CARE Deutschland: Hilfsorganisationen erreichen nur wenige Flüchtlinge im Libanon

Moderation: Marie Sagenschneider |
Laut CARE Deutschland treffen die Hilfsorganisationen im Libanon auf immer schwierigere Bedingungen. Die Hilfsorganisationen könnten mit 100.000 bis 120.000 Flüchtlingen nur noch ungefähr ein Zehntel der durch den neuen Libanonkrieg Vertriebenen erreichen, sagte der Sprecher von CARE Deutschland, Thomas Schwarz, am Freitag im Deutschlandradio Kultur. In Beirut seien die freien Kapazitäten für Flüchtlinge bereits vollständig ausgeschöpft.
Marie Sagenschneider: Wann sollen die israelischen Truppen aus dem Libanon abziehen? Frankreich will, dass dies geschieht, sobald die libanesische Armee, wie angeboten, 15.000 Soldaten in den Süden des Landes entsandt hat. Die USA hingegen bestehen darauf, ganz im Sinne Israels, dass erst eine internationale Sicherheitstruppe einrückt. Dies ist nach wie vor der Hauptstreitpunkt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Und weil man in New York keinen Schritt vorankommt, wird der Krieg im Libanon auch so schnell nicht beendet werden, wird es noch mehr Tote geben und Verletzte und Flüchtlinge. Am schwierigsten ist sicherlich die Lage im zentralen Kampfgebiet, im Süden Libanons, wo noch 100.000 Zivilisten auf Hilfe warten sollen. Aber auch in Beirut ist man nicht sicher. Was bedeutet all dies für die Hilfsorganisationen? Thomas Schwarz ist Sprecher der Hilfsorganisation CARE Deutschland. Er hält sich gerade in Beirut auf und ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Schwarz.

Thomas Schwarz: Guten Morgen.

Sagenschneider: Das israelische Militär hat gestern Flugblätter über Beirut abgeworfen, in denen die Bewohner mehrerer südlicher Stadtviertel aufgefordert worden sind, diese Viertel zu verlassen. Wie verhalten sich die Menschen? Kommen sie dieser Aufforderung nach?

Schwarz: Ja, das scheint ganz offensichtlich so zu sein. Ich habe zum ersten Mal gestern aus Beirut selbst, aus dem Westteil der Stadt, diese Flugblätter zu Boden kommen sehen und war dann etwa eine Stunde später in einem dieser Parks, in denen sich die Flüchtlinge oder manche Flüchtlinge niedergelassen haben. Man merkte, innerhalb von anderthalb bis zwei Stunden, während ich mich in diesem Park aufgehalten habe, dass er voller wurde. Das heißt, nach solchen Aufforderungen nehmen die Menschen tatsächlich ihre Füße in die Hände und versuchen, aus diesen Gebieten irgendwohin zu kommen, wo die Flugblätter nicht gewarnt haben, dass man nicht mehr sein soll.

Sagenschneider: Wenn Sie sagen, irgendwohin, heißt das, man hat gar keine Kapazitäten mehr, sie anständig unterzubringen?

Schwarz: Nun, es ist so, wenn Sie in einer Stadt wie Beirut etwa geschätzte - man kann das ja gar nicht genau zählen -, geschätzte 90- bis 120-, 125.000 Flüchtlinge haben, und dann doch, wenn Sie alle zusammenzählen, einige tausend, die unter freiem Himmel campieren müssen, dann müssen Sie davon ausgehen, dass die Kapazitäten in Schulen, die wir auch besucht haben oder in Familien oder in anderen Möglichkeiten einfach ausgeschöpft sind. Da gibt es keinen Platz mehr.

Sagenschneider: Was, Herr Schwarz, bedeutet die Situation für Hilfsorganisationen wie die Ihre, wie CARE? Welche Hilfe können Sie leisten und was geht gar nicht?

Schwarz: Also wir können alle zusammen im Grunde genommen gar nicht viel tun. Es gibt Organisationen, die bewegen sich auch diesen sehr schwierigen, sehr gefährlichen Gebieten - wir haben das gesehen, die "Ärzte ohne Grenzen" zum Beispiel sind ja auch in Gebiete gegangen, die sehr gefährdet sind. Es ist immer eine Abwägungssache und eine Frage, ob man nicht nur sich selbst in Gefahr bringt, sondern auch die lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit CARE jetzt zum Beispiel hier in Beirut zusammen sind, ob man die auch einer solchen Gefahr aussetzt. Die Hilfsorganisationen, das hat ja Jan Egeland gestern auch ganz eindeutig gesagt, können vielleicht 100-, 120.000 Leute erreichen. Aber wenn wir davon ausgehen, dass zwischen 900.000 und einer Million Menschen auf der Flucht sind, dann sind das eben nur leider zehn Prozent, die wir erreichen können. Und nicht nur CARE, sondern auch andere Organisationen haben ja wieder und wieder und wieder an alle, das heißt an beide Krieg führenden Parteien appelliert, einen humanitären Korridor, eine Schneise der Menschlichkeit zuzulassen, das ist bisher nicht geschehen. Und solange das nicht geschieht und solange kein Waffenstillstand erreicht ist, können alle humanitären Organisationen, die Arbeit, die wir dringend machen müssen, nicht leisten.

Sagenschneider: Mit wem sind Sie denn da im Gespräch? Also wer spricht da mit wem, was diese Sicherheitskorridore anbelangt? Und gibt es Hoffnung, dass vielleicht in absehbarer Zeit solche eingerichtet oder auch zugesagt werden?

Schwarz: Na ja, wissen Sie, die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Wir denken im Grunde genommen stündlich oder zweistündlich, wenn Sie so wollen. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen. Gestern Mittag hat es um zwölf Uhr zwei Einschläge gegeben hier in der Hafennähe - das hat es vorher auch noch nicht gegeben, das fing immer frühestens halb fünf, fünf abends an. Es gibt wirklich tatsächlich von Stunde zu Stunde andere Entwicklungen. Mit wem sprechen wir? Wir sprechen mit den Vereinten Nationen. Wir sprechen als humanitäre Organisationen untereinander, also CARE mit World Vision zum Beispiel, damit wir jetzt, wo wir in einer Planungsphase sind, für den Fall, dass wir endlich anfangen können, zu arbeiten, uns nicht gegenseitig auf die Füße treten. CARE hat, wie viele andere Organisationen auch, einen eigenen Sicherheitsexperten dabei, der wiederum seine Kontakte hier zu den Behörden hat, zu den Vereinten Nationen hat. So eine humanitäre Organisation, so eine humanitäre Operation erfordert extrem viel Logistik und extrem viel Kooperation und Koordination.

Sagenschneider: In den Süden des Landes zu kommen, das scheint derzeit unmöglich. Sie sind ja auch in Beirut. Womit versorgen Sie die Menschen? Ich frage das deswegen, weil ich gelesen habe, dass Hilfslieferungen zum Teil noch nicht mal mehr den Libanon erreichen.

Schwarz: Ja, das ist in der Tat eines der Probleme. Wir haben die "Aktion Deutschland hilft", in der zehn Organisationen zusammengeschlossen sind, unter anderem eben auch CARE und World Vision und die Malteser, die Johanniter und ganz viele andere, wir haben eine Wasseraufbereitungsanlage in Zypern jetzt stehen, die ist vor einiger Zeit in Deutschland los, also vor etwa anderthalb Wochen, über Italien, ist jetzt in Zypern, in Larnaca, und wir warten eben darauf, dass wir diese Wasseraufbereitungsanlage hierher bringen können, denn die kann 10.000 Liter Wasser jeden Tag so sauber machen, dass man das Wasser auch trinken könnte. Das ist zum Beispiel etwas, was hier ganz dringend gebraucht wird: sauberes, hygienisches Wasser. In der Schule, von der ich vorhin sprach, leben zurzeit 900 Menschen etwa, Flüchtlinge, die auf jeder Etage nur eine einzige Toilette haben, für Jungs und Mädchen, Frauen und Männer. Das ist ja aus religiösen Gründen schon sehr problematisch alleine. Aber dann waschen die sich da zudem auch noch, und sie waschen ihre Wäsche dort. Da kann man sich vorstellen, dass das auf die Dauer durchaus ein Gefahrenherd ist - nicht unbedingt für Seuchen unmittelbar, aber doch für die Ausbreitung von bakteriellen Krankheiten.

Sagenschneider: Wie steht es mit der Energieversorgung? Ist die noch einigermaßen stabil?

Schwarz: Also ich würde die hier im Westen und im Osten Beiruts als einigermaßen stabil bezeichnen. Wir haben Stromausfälle hier in dem Hotel, in dem wir sind, aber auch in der Stadt, wenn man in einer Kneipe sitzt oder in einem kleinen Restaurant oder in einem Lokal, dann fällt schon mal der Strom aus. Aber das sorgt eher für Heiterkeit, weil man bisher immer erlebt hat, dass er wieder gekommen ist. Es gibt inzwischen aber auch solche Probleme mit der Treibstoffversorgung. Sehr lange Schlangen bilden sich vor den Tankstellen. Und das ist eben nicht so, dass die Leute das Benzin nicht bekommen, um ihren Wochenendausflug zu machen, sondern das ist natürlich auch ein unglaubliches Problem für die Hilfsorganisationen, die ja ihre Autos, mit denen sie durch die Gegend fahren, auch betanken müssen. Und man kann hier schon von einer wirklich extremen Treibstoffknappheit sprechen, in Beirut inzwischen.

Sagenschneider: Thomas Schwarz, Sprecher der Hilfsorganisation CARE Deutschland im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herzlichen Dank und alles Gute nach Beirut.