Caritas-Verband fordert vielfältige Pflegemöglichkeiten

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Präsident des Deutschen Caritas-Verbandes, Monsignore Peter Neher, hat sich für differenzierte Möglichkeiten der Pflege ausgesprochen. Um auf die speziellen Bedürfnisse von Pflegebedürftigen eingehen zu können, müsse die anstehende Reform der Pflegeversicherung ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Verfügung stellen, sagte Neher.
Kolkmann: Nach der Rente und der Gesundheit kommt die Pflege dran - großes Reformvorhaben der Koalition -, denn es ist absehbar, wann die Kassen der Pflegeversicherung ganz leer sein werden. Der Pflegenotstand droht schon bald, heißt es landauf und landab, und Konzepte für die Versorgung der Gebrechlichen in der immer schneller alternden Gesellschaft werden hoch gehandelt. Wer jetzt schon alte Menschen pflegen und versorgen muss, stößt schnell an seine Grenzen: physisch, psychisch, finanziell. So erging es einem Geschwisterpaar, als plötzlich die Mutter starb. Sie hat nämlich jahrelang den Vater gepflegt und nun stellte sich für die Kinder die Frage: wohin mit Vater. Über die abenteuerlichen Erfahrungen mit dem deutschen Pflegesystem hat der Sohn ein Buch gleichen Titels geschrieben. Gerade ist es erschienen, und zwar anonym, denn der Sohn musste kriminell werden, um den Vater zu Hause von einer illegalen polnischen Pflegerin versorgen zu lassen. Darüber und über mehr natürlich wollen wir mit dem Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes sprechen. Guten Morgen in Deutschlandradio Kultur Monsignore Peter Neher!

Neher: Guten Morgen Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Neher, kennen Sie solche Geschichten auch?

Neher: Ja. Ich denke die Frage ist bei diesen ganzen Fragestellungen: Was brauchen denn überhaupt alte Menschen und pflegebedürftige Menschen, damit sie möglichst lange zu Hause und auch selbstbestimmt leben können. Das denke ich ist eine ganz entscheidende Frage und dazu meine ich gehört natürlich so etwas wie kompetente ambulante fachliche Betreuung. Es ist die Frage wie können Nachbarschaftshilfen, wie können Familienangehörige, wie kann das ganze Umfeld mit einbezogen werden, dass tatsächlich solche geschilderten Situationen wie sie in dem Buch offenbar beschrieben sind, nicht in dieser Dramatik eintreten, und was muss möglicherweise auch durch die Reform der Pflegeversicherung und durch Neudefinitionen des gesamten Pflegebedürftigkeitsbegriffs hier tatsächlich dringend verändert werden.

Kolkmann: Dieser Betroffene hat ausgerechnet, wenn er auf legale Weise seinen Vater zu Hause, was ja wahrscheinlich die humanste Form der Pflege bis zum Tode ist, versorgen würde, würde ihn das 10.000 Euro im Monat kosten. Das kann praktisch keiner bezahlen. Muss man sehr darüber nachdenken, wie man das anders organisiert und auch die Kostenstruktur ändert?

Neher: Ich denke das ist eine ganz wichtige Frage, und zwar wie ich eben gerade sagte. Wir brauchen so etwas wie ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um auch angesichts der demographischen Entwicklung auf die neuen Herausforderungen überhaupt antworten zu können. Das ist denke ich von einem allein nicht leistbar. Dazu gehört so ein Bündel wie Nachbarschaftshilfen oder Hilfe von Angehörigen, weiter kompetente ambulante Pflege oder etwa Hospizarbeit, wenn es tatsächlich in der Phase des Sterbens ist. Ich glaube da gibt es jetzt schon eine ganze Menge von Ansätzen, die wir aber dringend weiterführen müssen und auch verstärkt, damit tatsächlich hier Betroffene nicht in dieser Weise Erfahrungen machen und am Schluss gezwungen sind, auf illegale Praktiken auszuweichen.

Kolkmann: Pflegeheime oder auch Sozialstationen sind ja Wirtschaftsunternehmen, auch der Caritasverband. Es müssen schwarze Zahlen geschrieben werden. Ist denn optimale Pflege überhaupt bezahlbar?

Neher: Ich denke ja, aber ich glaube wir brauchen neue Ansätze dazu. Wir können nicht mehr weiter monokausal denken und einfach sagen, wir haben einen bestimmten Bedarf und der muss von einer bestimmten Einheitsnorm abgeleitet werden. Ich denke es gibt schwerstpflegebedürftige Menschen, die dringend eine kompetente Pflege brauchen. Es gibt aber auch welche, denen es genügt es, ihnen so etwas wie einen Alltagsbegleiter an die Hand zu geben, der sie unterstützt im Einkaufen, in der Organisation des Haushaltes, der einfach ein Stück Lebensumfeld ermöglicht.

In dieser Differenzierung glaube ich, dass Pflege sehr wohl leistbar ist und dass sie tatsächlich auch, wenn sie differenziert angeht und schaut, was der einzelne ganz konkret braucht, möglich ist. Dann glaube ich sehr wohl, dass das einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland möglich sein muss, auch ihre alten und pflegebedürftigen Menschen adäquat zu versorgen. Dazu müssen aber alle ihren Beitrag leisten und ich denke auch Familienangehörige, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten sind. Man kann einfach nicht die ganze Verantwortung nur auf andere abwälzen, auf die Heime, auf die Pflegedienste. Ich glaube es müssen alle ihren Anteil dazu leisten.

Kolkmann: Sie haben ja im Angebot der Caritas eben ein solches Bündel auch an verschiedenen Konzepten schon drin und schon lange ist das ja auch ein Konzept, das Sie machen. Wie merken Sie, dass die Gesellschaft darauf auch reagiert und das was Sie gerade sagen annimmt und sich verändert im Bewusstsein?

Neher: Wir haben damit sehr gute Erfahrungen. Zum Beispiel eine Reihe unserer Altenhilfeeinrichtungen sind gut verbunden im Umfeld einer Pfarrgemeinde oder auch einer Kommune. Es gibt eine Reihe von ehrenamtlichen Besuchsdiensten auch aus den Pfarrgemeinden. Es gibt tatsächlich Situationen, wo alte Menschen tatsächlich das Gefühl einer wohnortnahen Versorgung haben. Ich denke das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es kann auch Situationen geben, wo tatsächlich ein Alten- oder Pflegeheim ein ganz wichtiger Teil dieser Gesamtversorgung ist. Ich möchte also schon davor warnen, dass wir einfach in eine Pauschalverurteilung auch dieser Häuser kommen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten oft das Höchstmögliche tun.

Gerade weil Sie die Caritaseinrichtungen ansprechen: Viele unserer Einrichtungen arbeiten seit Jahren an intensiven Konzepten der Qualität, und zwar wirklich Qualität verstanden mit einem ganzheitlichen Ansatz, der die Angehörigen mit einbezieht, der einfach auch das Wohlbefinden der Betroffenen mit einbezieht. Ich glaube, dass die dort auf einem guten Weg sind, aber natürlich auch abhängig sind von Rahmenbedingungen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass zum Beispiel die Krankheitsbilder sich in den letzten Jahren enorm verändert haben: der hohe Anteil Demenzkranker, der hohe Anteil von alten Menschen mit Depressionen. Gleichzeitig haben wir eine fest verankerte Pflegeversicherung mit festen Pauschalbeträgen unverändert seit 1995. In diesem Dilemma, in diesem Spagat haben wir eine qualifizierte und hoffentlich auch sehr menschenfreundliche Pflege zu leisten.

Kolkmann: Vielen Dank. - Das war zu einem drohenden Pflegenotstand und Konzepten dagegen der Präsident des Deutschen Caritasverbandes Monsignore Peter Neher. Danke für das Interview in Deutschlandradio Kultur.

Neher: Ich danke Ihnen Frau Kolkmann.