehen. Und da darf man dann nicht lavieren, sondern muss die Idee, die man hat, um das Problem zu lösen, auch durchsetzen.
Merkel ohne Gesichtsverlust
Kassel: Es wird doch sicherlich auf diesem Parteitag trotz des neuen Leitantrags Diskussionen geben über die Flüchtlingspolitik. Ist ja eine demokratische Partei! Wird Angela Merkel diesen Parteitag ohne Gesichtsverlust überleben können?
Laschet: Ich bin sicher, weil ich glaube, dass die große Mehrheit den Kurs der Bundesregierung stützt. Das ist ja nicht nur Angela Merkel, es ist eine Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD, auch wenn man das manchmal nicht glauben mag! Es ist nicht eine einzige Person, die im Moment Politik macht. Aber ich glaube auch, dass es kritische Stimmen geben wird, und das erwünsche ich mir auch, dass wir wirklich eine offene Diskussion haben. Aber an der Grundausrichtung – das ist gestern deutlich geworden –, da gibt es kein Rütteln.
Kassel: Herzlichen Dank! Der CDU-Vizevorsitzende Armin Laschet über unterschiedliche Auffassungen seiner Partei zur Flüchtlingspolitik und deren voraussichtliche Auswirkungen auf den heutigen Parteitag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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