Cat Power: "Wanderer"

Fest auf dem Boden ihrer Instabilität

Die US-amerikanische Singer-Songwriterin Chan Marshall alias Cat Power vor schwarzem Hintergrund
Die US-amerikanische Singer-Songwriterin Chan Marshall alias Cat Power © Eliot Lee Hazel
Von Elissa Hirsemann · 05.10.2018
Seit über 20 Jahren ist Cat Power im Musikgeschäft. Ihr eilt der Ruf voraus, eine Ausnahme-Erscheinung zu sein – wegen ihres Talents, menschliche Tragödien in Drei-Minuten-Songs einzufangen. Das neue Album "Wanderer" ist großartig, meint unsere Kritikerin.
Auf dem Album "Wanderer" von Cat Power, das heute erscheint, verarbeitet die 46-jährige Singer/Songwriterin einschneidende Erlebnisse in ihrem Leben, die in den vergangenen vier Jahren viel ins Rollen gebracht haben.
Zuerst ist die Geburt ihres Sohnes vor drei Jahren zu nennen. Sie hat von der Schwangerschaft erfahren, als sie sich gerade von dem Vater des Kindes getrennt hatte, und sie war in einer Phase, in der sie Songs für ihr neues Album schrieb. Also eigentlich ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für ein Kind, doch für Cat Power war die Geburt ihres Sohnes 2015 das größte Glück – auch künstlerisch, weil er ihr so etwas wie eine Struktur gibt.

Depression und Krankheit

Sie war in einer Art Teufelskreis gefangen. Alkohol und Depressionen spielten schon immer eine große Rolle bei ihr. Was sicher auch damit zusammen hängt, dass sie eine Autoimmunkrankheit hat, und zwar das hereditäre Angioödem, kurz HAE. Die Krankheit lässt Hände, Füße, das Gesicht, auch den Hals anschwellen und kann lebensbedrohlich sein, weil sie ersticken könnte. Lange wusste niemand, was das ist – jetzt ist es klar. Auch was es auslöst: Bei ihr sind es Stress-Situationen.
Dann ist ein sehr guter Freund von Cat Power an Krebs gestorben – ihm ist dieses Album "Wanderer" gewidmet. Und plötzlich fand sich die ohnehin labile Chan Marshall in einer Abwärtsspirale wieder, wo ein Negativerlebnis das nächste jagte.

Sie wollte keine Hits liefern müssen

Seit über 20 Jahren war sie beim US-amerikanischen Independent-Label Matador unter Vertrag gewesen. Bands wie Interpol sind dort, Sonic Youth war da – ein renommiertes Indie-Label, das allerdings auch Hits will. Diese Hits hat Cat Power auf ihrem letzten Album "Sun" geliefert, das sehr erfolgreich war.
Als Matador jetzt wieder Hits wollte, hat sie die Notbremse gezogen, weil ihr andere Themen wichtig sind: Dinge aus der Perspektive einer älteren Frau zu erzählen. Einer Frau, einer Künstlerin, einer Mutter, die in drei Jahren 50 wird. Man kann sich vorstellen, dass das für ein Label nicht nach Hits klingt, aber das ist halt gerade ihr Lebensgefühl. Da hat sie sich künstlerisch von ihrem Label gar nicht unterstützt gefühlt.
Sie hat das Label Matador verlassen und jetzt auf Domino Records dieses sehr zurückgenommene Singer/Songwriter-Album "Wanderer" herausgebracht, das nur spärlich instrumentiert und selbst produziert ist. Man hört mal ein Klavier, ihre Gitarre, mal eine Trompete.

Toxische Männlichkeit

Es geht um Themen wie die Familie, es geht ums Loslassen, ums Vergeben statt Vergessen, das Rast- und Ruhelose in ihrem Leben. Der Wanderer in ihr spielt eine Rolle. Freundschaften sind wichtig, die mit Lana del Rey zum Beispiel. Toxische Männlichkeit, die ganze Zivilisationen ins Verderben stürzen kann, wird besungen.
Sie covert einen Song von Rihanna, der ihr viel Kraft gegeben hat. Das zieht sich übrigens wie ein roter Faden durch das Album, dass sich Cat Power derzeit vor allem durch andere Frauen ermächtigt fühlt.
"Wanderer" von Cat Power ist keine Hit-Platte im Sinne von einem Top-Ten-Erfolg wie ihr Vorgängeralbum. Trotzdem ist es großartig, weil es die Tragödien dieser Frau universell macht. Es ist ein klassisches Folk/Singer/Songwriter Album, das den Blues hat. Man hört heraus, dass Cat Power mittlerweile mit beiden Beinen fest auf dem Boden ihrer eigenen Instabilität steht. Sie nimmt ihre Schwächen, ihre Probleme jetzt scheinbar mehr an und macht sie so zu ihren Stärken.
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