CDU auf der Suche

Von Michael Groth |
Wer Konkretes erwartete von diesem Kongress der CDU, der war auf der falschen Veranstaltung. Das war schon vorher klar. Man weiß offenkundig, was man nicht weiß in der Volkspartei. Einige Beispiele müssen genügen, den heute ausgestellten Wissensdrang zu dokumentieren: ganz vorn, Leitfrage eins, wie steht es um die eigene Identität als Christliche Demokraten?
Von der freien Entfaltung der Person und den Zusammenhalt der Gesellschaft über die demographische Entwicklung, die soziale Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt bis zur Bewahrung der Schöpfung: Fragen über Fragen im Betonbau am Alexanderplatz.

Auch wenn Antworten bewusst nicht gegeben wurden: zumindest Andeutungen wären wichtig, wo denn die Vorsitzende steht in diesem Universum, das die CDU gerade neu erfindet. Die Vorsitzende aber bleibt gewohnt zurückhaltend.
Gerade Angela Merkel aber schadet es, wenn Parteihierarchen versuchen, die Orientierungssuche öffentlich fest zu legen – wie Jürgen Rüttgers dies versuchte mit seinem Wort der Lebenslüge, gemünzt auf einen von ihm nicht wahrgenommenen Zusammenhang von niedrigeren Steuern und vermehrter Beschäftigung.

Vielleicht wies die Chefin ihren stellvertretenden Parteivorsitzenden deshalb deutlicher zurecht, als man dies von ihr kennt. Der Rückendeckung des Präsidiums – minus Rüttgers- konnte sie sich sicher sein. Am grundsätzlichen Dilemma der Union ändert das indes nichts. Wer sein neues Programm unter das Motto "Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit" stellt, der muss sich nach Rang und Reihenfolge fragen lassen. Frau Merkel bekräftigt, auch heute wieder, zwischen den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gebe es für sie und die Partei kein Schwergewicht. Zugleich macht sie klar, dass Freiheit als Voraussetzung dient für die Ausfüllung der anderen Gebote, die sie gern durch den Begriff "Verantwortung" ergänzt.

Werden jene, die sich zuerst und vor allem auf "Freiheit" berufen, zu ihren Schwüren stehen, die soziale Marktwirtschaft und die in ihr verankerte Solidarität nicht über Bord zu werfen? Das fragen sich Rüttgers und die Sozialausschüsse der Partei, und nicht nur sie. Das fragen sich vor allem die Wähler, die den vor der jüngsten Bundestagswahl drohenden schwarz-gelben Marktradikalen eine klare Absage erteilten. Das alles weiß auch die Vorsitzende. Angela Merkel will die Lücke zwischen – zumindest partei-intern- konservativen Ansprüchen und sozialdemokratisch geprägtem Regieren in der großen Koalition schließen.

Mit Appellen die Würde des Einzelnen zu achten und das christliche Menschenbild zu bewahren, ist dies nicht getan. Denn die Basis bleibt die Basis. Die CDU-Mitglieder würdigen die Programmdebatte, die sich bis in den Sommer kommenden Jahres erstrecken wird. Sie würden sie bejubeln, wäre sie verbunden mit Vorgaben, vielleicht sogar kämpferischen. Frau Merkels Bemerkung, die Partei müsse Gruppen gewinnen, die es vor zehn oder zwanzig Jahren noch gar nicht gab, ist zwar richtig – nach dem Geschmack der Basis ist sie genau so wenig wie ein Generalsekretär, der an einen Weichspüler erinnert.