"Care um"'-Pakete angekommen?
Früher haben die Ostdeutschen ungeduldig auf ein Paket aus dem Westen gewartet. Heute ist es umgekehrt – jedenfalls hätte man das in Magdeburg gerne. Wissenschaftler der Fachhochschule haben soeben die "Heimatschachtel" erfunden, sprich: ein Päckchen mit "Was zum Schnuckeln" aus der Region, dazu Theaterkarten und Kneipengutscheine.
Entwickelt wurde die "Heimatschachtel" speziell für den "Westflüchtling": damit er in der Fremde nicht an Heimweh stirbt. Jungen Menschen, die Magdeburg verlassen, wird ab März 2006 eine solche Heimatschachtel mit auf den Weg gegeben. Vielleicht überlegen sie sich's dann nochmal - und kommen zurück. Denn das ist der eigentliche Zweck und die Botschaft der "Heimatschachtel". Die Experten von der Fachhochschule jedenfalls sind zuversichtlich: "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Abgewanderte nur dann zurückkehren, wenn sie eine emotionale Bindung an die Heimat haben".
Wie viel Schachteln braucht die Heimat?
Thies: "Die Schachtel ist eine Pappschachtel, eine weiße Pappschachtel von der Größe A4, circa fünf bis sieben Zentimeter hoch. Und da steht vorne drauf: Deine Heimatschachtel, und die Adresse für die Abwanderer: www.kontakt-Ostdeutschland.de"."
Die Forschergruppe von Susanne Thies hatte die packende Idee. Die mit der Schachtel – Heimatschachtel. Und weil ein leerer Karton noch lange keine Heimatschachtel ist, fragten sich die Erfinder: Was können wir da rein tun, das irgendwie nach Heimat aussieht? Das irgendwie nach Heimat schmeckt? Und auch noch klingt? Ein Anruf – nein – viele Anrufe bei sämtlichen Honoratioren der Stadt – jedenfalls Wirtschaft und Kultur. War nicht ganz erfolglos. Weil: Die Frage war nun wirklich für jedermann verständlich gestellt: Kleine Spende für die Heimatschachtel?
Löhr: ""Den Begriff? Mmh. Eigentlich hat das für mich was Altes – ne olle Heimat – ne olle Schachtel, ja! Ist wie ’ne alte Frau"."
Heuer: ""Den find’ ich antiquiert und verstaubt, muss ich ganz ehrlich sagen. Als ich ihn zum ersten mal gehört habe, hab’ ich fast ’n Schock gekriegt, wie das Ding heißen sollte"."
Frau Löhr ist vom Magdeburger Hundertwasser-Haus, und Herr Heuer verdient im Theater sein täglich Brot. Nun, Namen sind bekanntlich Schall und Rauch. Und die Schachtel, versicherten die Experten von der Fachhochschule, die Schachtel sei ja für einen guten Zweck.
Das glauben nicht nur wir. Auch das Magdeburger Theater lässt reichlich Freikarten springen. Und sogar das Hundertwasser-Haus darf jedermann kostenlos bestaunen – von innen – so er eine Heimatschachtel erhalten hat. Inklusive Billetts. Mehr noch. Herr Steinmann von der Magdeburger Tourist-Information steckte uns die Information: Ja, ein Gutschein für eine ausgedehnte Stadtführung ist auch drin. Wir ahnen, warum.
""So ein Stadtführer weiß eine Menge spannender Geschichten zu erzählen – zu den Bauwerken in der Stadt und den Persönlichkeiten der Stadt, die, obwohl man jahrelang in der Stadt gelebt hat, so intensiv vielleicht noch gar nicht kennen gelernt hat"."
Sogar auf die heimatliche Morgenzeitung braucht der glückliche, vielleicht sogar stolze Besitzer besagter Heimatschachtel nicht zu verzichten: Die "Magdeburger Volksstimme" spendiert ihm ein halbjähriges Internet-Abo.
""Das heißt, sechs Monate lang können die Leute, die abgewandert sind, in der Ferne kostenlos die "Volksstimme" erhalten. Im Internet"."
Wir sind gespannt. So viele geistige Genüsse. Und alle aus einem Bundesland. Aus Sachsen-Anhalt. Uns läuft das Wasser im Munde zusammen.
""Zum Beispiel Burger Knäcke, Urtyp in dem Fall, da sind zwei Burger Knäcke drin. Dann haben wir den "Magdeburger Reiter", das sind Absinth-Pralinen, ein Altenburger Skatkartenspiel mit deutschem Blatt..."
Autor isst Knäckebrot: Knäcke Urtyp, ja. Und wer kriegt nun diese knackige Schachtel, voll der geistigen und kulinarischen Genüsse?
"Die Heimatschachtel ist ein Gruß der Stadt Magdeburg an die jungen Leute, die zwischen 18 und 30 sind und jetzt kürzlich aus Magdeburg weggezogen sind"."
Oha, für die Ausreisewilligen. Magdeburg, die Stadt der jungen Mobilen. Die Arbeit rief – und sie gingen.
""Das war auch sehr erstaunlich, dass viele eben von Heimat gesprochen haben. Sie sind abgewandert aus ihrer Heimat und würden vielfach wirklich gern zurückkommen, wenn sie denn Perspektiven für sich beruflich sehen würden"."
Heimatschachtel, Westgänger, Trostpflaster bei Heimweh – also Fernweh nach der Heimat. Dezenter Wink mit dem Karton: Care um! Komm zurück! In uns macht sich ein Gefühl breit, das sich irgendwie nach Heimweh anfühlt. Ja, so in etwa muss Heimweh sein. Frau Thies weiß, wovon wir reden. Sie hat sich nämlich mit vielen ostdeutschen Gastarbeitern West unterhalten.
""Also – ich glaube, in Stuttgart war das – gibt’s den Köthener Stammtisch, wo die sich austauschen und treffen und gemeinsam nach Hause fahren auch teilweise"."
Bevor nun die Schachtel auf Reisen geht werden die Adressaten angerufen und – natürlich sachsen-anhaltinisch höflich gefragt: "Dürfen wir Ihnen vielleicht eine Heimatschachtel hinterherschicken?" Nun, die Meisten sagen da nicht "Nein", sagt Frau Thies. Wir übrigens auch nicht. Wann kriegt man schon mal was geschenkt heutzutage? Egal, wir wollen wissen, was der tiefere Sinn der Schenkung denn nun sei.
Thies: " "Die Beziehung zur Heimatstadt Magdeburg aufrecht zu erhalten"."
Löhr: ""Ich find’ das ne tolle Idee, denn es sind ja manchmal nur ein paar Jahre, die man wegen der Ausbildung oder auch einem vorübergehenden Job woanders hin gehen muss. Und letztendlich ist es ja doch so, dass man irgendwo seine heimatlichen Wurzeln hat und dann gerne auch an den Ort der Geburt oder des Großwerdens zurückkehren möchte"."
Musikeinspielung: Junge, komm bald wieder …
Kein hiesiger Sänger. Aber doch ein sehr, sehr hiesiges Gefühl.
Wir ziehen durch Magdeburg, die Heimatschachtel unter’m Arm. In einem Einkaufszentrum machen wir hoffnungsfroh Halt und fragen die Hiesigen, ob sie denn schon mal was von der Heimatschachtel gehört hätten. Die meisten nicken. Und? Wie finden sie die so? Die Idee? Die Heimatschachtel–Idee ?
""Die Sesselfurzer finden das alle toll!"
""Das sind Almosen. Das is weggeschmissnes Geld! Müssten Arbeitsplätze und vor allen Dingen Ausbildungsplätze geschaffen werden"."
""Wir könnten das selber jebrauchen. Für die Leute, die hier bleiben, könnten se so ne Schachtel ma verschicken, nich die abhauen und hinterher wiederkommen soll ’n"."
Wir haben das Kaufhaus denn doch lieber verlassen. Nicht, was Sie daheim denken. Nein, wegen Herrn Heuer. Dem vom Magdeburger Theater. Verabredung, Sie versteh’n. Und was uns gerade so zu Ohren gekommen ist. Was wir uns anhören mussten.
""Ja, gut, das ist so’n bisschen auch dieser gewisse Neid. Dieser Neid auf andere, der hier durchaus in Magdeburg leider ein bisschen verbreitet ist. Immer zu denken: Ja, ich bin der Benachteiligte der Geschichte. Das ist etwas, was mich jetzt als Westler auch stört, dass ich sage: Mein Gott, guckt doch mal hin! In Gelsenkirchen, in Recklinghausen hat sich die letzten 15 Jahre nichts getan, was ist denn hier passiert! Aber das ist auch ’n bisschen typisch, das ist so der Frust, den die Älteren haben"."
Ja, ja, aber was sollen wir nun von diesem Anti-Heimatschachtel-Argument halten? Von wegen: Die lassen uns hier hocken. Und wir, also Magdeburg, schickt ihnen auch noch ein Geschenk hinterher!
""Ja, wir bekommen ja immer mit, dass sehr, sehr viele Zuschauer, ältere Zuschauer, uns doch traurig erzählen, dass ihre Kinder nun zwangsweise aus Magdeburg weggehen mussten oder aus der Region, ohne dass sie jemals weg wollten"."
Nicht schlecht, nicht schlecht. Nun, um die vier Monate ist es her, da verlies die erste Heimatschachtel sachsen-anhaltinisches Territorium. Dem ersten Gruß aus der Heimat folgten bis dato achthundert Heimatschachteln. Eintausend sind für’s Erste geplant. Bis Oktober sollen alle an den Mann gebracht werden. Oder an die Frau. Hat sich denn schon mal einer gemeldet – so, zurück gemeldet? Herr Steinmann, ein Sponsor, überlegt:
""Wöchentlich werden hier Gutscheine abgegeben in der Tourist-Information. Vermutlich sind darunter auch schon welche gewesen aus der Heimatschachtel. Genau sagen kann ich Ihnen das leider nicht"."
Und Frau Löhr vom Hundertwasser-Haus, weiß das auch nicht so genau. Aber nicht vergessen hat sie, wie viel Geld sie, also ihr Haus, in die Gruß–und–komm–doch–endlich–wieder–nach–Hause– Schachtel gesteckt hat.
""Wir haben 900 Karten für eine kostenlose Führung in die Schachteln getan. Bei einem Preis von a’ sechs Euro macht das immerhin 5400 Euro, die wir da gern in die Schachtel werfen"."
Tja. Wie viele Heimatschachtel-Empfänger haben sich auf Ihren Gutschein hin denn nun gemeldet? Genau sagen konnte uns das nur die, natürlich, Chefredaktion der "Magdeburger Volksstimme". Also – hmm – gemeldet hat sich dort: genau einer.
Musikeinspielung: Ich wandre ja so gerne …
Das kennt man hier.Das kennt man hier. Das Lied. Ist von hier unten aus der Ecke. Und das Gefühl leider auch. Und Sie daheim am Radio? Würden Sie – angenommen, Sie sind gerade von Magdeburg nach Süddeutschland umgezogen, haben einen neuen Chef und neue Nachbarn, wollen Freundschaft mit Land und Leuten und der Lohntüte schließen – würden Sie sich dann ernsthaft mit dem Inhalt der Heimatschachtel beschäftigen?
Heuer: ""Ja gut, ich denke, da hat man sicherlich andere Dinge im Kopf. Würd’ trotzdem das erstmal sehr positiv – weil einem der Abschied so schwer fällt – vielleicht sehr positiv finden, die zu bekommen. Ich denke aber auch, es ist mehr die symbolische Geste, die hier abläuft, so dass dadurch einfach eine ganz, ganz hohe Presse- und Öffentlichkeitsresonanz gewesen ist, auf dieses schwierige Problem für Ostdeutschland hinzuweisen. Und wir wollen ja keine Vergreisung in Ostdeutschland"."
Herr Steinmann von der Tourist-Information – die heißt wirklich so – findet das auch. In Deutschland sollten doch alle wissen: Magdeburg an der Elbe ist wieder eine attraktive Stadt. Mit Arbeit sieht’s allerdings nicht ganz so attraktiv aus. Obwohl – Frau Löhr:
""Wer sich genau umschaut, ich denke: Arbeit gibt es. Das ist mein Eindruck, und wer ideenreich ist und aktiv, der kann hier sehr gut leben und arbeiten"."
Und Studieren. Und Kultur besichtigen. Und Ferien – äh, Urlaub machen.
""Ich erzähl’ immer gern das Beispiel eines Bielefelder Reise-Journalisten, der 1990 in der Stadt war und nicht besonders angetan war von dem, was er hier erlebt hat und gesehen hat. Und im vergangenen Jahr anlässlich des 1200- jährigen Stadtjubiläums wieder in der Stadt war und absolut positiv überrascht war. Über das viele Grün in der Stadt, die Sehenswürdigkeiten, wie sich die Stadt infrastrukturell auch entwickelt hat. Und war ganz begeistert und hat seinen Artikel auch überschrieben mit "Magdeburg ist wieder eine Reise wert". Und das passt"."
Wir freuen uns über den Reise-Journalisten. Der allerdings in Bielefeld geblieben ist. In Bielefeld! Obwohl das Hundertwasser-Haus - reizende Mischung aus Hüpfburg und Märchenschloss. Heißt auch die "grüne Zitadelle". Sieht allerdings von außen gar nicht grün aus, sondern bonbonrosa.
Und natürlich das Theater! Die "Magdeburger Bühnen" – Schauspiel, Ballett und Oper, für Magdeburger Verhältnisse ein Großbetrieb: 480 Beschäftigte. Wagen sich neuerdings auch an ganz große Sachen. Freunde des Musicals müssen nicht mehr unbedingt nach Hamburg fahren oder nach Stuttgart. Nein, Magdeburg kann’s auch! Wir sagen nur: "Fame"! Drei Stunden Spektakel mit fast hundert Künstlern auf der Bühne:
Heuer: ""Die waren so begeistert, dass also die Kritiken sich wirklich überschlagen haben. Hier vor Ort wurde in der Presse auch vom "Wunder von Magdeburg" gesprochen. Auch andernorts war man begeistert, was für ein Schauspielensemble wir haben, was sich so hervorragend mit Musical auskennt. Deswegen sind wir jetzt mutig und werden jetzt jede Spielzeit nen Musical machen. Im nächsten Jahr kommen neben "Fame", was mit Sicherheit noch ewig laufen wird, kommt noch das Musical "Hair" dazu"."
Auf den Magdeburger Bühnen geht das Licht nicht aus, anders als an den Arbeitsplätzen im Land. Na ja, 20 Prozent mehr Zuschauer als im vergangenen Jahr. Das ist ein Wachstum – leider nicht an Arbeitsplätzen im Land. Ja, Leute: Macht Theater, möchte man da rufen. Das schafft Arbeitsplätze.
""Und da hat Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung nen ganz, ganz tolles Kompliment in dieser Spielzeit über uns geschrieben, nämlich: Wir seien eine "kulturelle Wellness–Oase". Vielleicht kann ja so eine kulturelle Wellness-Oase mit dazu beitragen, dass die Menschen auch gerne in dieser Region bleiben"."
Ja nun – und was ist mit denen, die schon weg sind? Ach so, Herr Heuer wollte noch einen Gruß los werden. An alle, die eine Heimatschachtel gekriegt und womöglich unter’s Sofa geschoben haben.
""Behaltet den ganz engen Kontakt mit Magdeburg. Es tut sich hier viel, vielleicht ist hier doch früher oder später die Möglichkeit, dass ihr zurückkommen könnt, was letztlich eigentlich alle wollen"."
Und wir? Machen den Deckel drauf auf die Heimatschachtel. Aber behalten tun wir es schon – das Ostpaket für den Westen. Gut, gut – für ostdeutsche Gastarbeiter im Westen. Aber eine Frage haben wir noch: Wenn die dem Ruf der Heimat folgen, fehlen die dann nicht im Westen?
Wie viel Schachteln braucht die Heimat?
Thies: "Die Schachtel ist eine Pappschachtel, eine weiße Pappschachtel von der Größe A4, circa fünf bis sieben Zentimeter hoch. Und da steht vorne drauf: Deine Heimatschachtel, und die Adresse für die Abwanderer: www.kontakt-Ostdeutschland.de"."
Die Forschergruppe von Susanne Thies hatte die packende Idee. Die mit der Schachtel – Heimatschachtel. Und weil ein leerer Karton noch lange keine Heimatschachtel ist, fragten sich die Erfinder: Was können wir da rein tun, das irgendwie nach Heimat aussieht? Das irgendwie nach Heimat schmeckt? Und auch noch klingt? Ein Anruf – nein – viele Anrufe bei sämtlichen Honoratioren der Stadt – jedenfalls Wirtschaft und Kultur. War nicht ganz erfolglos. Weil: Die Frage war nun wirklich für jedermann verständlich gestellt: Kleine Spende für die Heimatschachtel?
Löhr: ""Den Begriff? Mmh. Eigentlich hat das für mich was Altes – ne olle Heimat – ne olle Schachtel, ja! Ist wie ’ne alte Frau"."
Heuer: ""Den find’ ich antiquiert und verstaubt, muss ich ganz ehrlich sagen. Als ich ihn zum ersten mal gehört habe, hab’ ich fast ’n Schock gekriegt, wie das Ding heißen sollte"."
Frau Löhr ist vom Magdeburger Hundertwasser-Haus, und Herr Heuer verdient im Theater sein täglich Brot. Nun, Namen sind bekanntlich Schall und Rauch. Und die Schachtel, versicherten die Experten von der Fachhochschule, die Schachtel sei ja für einen guten Zweck.
Das glauben nicht nur wir. Auch das Magdeburger Theater lässt reichlich Freikarten springen. Und sogar das Hundertwasser-Haus darf jedermann kostenlos bestaunen – von innen – so er eine Heimatschachtel erhalten hat. Inklusive Billetts. Mehr noch. Herr Steinmann von der Magdeburger Tourist-Information steckte uns die Information: Ja, ein Gutschein für eine ausgedehnte Stadtführung ist auch drin. Wir ahnen, warum.
""So ein Stadtführer weiß eine Menge spannender Geschichten zu erzählen – zu den Bauwerken in der Stadt und den Persönlichkeiten der Stadt, die, obwohl man jahrelang in der Stadt gelebt hat, so intensiv vielleicht noch gar nicht kennen gelernt hat"."
Sogar auf die heimatliche Morgenzeitung braucht der glückliche, vielleicht sogar stolze Besitzer besagter Heimatschachtel nicht zu verzichten: Die "Magdeburger Volksstimme" spendiert ihm ein halbjähriges Internet-Abo.
""Das heißt, sechs Monate lang können die Leute, die abgewandert sind, in der Ferne kostenlos die "Volksstimme" erhalten. Im Internet"."
Wir sind gespannt. So viele geistige Genüsse. Und alle aus einem Bundesland. Aus Sachsen-Anhalt. Uns läuft das Wasser im Munde zusammen.
""Zum Beispiel Burger Knäcke, Urtyp in dem Fall, da sind zwei Burger Knäcke drin. Dann haben wir den "Magdeburger Reiter", das sind Absinth-Pralinen, ein Altenburger Skatkartenspiel mit deutschem Blatt..."
Autor isst Knäckebrot: Knäcke Urtyp, ja. Und wer kriegt nun diese knackige Schachtel, voll der geistigen und kulinarischen Genüsse?
"Die Heimatschachtel ist ein Gruß der Stadt Magdeburg an die jungen Leute, die zwischen 18 und 30 sind und jetzt kürzlich aus Magdeburg weggezogen sind"."
Oha, für die Ausreisewilligen. Magdeburg, die Stadt der jungen Mobilen. Die Arbeit rief – und sie gingen.
""Das war auch sehr erstaunlich, dass viele eben von Heimat gesprochen haben. Sie sind abgewandert aus ihrer Heimat und würden vielfach wirklich gern zurückkommen, wenn sie denn Perspektiven für sich beruflich sehen würden"."
Heimatschachtel, Westgänger, Trostpflaster bei Heimweh – also Fernweh nach der Heimat. Dezenter Wink mit dem Karton: Care um! Komm zurück! In uns macht sich ein Gefühl breit, das sich irgendwie nach Heimweh anfühlt. Ja, so in etwa muss Heimweh sein. Frau Thies weiß, wovon wir reden. Sie hat sich nämlich mit vielen ostdeutschen Gastarbeitern West unterhalten.
""Also – ich glaube, in Stuttgart war das – gibt’s den Köthener Stammtisch, wo die sich austauschen und treffen und gemeinsam nach Hause fahren auch teilweise"."
Bevor nun die Schachtel auf Reisen geht werden die Adressaten angerufen und – natürlich sachsen-anhaltinisch höflich gefragt: "Dürfen wir Ihnen vielleicht eine Heimatschachtel hinterherschicken?" Nun, die Meisten sagen da nicht "Nein", sagt Frau Thies. Wir übrigens auch nicht. Wann kriegt man schon mal was geschenkt heutzutage? Egal, wir wollen wissen, was der tiefere Sinn der Schenkung denn nun sei.
Thies: " "Die Beziehung zur Heimatstadt Magdeburg aufrecht zu erhalten"."
Löhr: ""Ich find’ das ne tolle Idee, denn es sind ja manchmal nur ein paar Jahre, die man wegen der Ausbildung oder auch einem vorübergehenden Job woanders hin gehen muss. Und letztendlich ist es ja doch so, dass man irgendwo seine heimatlichen Wurzeln hat und dann gerne auch an den Ort der Geburt oder des Großwerdens zurückkehren möchte"."
Musikeinspielung: Junge, komm bald wieder …
Kein hiesiger Sänger. Aber doch ein sehr, sehr hiesiges Gefühl.
Wir ziehen durch Magdeburg, die Heimatschachtel unter’m Arm. In einem Einkaufszentrum machen wir hoffnungsfroh Halt und fragen die Hiesigen, ob sie denn schon mal was von der Heimatschachtel gehört hätten. Die meisten nicken. Und? Wie finden sie die so? Die Idee? Die Heimatschachtel–Idee ?
""Die Sesselfurzer finden das alle toll!"
""Das sind Almosen. Das is weggeschmissnes Geld! Müssten Arbeitsplätze und vor allen Dingen Ausbildungsplätze geschaffen werden"."
""Wir könnten das selber jebrauchen. Für die Leute, die hier bleiben, könnten se so ne Schachtel ma verschicken, nich die abhauen und hinterher wiederkommen soll ’n"."
Wir haben das Kaufhaus denn doch lieber verlassen. Nicht, was Sie daheim denken. Nein, wegen Herrn Heuer. Dem vom Magdeburger Theater. Verabredung, Sie versteh’n. Und was uns gerade so zu Ohren gekommen ist. Was wir uns anhören mussten.
""Ja, gut, das ist so’n bisschen auch dieser gewisse Neid. Dieser Neid auf andere, der hier durchaus in Magdeburg leider ein bisschen verbreitet ist. Immer zu denken: Ja, ich bin der Benachteiligte der Geschichte. Das ist etwas, was mich jetzt als Westler auch stört, dass ich sage: Mein Gott, guckt doch mal hin! In Gelsenkirchen, in Recklinghausen hat sich die letzten 15 Jahre nichts getan, was ist denn hier passiert! Aber das ist auch ’n bisschen typisch, das ist so der Frust, den die Älteren haben"."
Ja, ja, aber was sollen wir nun von diesem Anti-Heimatschachtel-Argument halten? Von wegen: Die lassen uns hier hocken. Und wir, also Magdeburg, schickt ihnen auch noch ein Geschenk hinterher!
""Ja, wir bekommen ja immer mit, dass sehr, sehr viele Zuschauer, ältere Zuschauer, uns doch traurig erzählen, dass ihre Kinder nun zwangsweise aus Magdeburg weggehen mussten oder aus der Region, ohne dass sie jemals weg wollten"."
Nicht schlecht, nicht schlecht. Nun, um die vier Monate ist es her, da verlies die erste Heimatschachtel sachsen-anhaltinisches Territorium. Dem ersten Gruß aus der Heimat folgten bis dato achthundert Heimatschachteln. Eintausend sind für’s Erste geplant. Bis Oktober sollen alle an den Mann gebracht werden. Oder an die Frau. Hat sich denn schon mal einer gemeldet – so, zurück gemeldet? Herr Steinmann, ein Sponsor, überlegt:
""Wöchentlich werden hier Gutscheine abgegeben in der Tourist-Information. Vermutlich sind darunter auch schon welche gewesen aus der Heimatschachtel. Genau sagen kann ich Ihnen das leider nicht"."
Und Frau Löhr vom Hundertwasser-Haus, weiß das auch nicht so genau. Aber nicht vergessen hat sie, wie viel Geld sie, also ihr Haus, in die Gruß–und–komm–doch–endlich–wieder–nach–Hause– Schachtel gesteckt hat.
""Wir haben 900 Karten für eine kostenlose Führung in die Schachteln getan. Bei einem Preis von a’ sechs Euro macht das immerhin 5400 Euro, die wir da gern in die Schachtel werfen"."
Tja. Wie viele Heimatschachtel-Empfänger haben sich auf Ihren Gutschein hin denn nun gemeldet? Genau sagen konnte uns das nur die, natürlich, Chefredaktion der "Magdeburger Volksstimme". Also – hmm – gemeldet hat sich dort: genau einer.
Musikeinspielung: Ich wandre ja so gerne …
Das kennt man hier.Das kennt man hier. Das Lied. Ist von hier unten aus der Ecke. Und das Gefühl leider auch. Und Sie daheim am Radio? Würden Sie – angenommen, Sie sind gerade von Magdeburg nach Süddeutschland umgezogen, haben einen neuen Chef und neue Nachbarn, wollen Freundschaft mit Land und Leuten und der Lohntüte schließen – würden Sie sich dann ernsthaft mit dem Inhalt der Heimatschachtel beschäftigen?
Heuer: ""Ja gut, ich denke, da hat man sicherlich andere Dinge im Kopf. Würd’ trotzdem das erstmal sehr positiv – weil einem der Abschied so schwer fällt – vielleicht sehr positiv finden, die zu bekommen. Ich denke aber auch, es ist mehr die symbolische Geste, die hier abläuft, so dass dadurch einfach eine ganz, ganz hohe Presse- und Öffentlichkeitsresonanz gewesen ist, auf dieses schwierige Problem für Ostdeutschland hinzuweisen. Und wir wollen ja keine Vergreisung in Ostdeutschland"."
Herr Steinmann von der Tourist-Information – die heißt wirklich so – findet das auch. In Deutschland sollten doch alle wissen: Magdeburg an der Elbe ist wieder eine attraktive Stadt. Mit Arbeit sieht’s allerdings nicht ganz so attraktiv aus. Obwohl – Frau Löhr:
""Wer sich genau umschaut, ich denke: Arbeit gibt es. Das ist mein Eindruck, und wer ideenreich ist und aktiv, der kann hier sehr gut leben und arbeiten"."
Und Studieren. Und Kultur besichtigen. Und Ferien – äh, Urlaub machen.
""Ich erzähl’ immer gern das Beispiel eines Bielefelder Reise-Journalisten, der 1990 in der Stadt war und nicht besonders angetan war von dem, was er hier erlebt hat und gesehen hat. Und im vergangenen Jahr anlässlich des 1200- jährigen Stadtjubiläums wieder in der Stadt war und absolut positiv überrascht war. Über das viele Grün in der Stadt, die Sehenswürdigkeiten, wie sich die Stadt infrastrukturell auch entwickelt hat. Und war ganz begeistert und hat seinen Artikel auch überschrieben mit "Magdeburg ist wieder eine Reise wert". Und das passt"."
Wir freuen uns über den Reise-Journalisten. Der allerdings in Bielefeld geblieben ist. In Bielefeld! Obwohl das Hundertwasser-Haus - reizende Mischung aus Hüpfburg und Märchenschloss. Heißt auch die "grüne Zitadelle". Sieht allerdings von außen gar nicht grün aus, sondern bonbonrosa.
Und natürlich das Theater! Die "Magdeburger Bühnen" – Schauspiel, Ballett und Oper, für Magdeburger Verhältnisse ein Großbetrieb: 480 Beschäftigte. Wagen sich neuerdings auch an ganz große Sachen. Freunde des Musicals müssen nicht mehr unbedingt nach Hamburg fahren oder nach Stuttgart. Nein, Magdeburg kann’s auch! Wir sagen nur: "Fame"! Drei Stunden Spektakel mit fast hundert Künstlern auf der Bühne:
Heuer: ""Die waren so begeistert, dass also die Kritiken sich wirklich überschlagen haben. Hier vor Ort wurde in der Presse auch vom "Wunder von Magdeburg" gesprochen. Auch andernorts war man begeistert, was für ein Schauspielensemble wir haben, was sich so hervorragend mit Musical auskennt. Deswegen sind wir jetzt mutig und werden jetzt jede Spielzeit nen Musical machen. Im nächsten Jahr kommen neben "Fame", was mit Sicherheit noch ewig laufen wird, kommt noch das Musical "Hair" dazu"."
Auf den Magdeburger Bühnen geht das Licht nicht aus, anders als an den Arbeitsplätzen im Land. Na ja, 20 Prozent mehr Zuschauer als im vergangenen Jahr. Das ist ein Wachstum – leider nicht an Arbeitsplätzen im Land. Ja, Leute: Macht Theater, möchte man da rufen. Das schafft Arbeitsplätze.
""Und da hat Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung nen ganz, ganz tolles Kompliment in dieser Spielzeit über uns geschrieben, nämlich: Wir seien eine "kulturelle Wellness–Oase". Vielleicht kann ja so eine kulturelle Wellness-Oase mit dazu beitragen, dass die Menschen auch gerne in dieser Region bleiben"."
Ja nun – und was ist mit denen, die schon weg sind? Ach so, Herr Heuer wollte noch einen Gruß los werden. An alle, die eine Heimatschachtel gekriegt und womöglich unter’s Sofa geschoben haben.
""Behaltet den ganz engen Kontakt mit Magdeburg. Es tut sich hier viel, vielleicht ist hier doch früher oder später die Möglichkeit, dass ihr zurückkommen könnt, was letztlich eigentlich alle wollen"."
Und wir? Machen den Deckel drauf auf die Heimatschachtel. Aber behalten tun wir es schon – das Ostpaket für den Westen. Gut, gut – für ostdeutsche Gastarbeiter im Westen. Aber eine Frage haben wir noch: Wenn die dem Ruf der Heimat folgen, fehlen die dann nicht im Westen?