Cashewnuss geknackt

Von Udo Pollmer |
Eine Nuss macht Karriere in der Chemieindustrie. Die Cashewnuss. Sie liefert einen Rohstoff, mit dem es möglich ist, umweltfreundliche Anstrichfarben für Schiffe herzustellen. Der Markt wächst schnell.
Müssen wir nun fürchten, dass die beliebten Cashewkerne knapp werden, weil damit Schiffsfarben hergestellt werden? Im Gegenteil. Es wird nicht die Nuss verwendet – obwohl sich auch aus ihr ein schmackhaftes Öl gewinnen lässt, das an Mandelöl erinnert, sondern die Schale. Denn die enthält das begehrte CSNL, das Cashew Nut Shell Liquid, eine rotbraune dickflüssige Mixtur, die mittlerweile zu einem wichtigen Grundstoff der chemischen Industrie avancierte. Die Marktentwicklung lässt erwarten, dass die Cashewkerne in absehbarer Zeit ein Abfallprodukt der Schalenölgewinnung werden könnten.
Wozu ist dieses Schalenöl gut? Dieses Öl besteht vor allem aus Anacardsäure, Cardanol und Cardol, also phenolischen Verbindungen, die sich ganz allgemein wie industriell hergestellte Phenole verhalten. Bei Schiffsanstrichen erlauben sie nicht nur den Verzicht auf Lösungsmittel, sondern ermöglichen es, auch Lacke herzustellen, die in der Kälte trocknen. Damit kann man jetzt das ganze Jahr über die Schiffsanstriche erneuern. Einen weiteren Kunststoff erhält man, wenn man Cashewschalenöl mit Rizinusöl reagieren lässt. Er wird zur Versiegelung von Parkettböden verwendet, weil die Lacke sofort trocknen und elastisch sind. Daneben sind sie auch noch vor Termiten geschützt. Inzwischen gibt es unzählige Anwendungen wie die Herstellung von Polyurethan-Kunststoffen, Laminaten, Zementen, Gummi, Schmiermitteln, Tensiden, Isolatoren. Im Grunde ist das nichts neues, denn das Öl wurde bereits 1920 zur Herstellung von Bremsbelägen genutzt. Daneben diente es als Konservierungsmittel. Aber erst jetzt wird sein Potential als Chemie-Rohstoff erkannt.
Wie darf ich mir die Gewinnung vorstellen? Da schauen wir uns am besten zunächst die Gewinnung der Nüsse an. Die Cashewnuss befindet sich am Ende, am Kelch des Cashewapfels, der allerdings von seiner Form her eher an eine Birne erinnert. Die Nussschale sitzt unten am "Apfel" als kleineres, steinhartes nierenförmiges Gebilde. Traditionell wird die Schale eingeweicht, um innen den Kern zu befeuchten, damit er später beim Knacken nicht so leicht bricht. Dann wird in einer offenen Pfanne geröstet. Dabei tritt das Öl in der Schale aus, entzündet sich, und wenn der dicke schwarze Rauch weniger wird, ist die Schale brüchig und die Nuss hat sich innen abgelöst. Dann werden die Nüsse Stück für Stück von Hand geknackt. Die Arbeiterinnen tragen dafür Handschuhe oder tauchen ihre Hände in Asche, um ihre Haut vor dem aggressiven Öl zu schützen. Die Asche wiederum stammt von den alten Schalen, die zum Befeuern der Röstanlagen eingesetzt werden.
Irgendwie klingt das komisch: Denn wenn das Öl in Flammen aufgeht, kann man daraus nichts mehr herstellen. Und aus diesem Grunde sucht man nach neuen Verfahren, um das Schalenöl zu gewinnen. Seit die Nachfrage da ist, setzt sich zunehmend das Hot-Oil-Verfahren durch: Dabei kommen die Nüsse in ein Bad von heißem Schalenöl. Bei einer Temperatur von 190° saugt sich die Schale nicht etwa voll, sondern im Gegenteil: Es tritt nun das in der Schale enthaltene Öl aus und kann abgezogen werden. Die Temperatur muss dabei genau kontrolliert werden, denn ab 200° polymerisiert das Öl und man erhält einen Kunststoff mit Nüssen drin. Der wertvolle Rohstoff hat mittlerweile dazu geführt, dass das CNSL großtechnisch mit überkritischem Kohlendioxid extrahiert werden soll.
Zurück zum Essen: Warum gibt es bei uns keine Cashewäpfel zu kaufen? Der Cashewapfel ist leichtverderblich, von seiner Konsistenz erinnert er eher an Erdbeeren. Deshalb wird er vor Ort als Obst gegessen oder zu Marmelade verarbeitet. Der Geschmack ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber die Fachwelt geht davon aus, dass das kommerzielle Potential des Cashewapfels deutlich höher ist als das der Nüsse. Er ließe zu beispielsweise zu (geschmackskorrigierten) Säften oder vergorenen Getränken verarbeiten. Aber bis wir derartige Produkte in den Supermarktregalen vorfinden, wird es noch ein paar Jahre dauern. Daneben liefert die Pflanze ein Baumharz, das ebenfalls bisher kaum genutzt wird: den Cashewgummi, der etwa vergleichbar dem Gummi arabicum ist.

Wir sehen: Die Nahrungs- und Rohstoffquellen der Menschheit sind noch lange nicht ausgeschöpft. Aber dazu braucht es Forschung. Und die scheitert in den Entwicklungsländern oft am Geld. Insbesondere wenn es um eine typische Arme-Leute-Pflanze geht wie den Cashewbaum.

Literatur:
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