Causa Böhmermann

Die Schmähkritik im Ganzen

Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann
Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann © imago stock & people
12.04.2016
Alle Welt diskutiert über einen Text - den kaum jemand im Ganzen kennt. Daher dokumentieren wir die "Schmähkritik" von Jan Böhmermann und den Kontext der Sendung in Form einer Abschrift.

Tradition der Schmähkritik - Kunst oder Knast? Zwischen diesen Extremen schwankt die Diskussion zum Fall Böhmermann. Der Schriftsteller Florian Werner sagt: Kunst. Ihm zufolge steht Böhmermann mit seiner Erdogan-Schmähkritik in der Tradition von Shakespeare und Martin Luther: "Ich bin mir sicher, dass Böhmermann sich dieser Traditionslinien auch in gewisser Weise bewusst ist. Sein ganzer Text, der funktioniert ja wirklich auch nur darüber, dass die Bilder, die er verwendet, so drastisch und schlecht und wirklich krude sind." Zugleich äußerte Werner deutliche Kritik an Böhmermann: "Was mich wirklich geärgert hat, ist, dass die Bilder, die er teilweise verwendet, doch aus der Mottenkiste der rassistischen Klischees über Türken, über türkischstämmige Menschen stammen." Das Interview mit Werner im Wortlaut

Die Abschrift der Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31.3.:

Jan Böhmermann: Meine Damen und Herren, willkommen in Deutschlands Quatschsendung Nummer eins! Wir sinds. Wir haben mit Satire nichts am Hut.
Ralf Kabelka: Überhaupt nicht!
Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei "Extra 3" da gemacht haben, diese dicken Bretter, die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.
Kabelka: Schaffen wir nicht!
Böhmermann: Und ich sage: Hut ab! Große Nummer!
Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die "heute-show", wie gut die ist!
Böhmermann: Die "heute-show", die finde ich richtig gut. Wenn ich in der Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind von der "heute-show", oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli! (Kusshand) Liebe Grüße! Riesenfan! Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen.
Und Satire: "Extra 3" hat in dieser Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst - dafür erst mal einen großen Applaus! Ja! Mit 'ner Supernummer. Und das muss man vielleicht mal ... Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder Quatschsendung, also wahrscheinlich auch diese. Vielleicht, liebe Türken, wenn Sie das jetzt - (Sirenengeräusch) - wenn Sie das jetzt sehen: Vielleicht müssen wir ihnen da ganz kurz was erklären: Was die Kollegen von "Extra 3" da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan - das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit...
Kabelka: Artikel 5!
Böhmermann: Was?
Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.
Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung: Das darf man hier. Da können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen oder das muss irgendwie gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist - von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen, glaub ich, mich erschießen lassen wollte, glaube ich, wegen dieses komischen Songs, den wir gemacht haben. Und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden! Je suis "Extra 3".
Kabelka: Sehr gut.
Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit – das eine ist Satire und Kunst und Spaß - das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?
Kabelka: Schmähkritik.
Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist Schmähkritik?
Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.
Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?
Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.
Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?
Kabelka: Das kann bestraft werden.
Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht werden - aber erst hinterher, nicht vorher?
Kabelka: Erst hinterher.
Böhmermann: Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz.
Kabelka: Ja, mach doch mal.
Böhmermann: Ich hab ein Gedicht, das heißt "Schmähkritik". Können wir vielleicht dazu eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song haben? Und können wir vielleicht ganz kurz nur die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? Sehr gut.
Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?
Kabelka: Darf man NICHT machen.
Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das wäre in Deutschland verboten.
Kabelka: Bin der Auffassung: das nicht.
Böhmermann: Okay. Das Gedicht heißt "Schmähkritik".
Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan, der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen schlägt
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken
und Minderheiten unterdrücken,
Böhmermann: Das wäre jetzt quasi 'ne Sache, die ...
Kabelka: Nee!
Kurden treten, Christen hauen
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heißts statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Böhmermann: (lacht über eine Keyboard-Arabeske der Band) Wie gesagt, das ist 'ne Sache, da muss man ...
Kabelka: Das darf man NICHT machen.
Böhmermann: Das darf man nicht machen.
Kabelka: Nicht "Präsident" sagen.
Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil -
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.
Böhmermann: Und das dürfte man in Deutschland ...
Kabelka: Unter aller Kajüte!
Publikum applaudiert
Böhmermann: Ganz kurz. Hey! Hey! Hey!
Kabelka (wütend): Nicht klatschen!
Böhmermann: Dankeschön. Also, das ist jetzt 'ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?
Kabelka: Unter Umständen nimmt man uns aus der Mediathek! Das kann jetzt rausgeschnitten werden.
Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er sich erst mal 'nen Anwalt suchen.
Kabelka: Ja, genau.
Böhmermann (blickt in die Kamera): Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren Scherzanwalt, Dr. Christian Witz in Berlin, ist ein ganz Toller.
Kabelka: Der berät auch den Berliner Bürgermeister.
Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister, unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz?
Kabelka: Der macht einfach alles.
Böhmermann: Darf der das denn eigentlich?
Kabelka: Der macht Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister
Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz! Nehmen Sie sich 'nen Anwalt, sagen Sie erst mal, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt - Schmähkritik - und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung. Dann wird wahrscheinlich die Sendung, die das gemacht hat oder der Sender wird dann sagen: Nö, das sehen wir anders, und dann geht man die Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren... Wichtig ist: Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet. Ganz wichtig, dass die Ausschnitte nicht...
Kabelka: Aber das macht doch keiner!
Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen.
Kabelka: Man hat's in der Mediathek, normalerweise.
Böhmermann: Warum soll mans dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?
Kabelka: Ich glaub schon.
Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig. Ich fand's auch echt schön als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, dass in dieser Woche so ein großer Konsens auf einmal herrschte nach Monaten des Streites, die Leute gegeneinander, die Gesellschaft gespalten, und in dieser Woche haben wir Deutschen endlich mal wieder mit einer Stimme gesprochen, wenn es gegen Despoten geht, die die Meinungsfreiheit auslegen, wie man nur Meinungsfreiheit auslegt, wenn man Despot oder Diktator ist. Erdogan oder auch in Europa gibt es Victor Orban, Beata Szydlo von der PIS-Partei, die Ministerpräsidentin von unserem tollen Nachbarland Polen, Marine Le Pen vom Front National, Pim Fortuyn aus Holland, HC Strache von der FPÖ. Auch so autoritäre Nationalisten, Frauke Petry natürlich. Alles Leute, wo man sich gewünscht hat, es müssten mehr Leute aufstehen. Wladimir Putin, Donald Trump könnte der nächste amerikanische Präsident werden. Ich finde es ganz toll, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind. Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.