Cartoon "#Antisemitismus für Anfänger"

Lachen auf stark vermintem Gebiet

07:02 Minuten
Zeichnung mit einer feinen Gesellschaft. Eine Frau fragt: "Ihr konvertiert zum Judentum? Warum?" Eine andere antwortet: "Wir wollten auch Teil dieser Weltverschwörung werden!"
Nicht nur in der Pandemie entwickeln sich viele Verschwörungstheorien. Die Verlegerin Myriam Halberstam wollte lieber lachen anstatt sich zu ärgern. So ist ihr Buch entstanden. © Ariella Verlag / Katharina Greve
Von Arkadiusz Luba · 30.10.2020
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Können Sie über Judenhass lachen? Darf man das? Mit dem Cartoon-Buch "#Antisemitismus für Anfänger" wagt der Ariella Verlag dieses Experiment. Das weckt Hoffnungen, denn der Verlag setzt darauf, die jüdische Kultur mit Spaß zu behandeln.
Ariella ist Hebräisch und ein symbolischer Name Jerusalems, der Löwin Gottes bedeutet. In der spätjüdischen Lehre steht Ariella für den Engel der Landtiere.
"Fängt mit A an. Das war perfekt, weil man möchte natürlich immer ganz am Anfang stehen. Und, ja, Ariella ist auch der zweite Name einer meiner Töchter", sagt Myriam Halberstam, die Verlegerin. Sie wollte ihren eigenen und anderen jüdischen Kindern in Deutschland etwas bieten, was es noch nicht gab.

Eine Sicht umkehren

"Wenn man sich kreativ damit beschäftigen kann, dann kommen schon sehr spannende Projekte zustande. So sind viele unserer Bücher entstanden – aus dem Willen, vielleicht einen neuen Weg zu gehen, jüdische Kultur zu machen."
Not macht erfinderisch. Durch die Pandemie entwickelten sich viele Verschwörungstheorien. Einige behaupteten sogar, die Juden seien an Corona schuld. Und das nur ein halbes Jahr nach dem Synagogenanschlag in Halle. Anstatt sich zu ärgern, wollte Halberstam lachen. So kam ihr die Idee zum Buch "#Antisemitismus für Anfänger".
"Das ist natürlich das Gute, wenn wir diese ganze Antisemitismusdebatte führen. Viele Leute wissen gar nicht, worum es eigentlich geht. Es ist ein kleiner, begrenzter Kreis, der eine gewisse Bildung hat, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Der latente Antisemitismus oder der ganz grobe Antisemitismus, das sind keine Sachen, die sich auf einer bewussten Ebene abspielen. Da sind Cartoons natürlich wirklich ganz toll, um Menschen zu erreichen, die man sonst mit einer intellektuellen Debatte nicht erreicht."
Zeichnung eines Interviews mit Passanten. Darunter die Textzeile: "Wieviel Prozent Antisemitismus halten Sie aktuell für vertretbar?"
Der Verlag Ariella möchte einen kulturellen Beitrag leisten, der nicht didaktisch ist, sondern einfach mit Spaß die jüdische Kultur behandelt.© Ariella Verlag / Dirk Meissner
Cartoons sind ein Medium, das sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts für die politische Zeitungskarikatur etablierte. Sie schaffen es, wie kaum eine andere Meinungs- oder Kunstform, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Sie sind zeitaktuell, höchst subjektiv, provokant, zielgruppenbewusst und überraschen mit einer Pointe.
So wurde der Cartoonist zum scharfen Kommentator gesellschaftlicher Probleme und aktueller politischer Ereignisse und Konflikte. Katharina Greve, Cartoonistin und Mitautorin des Buches:
"Es ist heikel, also es ist ein stark vermintes Gebiet. Es ist auch nicht unbedingt leicht, da ein Cartoon zu machen, der auf der einen Seite wirklich witzig ist und auf der anderen Seite das Diskriminierende nicht einfach platt benutzt. Ich finde, es funktioniert oft ganz gut, indem man eine Sicht einfach umkehrt."

Keine falschen Interpretationen anregen

In einem ihrer Cartoons im Buch beschließt ein Paar, zum Judentum zu konvertieren. Eine Bekannte fragt sie ganz entsetzt, warum sie das tue. Und die Ehefrau antwortet ganz begeistert, sie wollten auch Teil dieser Weltverschwörung werden.
Zeichnung einer Begegnung im Treppenhaus. Eine Frau zu ihrem Nachbarn: "Schalom, Herr Mandelbaum, ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich nicht glaube, dass die Juden hinter dem Virus stecken - diesmal waren es die Chinesen."
Mit dem Cartoon-Band "#Antisemitismus für Anfänger" wendet sich der Ariella-Verlag an ein breites Publikum.© Ariella Verlag / Miriam Wurster
"Das finde ich ganz schön", sagt Katharina Greve, "indem man dann einfach die Sichtweise umkehrt und das, was – sozusagen – an Verschwörungstheorie oder an großem Vorwurf dem Judentum entgegengebracht wird, einfach umzudrehen: 'Natürlich ist es supertoll; wenn es so eine Weltverschwörung gibt, die anscheinend nur Vorteile bringt, dann will ich doch auch mit dabei sein.' Bei Humor ist es so, dass der immer sehr stark kontextabhängig ist. Wenn ich also einen Witz mit einer gewissen Tendenz erzähle, ist das etwas anderes, als würde es ein Vorsitzender der AfD tun. Der Zuhörer muss in der Lage sein, das irgendwie zu verstehen und zu antizipieren."
Vorsichtig geht auch Matthias Kiefel, ein weiterer Cartoonist des Buches, mit seinen Zeichnungen um. Er wählte seine Cartoons sorgfältig aus, um keine falschen Interpretationen anzuregen.
"Antisemitismus ist ein Thema, das mit Beleidigung und Gewalt zu tun hat, was nicht komisch ist. Ich stelle mir immer vor, dass ein Cartoon nur da ankommt und nur so benutzt werden kann, dass er auch das Thema bedient und nicht von falscher Seite brauchbar ist. Das war das Ziel."

"Göttliche Aufheiterung" als Ursprung der Welt

Neben Greve und Kiefel zeichneten für das Buch "#Antisemitismus für Anfänger" unter anderem auch Sam Gross aus dem Magazin "The New Yorker", Til Mette aus dem "Stern" und der "DryBones"-Cartoonist Yaakov Kirschen. Alle Autoren und Autorinnen der Anthologie sind bedeutende Künstler, die mit Humor den Alltag kommentieren.
Humor ist die Waffe der Wehrlosen, wer sich physisch nicht wehren kann, dem bleibt der Verstand. "Von allen Lebewesen lacht allein der Mensch", sagt Aristoteles. In seinem Buch der "Rhetorik" überliefert der Philosoph einen Ratschlag des antiken Redners Gorgias: "Man müsse den Ernst der Gegner durch Lachen und ihr Lachen durch Ernst zunichtemachen". In der Kabbala ist der Ursprung der Welt eine große Erschütterung, die als "göttliche Aufheiterung" bezeichnet wird.

Vom Allmächtigen ausgelacht

"Wir haben einen Gott, der alles wissen soll, aber weiß nicht, wo die Menschen sich versteckt haben im Garten. So ein großer Gott und weiß auch nicht, ja?!", sagt Rabbiner Walter Rothschild, selbst ein Kabarettist und Dichter. Er sucht nach dem Komischen in den heiligen Schriften und Kommentaren:
"Es gibt mehrere Geschichten im Talmud, wo Gott lacht. Eine ist, wenn die Rabbiner miteinander streiten, ob ein Ofen koscher ist oder nicht. Eliyahu, der Prophet, ist später Gott begegnet: 'Hast du das gehört, diese Chuzpe?!' – 'Ja, ich habe so gelacht!' Haha-Komik ist das nicht, aber es ist lebendig. Wenn man von Gott sagen kann 'Es ist menschlich', ohne eine Häresie zu sagen, ja, dann ist es menschlich. Es ist etwas, zu dem man eine Beziehung haben kann. Man kann es lesen und denken, ja, ich kenne diese Gefühle."

Ausgezeichnet für Toleranz und Humor

Der Verlag setzt auch auf Gefühle. Ariella möchte einen kulturellen Beitrag leisten, der aber nicht didaktisch ist, sondern einfach mit Spaß die jüdische Kultur behandelt. Dafür wurde der Verlag auch ausgezeichnet. Florian Valerius, Buchhändler und Buchblogger sowie Jurymitglied des Deutschen Verlagspreises 2020:
"Der Ariella Verlag überzeugt mit einem ganz tollen jüdischen Literatursegment. Das hat mich fasziniert und auch den Rest der Jury, weil sich das Programm auch an Menschen mit anderem religiös-kulturellen Hintergrund wendet. Das öffnet einen interkulturellen Dialog. Und das ist in Zeiten wie heute wichtiger denn je - also noch ein Grund mehr, diesen tollen Verlag auszuzeichnen. ‚#Antisemitismus für Anfänger‘ zeigt, dass der Verlag mit Toleranz und Humor bei der Sache ist."
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