Caritas: Art der Katastrophe beeinflusst Spendenbereitschaft

Oliver Müller im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 17.08.2010
Die bislang nur zögerliche Spendenbereitschaft in Deutschland für die Flutopfer in Pakistan hat keine politischen Gründe, meint Oliver Müller, Leiter von Caritas International. Vielmehr sei entscheidend, um welche Art von Katastrophe es sich handele. "Wir erleben seit Jahren, dass insbesondere Erdbeben besonders viele Spenden hervorrufen".
Jan-Christoph Kitzler: Noch ist keine Besserung in Sicht in den Überflutungsgebieten in Pakistan. Millionen Menschen sind immer noch vor allem im Nordwesten des Landes, aber inzwischen auch im Süden auf der Flucht vor den Wassermassen, und die Monsunregenfälle halten an. Obwohl die Hilfe inzwischen immer mehr von den insgesamt 20 Millionen Betroffenen der Katastrophe erreicht, droht die Gefahr von Hungersnot und von Seuchen. Die Hilfsorganisationen auch aus Deutschland versuchen Hilfe vor Ort zu leisten bei den Menschen, und dazu brauchen sie vor allem Spendengelder. Darüber spreche ich jetzt mit Oliver Müller, dem Leiter von Caritas International, dem Hilfswerk der Deutschen Caritas. Guten Morgen nach Freiburg!

Oliver Müller: Guten Morgen!

Kitzler: Wie steht es denn zurzeit um die Spendenbereitschaft der Deutschen in Sachen Pakistan?

Müller: Also die Spendenbereitschaft der Deutschen ist ja traditionell sehr hoch, und das beste Beispiel dafür war zuletzt das Erdbeben in Haiti, wo sehr, sehr viel gespendet wurde. Was Pakistan betrifft, so hat es ganz, ganz langsam angefangen. Am Freitag vor einer Woche hatten wir, in Anführungszeichen, "nur" 25.000 Euro Spenden, jetzt inzwischen hat es stark angezogen. Wir liegen jetzt bei 500.000 Euro für die Flutopfer in Pakistan. Zur vergleichbaren Zeit hatten wir aber, was Haiti betrifft, bereits über zehn Millionen Euro eingenommen. Das heißt, die Spendenbereitschaft ist jetzt wesentlich höher geworden, aber es lässt sich jetzt nicht mit ähnlichen Katastrophen vergleichen bislang.

Kitzler: Warum sind die Menschen so skeptisch offensichtlich? Liegt das auch daran, dass Pakistan ein schlechtes Image hat?

Müller: Ja, da ist jetzt ja viel drüber geredet worden: Ist es das vermeintlich schlechte Image von Pakistan, sind es die Taliban, denen die Hilfsgüter vielleicht in die Hände fallen könnten? Ich glaube nicht, dass das der Hauptgrund ist. Zum einen denke ich, sind die meisten Spender darüber informiert, dass Pakistan jetzt nicht ein Heer von Taliban ist, sondern die Flutopfer ganz normale Menschen sind, die in Frieden leben wollen, und dass auch die Hilfsorganisationen eigentlich in der Lage sind, die Hilfsgüter in die richtigen Kanäle zu bringen.

Mein Eindruck ist, dass es auch mit der Art der Katastrophe zusammenhängt. Wir erleben seit Jahren, dass insbesondere Erdbeben besonders viele Spenden hervorrufen. Das scheint die Katastrophe zu sein, die am explosivsten ist und die nicht den Gedanken aufbringt, dass irgendeine Mitschuld der Opfer dort vorliegt.

Am anderen Ende der Skala sind bewaffnete Konflikte, da ist es extrem schwer, Unterstützung zu bekommen. Ich nenne als Beispiel mal den Kongo, dort sind die Opfer dieses Konflikts genauso unschuldig wie die Flutopfer in Pakistan, aber das ist sehr schwer zu vermitteln.

Und wir haben auch einen Vergleichswert aus Pakistan, nämlich 2005 war dort im Sommer ein sehr, sehr schweres Erdbeben, das war ein halbes Jahr nur nach der großen Tsunamikrise, die ja sehr, sehr viele Spenden hatte. Wir haben damals, 2005, ein halbes Jahr nach dem Tsunami, über acht Millionen Euro für Erdbebenopfer in Pakistan bekommen, das heißt, es kann nicht nur was mit dem Land zu tun haben, es hat sicher was auch mit der Katastrophe zu tun. Die Flut ist langsam angewachsen, vielleicht wird auch menschliches Versagen dabei in den Vordergrund geschoben, und das hat es sehr, sehr schwer gemacht, um Spenden zu werben. Jetzt sieht es allerdings sehr gut aus, und ich bin sehr zuversichtlich, dass es jetzt doch auch noch zu größeren Beträgen kommen wird.

Kitzler: Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat gestern um Spenden geworben. Er hat gesagt, die Spenden seien das beste Mittel auch, um den radikalen Islamisten in Pakistan den Nährboden zu entziehen. Kann es sein, dass Spender ich sag mal auf solche Spielchen keine Lust haben, dass ihre Spenden so politisch instrumentalisiert werden, dass sie den Menschen einfach nur helfen möchten?

Müller: Ja. Die humanitäre Hilfe, der direkte Wunsch, jemandem in einer Notsituation zu helfen, das ist eigentlich in 90 Prozent der Fälle die Hauptmotivation für eine Spende. Und erst dann kommen politische oder allgemein gesellschaftliche Überlegungen. Dabei hat Herr Niebel ja durchaus recht, es ist halt in humanitärer Hinsicht wirklich geboten, den Menschen in Pakistan zu helfen, die schuldlos in eine extrem schwere Notlage geraten sind. Andererseits ist es durchaus politisch klug auch zu spenden, aus den Gründen, die ja bereits oftmals genannt wurden, um auch hier ein Zeichen zu setzen, dass es eben nicht nur Islamisten sind, die jetzt Solidarität zeigen.

Und aus vielen Reisen in ähnlichen Gebieten weiß ich, mit welch großem Erstaunen und welcher Anerkennung die Menschen diese Hilfe auch aus weit entfernten Ländern oft annehmen, auch aus christlichen Ländern, weil sie damit eigentlich nicht gerechnet haben. Und somit hat humanitäre Hilfe schon sehr stark einen völkerverbindenden und auch einen Frieden stiftenden Charakter.

Kitzler: Was tut denn Caritas International dafür, dass das Geld wirklich bei den Leuten vor Ort ankommt?

Müller: Wir arbeiten mit Caritas Pakistan zusammen, die wir seit Jahrzehnten kennen, unterstützen und von daher wissen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, was sie zu tun haben. Und das haben wir bei vielen Projektbesuchen auch selber sehen können. Wir haben in die Administration der Caritas dort investiert, und gerade in so einer schwierigen Situation wie jetzt muss man sich gut auskennen. Also so eine extreme Flutsituation ist keine Gelegenheit für Anfänger, nun jetzt auch mit humanitärer Hilfe zu beginnen. Es braucht Profis, diese hat die Caritas Pakistan, und von daher bin ich trotz der schwierigen Umstände eigentlich ganz beruhigt, was jetzt die Umsetzung der Hilfe anbetrifft.

Kitzler: 20 Millionen Opfer gibt es von der Flut, also Menschen, die davon betroffen sind, die brauchen Hilfe jetzt nicht nur ganz schnell, sondern auch auf lange Zeit. Ihre Häuser sind zerstört, die Ernten sind zum Teil zerstört. Reicht denn dafür die Hilfsbereitschaft aus, kann man das überhaupt organisieren, so eine Katastrophe?

Müller: Ja, bei dieser großen Zahl von 20 Millionen Menschen sind natürlich alle betroffen. Man muss auch ganz klar sagen, das können jetzt auch nicht die Hilfsorganisationen alleine richten, da ist der Staat gefragt, das ist auch die Staatengemeinschaft gefragt, aber es haben alle ihre Rolle beim Wiederaufbau. Und wenn jetzt wirklich eine größere Summe zusammenkommt und viele Hilfsorganisationen aus aller Welt helfen, aber auch der pakistanische Staat seine Hausaufgaben macht, dann kann es schon gelingen.

Aber das große Problem ist sicherlich, dass es so weit kommen konnte, dass viele Signale missachtet wurden und dass wertvolle Zeit versäumt wurde, was jetzt die Überschwemmung betrifft. Andererseits war es auch nicht von vornherein klar, dass es solche Ausmaße annehmen wird.

Kitzler: Die Flutkatastrophe von Pakistan, die Lage vor Ort und die Spendenbereitschaft der Deutschen. Das war Oliver Müller, der Leiter von Caritas International. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Müller: Danke auch!

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