Carole Hooven: „T wie Testosteron."

Der hormongetriebene Mann

06:44 Minuten
Buchcover von Carole K. Hoovens "T wie Testosteron. Alles über das Hormon, das uns beherrscht, trennt und verbindet".
© Ullstein Verlag

Carole Hooven

Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel

T wie Testosteron. Alles über das Hormon, das uns beherrscht, trennt und verbindetUllstein, Berlin 2022

480 Seiten

19,99 Euro

Von Volkart Wildermuth |
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Die Evolutionsbiologin Carole Hooven beschäftigt sich mit dem Hormon Testosteron und dessen außerordentlicher Macht, die es auf Männer und Frauen hat. Doch sie bleibt streckenweise hinter dem Stand der Forschung zurück.
Als junge Forscherin stellte sich Carole Hooven jeden Tag bei Morgengrauen unter den Schlafbaum einer Schimpansengruppe und sammelte den herabtropfenden Urin. Ab und zu bekam sie selbst etwas ab, aber das war egal, es ging ja um die Forschung. Genauer um das Messen von Testosteron „oder T, wie Insider es nennen“. Alphamännchen Imoso hatte hohe Werte. Und als die Evolutionsbiologin Carole Hooven beobachtete, wie Imoso ein Weibchen mit einem Stock verprügelte, war für sie die Bedeutung von Testosteron offensichtlich.

„Der Penis ist im Wesentlichen eine riesige Klitoris“

Die Amerikanerin berichtet in ihrem Buch von Kastraten und röhrenden Hirschen. Und sie hat mit Transpersonen geredet, Diese Interviews gehören zu den Stärken des Buches. All das, um zu erklären, wie genau T funktioniert.
Jeder Mensch entwickelt sich erst einmal weiblich. Bei Y-Chromosomenträgern greift dann T ein. „Der Penis ist im Wesentlichen eine riesige Klitoris“, heißt es im Buch. Der Testosteronschub in der Pubertät sorge dann bei Jungen für einen größeren und kräftigeren Körper – im Durchschnitt. Natürlich gibt es auch Frauen, die größer und stärker sind als Männer. Das ist die organisatorische, die bleibende Wirkung von T, erklärt die Autorin.
Spätere Hormonschwankungen haben zwar einen Effekt, aber der ist eher gering: „T ist kein Zaubertrank, der Feiglinge zu Kriegern macht.“ Auch mit niedrigen Werten kann ein Mann Olympia gewinnen. Vor allem aber reagiert das Hormon auf soziale Umstände. „Die Aufgaben des Testosterons sind Koordination und Kommunikation“, fasst die Hormonexpertin zusammen. Überraschend, aber in der Forschung unstrittig.

Alte These in neuem Gewand

Ganz anders die folgenden Thesen von Carole Hooven: Testosteron lässt Jungs toben, Männer nach Sex ohne Verantwortung suchen und macht sie im Schnitt gewalttätiger als Frauen. Das klingt in ihrem Buch plausibel.

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Es gibt aber mindestens ebenso überzeugende Gegenargumente, etwa von Daphna Joel in „Das Gehirn hat kein Geschlecht“ oder von Cordelia Fine in „Testosteron Rex“. Gegen diese Autorinnen schreibt Carole Hooven explizit an. Aber weil sie sich so auf das Hormon T konzentriert, geraten ihr andere Aspekte aus dem Fokus.
So bestehen die meisten Gehirne aus einem Mosaik von männlich und weiblich geprägten Regionen. Und vielleicht hätten auch viele Frauen gerne unverbindlichen Sex, aber für sie birgt der One-Night-Stand reale Risiken, wie Schwangerschaft oder Gewalt.

"Testosteron verantwortungsvoll genießen"

Bei der Neigung zu körperlicher Gewalt sind die Belege für die T-These, der Carole Hooven folgt, in Bezug auf „Sexualität, Aggression und Dominanz“ am stärksten. Wobei auch sie betont, dass männliche Aggression vielleicht von T begünstigt wird, akzeptabel sei sie deshalb noch lange nicht. Ihr letzter Satz lautet. „Ein Mann zu werden, ist etwas Schönes. Aber wie jeder Mann, so sollte auch mein Sohn sein T verantwortungsbewusst genießen.“
Am Endes des Buches haben Leserinnen und Leser zwar viele spannende Informationen über Testosteron erfahren, aber sind damit nicht am Ende der Debatte um die Wirkung des Hormons angekommen. Die Studienlage ist nicht so eindeutig, wie sie Carole Hooven präsentiert. Vielleicht hätte die Evolutionsbiologin ein ganz anderes Buch geschrieben, wenn sie nicht in Uganda Urin von Schimpansen gesammelt hätte, sondern im Kongo den von Bonobos. Die haben eine von Frauen geführte Gesellschaft – trotz Testosteron.
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