Castorfs "Zdeněk Adamec" in Wien

Viereinhalb Stunden Volksbühnen-Nostalgie

Von Bernhard Doppler · 18.09.2021
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Der 18-jährige Zdeněk Adamec übergoss sich im Jahr 2003 mit Benzin, zündete sich an und starb. Peter Handke erinnert in seinem Stück an den jungen Tschechen, der ein Zeichen gegen den Zustand der Welt setzen wollte. Eine typische Castorf-Inszenierung.
Was für einen großen Raum das Burgtheater nun Peter Handkes "Zdeněk Adamec. Eine Szene" widmet – vor allem verglichen mit der Uraufführung dieses Stücks am Salzburger Landestheater und der Aufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters im August beziehungsweise Oktober 2020.
Auf der Drehbühne zeigen sich in der Bühnenlandschaft von Alexandar Denić unter anderem: eine tschechische Busstation samt Imbiss, riesige Plakatwände, Elektromasten, rostige Fässer mit Benzin, eine alte Dusche im Freien hinter aufgeschichtetem Brennholz und schließlich für Live-Videoinnenaufnahmen ein schäbig eingerichtetes Holzhaus mit Küche, Klo und Stockbetten: das heimatliche Humpolec, die Kleinstadt in der Nähe von Prag, aus der Zdeněk Adamec stammt.

"Macht keinen Clown aus mir"

Am 6. März 2003 hatte Zdeněk Adamec sich mit Benzin übergossen und am Wenzelsplatz in Prag angezündet. Der 18-Jährige wollte ein Zeichen gegen den Zustand der Welt setzen, gegen den Primat des Geldes, gegen die Vernachlässigung der Ökologie, gegen die Kriege im Namen der Ölkrise.
"Liebe Bewohner der ganzen Welt", fängt sein Abschiedsbrief "Fackel 2003" an, den er im Internet veröffentlicht hat – und er endet mit der Bitte: "Macht keinen Clown aus mir."
"Fackel 2003" bezieht sich auf Jan Palachs "Fackel" und dessen Selbstverbrennung 1968 gegen den Einmarsch der Sowjetunion. Doch im Gegensatz zu Jan Palach, der als tschechischer Nationalheld verehrt wird, ist Zdeněk Adamecs Aktion, auch wenn er sogleich einige jugendliche Nachfolger gefunden hatte, wenig beachtet und bald verschwiegen worden.
Insofern haben ihm erst Peter Handke und nun das Burgtheater eine große Bühne gegeben, außerdem wurde zum ersten Mal auch sein Abschiedsbrief und nicht nur Handkes Text öffentlich vorgetragen.

Zufällige Begegnungen

Aber wer war Zdeněk Adamec überhaupt? Handkes Dramaturgie besteht darin, Personen, die sich zufällig begegnen (wie exemplarisch in seiner "Stunde, da sie nichts voneinander wussten") in einer Kneipe, auf dem Marktplatz, als Fahrgäste in einem Bus oder in der U-Bahn, ins Gespräch kommen zu lassen. In "Zdeněk Adamec" kommentieren sie auf den Bus wartend seine Selbstverbrennung, seine Herkunft, sie identifizieren sich mit oder distanzieren sich von ihm. In der Wiener Aufführung reden sich dabei die Darstellerinnen und Darsteller mit ihren realen Vornamen an.
Ein Mann mit nacktem Oberkörper blickt in den Spiegel, neben ihm sitzt ein Mann mit Scherenhänden, der ebenfalls in den Spiegel schaut.
Zum ersten Mal in einer Inszenierung des Handke-Stücks wurde auch der Abschiedsbrief von Zdeněk Adamec öffentlich vorgetragen.© Matthias Horn
Castorfs Inszenierung unterstreicht dabei aber vor allem, dass es neben dem Tod in Handkes "Szene" auch um Geburt und damit um Herkunft und Heimat geht, also um den "Ort, wo niemand war" (Ernst Bloch). Es ist bei Castorf, dem Bühnenbildner Alexandar Denić und wohl vor allem aber bei Handke selbst weniger das tschechische Humpolec, sondern das einst sozialistische Jugoslawien.
Handkes "Der Abschied des Träumers vom neunten Land", dem Land, dem Handke auch nach dem Jugoslawienkrieg treu bleiben wollte, ist in die Aufführung einmontiert. Die expressive Trash- und Splatter-Ästhetik oder Emir Kusturicas Filme kommen dabei Handkes Ästhetik überraschend nahe.

Schräger Pop gemischt mit Handkes Poesie

Zwar baut Castorf auch Schillers "Ästhetische Erziehung des Menschen" ein, aber die unzähligen sensiblen philologischen Verweise Handkes von Herakles bis Kafka irritieren hier nicht als altkluge Zitate. Zusätzlich kann man sich bei Castorf vor allem an schrägem Pop freuen oder dem Liedermacher Georg Schurli Danzer, etwa wenn dessen "Zehn kleine Fixer" vorgetragen werden.
Handkes Poesie gerät bei Castorf keineswegs unter die Räder, seine poetische Allegorie von der tschechischen Weberin, die am zerschlissenen slawischen Tuch immer wieder neu die Flicken verbessern will, beendet mit Bildern aus dem heutigen Humpolec sentimental "die Szene".
Das Ensemble steht frierend bei Regen um eine Tonne herum.
Großartige Leistung der sieben Schauspielerinnen und Schauspieler.© Matthias Horn
Im Zentrum der Aufführung stehen jedoch die sieben Schauspielerinnen und Schauspieler: Mehmet (Ateşçi), Marcel (Heuperman), Hanna (Hilsdorf), Mavie (Hörbiger), Franz (Pätzold), Marie-Luise (Stockinger)und Florian (Teichtmeister)! Mit großer Energie steigern sie sich viereinhalb Stunden in den Abend, heiser schreiend, Kinder gebärend, sich duschend oder mit Alkohol übergießend. Bewundernswert!
Ja, "Zdeněk Adamec" ist im Burgtheater nicht nur Nostalgie, weil er an Jugoslawien und die 80er erinnert, oder weil er an die vielen sehr aufwendigen Handke-Uraufführungen im Burgtheater unter Claus Peymann anschließt. Von der Premierenstimmung her fühlte man sich – trotz viereinhalb Stunden unter Maske – in Wien im vollen Burgtheaterhaus noch einmal an die großen Abende in Castorfs Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz versetzt.
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