Campesinos in Armut

Von Victoria Eglau |
Paraguay ist weltweit eines der Länder mit der ungerechtesten Landverteilung. Der größte Teil des Landes ist dort in den Händen von ein paar Hundert Besitzern konzentriert. Neben modernen landwirtschaftlichen Großbetrieben mit Soja und Rindern kämpfen bettelarme Campesinos ums Überleben. Bis zu 200.000 von ihnen haben kein eigenes Land. Diese Situation birgt sozialen Sprengstoff. Landbesetzungen, Straßenblockaden und Bauerndemonstrationen waren in dem südamerikanischen Land in den letzten Jahren an der Tagesordnung. Präsident Lugo kennt das Elend der Campesinos und hat ihnen eine umfassende Agrarreform versprochen.
San Pedro ist eine der ärmsten Regionen Paraguays. Im Süden, im Dorf Capiibary, 330 Kilometer von der Hauptstadt Asunción entfernt, leben Narciso, Esther und ihre vier fast erwachsenen Söhne. Sie sind Kleinstbauern, Campesinos, das heißt: zehn bis zwanzig Hektar Land, ein paar Schweine und Hühner. Rund 300.000 Campesino-Familien gibt es in Paraguay, ein Großteil lebt von weniger als einem US-Dollar pro Tag, Zehntausende besitzen gar kein Land.

Esther und Narciso wohnen in einem einfachen, grünen Holzhäuschen, drei Kilometer von der Landstraße entfernt. Ein breiter Weg aus roter Erde führt zu mehreren kleinen Häusern unter Bäumen, in der auch andere Campesinos wohnen. Kinder, Hunde, Federvieh und eine Schar von Ferkeln laufen herum, in einer Ecke liegt Abfall. Narciso Ruiz, Mitte vierzig, sitzt draußen an einem Tisch vor dem Holzverschlag, in dem sich die Küche mit der Feuerstelle befindet. Der Mann mit den indianischen Gesichtszügen lässt den Blick über sein kleines Grundstück schweifen:

"Wir bauen für unseren eigenen Konsum an: Mandioca, Erdnüsse, Bohnen und Mais. Wir können so überleben, aber wir benötigen auch Hilfe von der Regierung. Wir Kleinstproduzenten brauchen Kredite, und technische Unterstützung. Beides haben wir bisher nicht bekommen."

Narcisos Frau Esther, 36 Jahre alt, rundlich, die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, nickt. Das Schicksal der Campesinos habe die Politiker nie interessiert, sagt sie bitter:

"Die Leute an der Macht kümmert nur das Geld. Das Volk, das leidet, das stirbt, weil es Hunger hat oder nicht zum Arzt kann, interessiert sie nicht. Die Situation von uns Paraguayern ist ihnen egal."

Narciso und Esther haben sich, wie viele Campesinos in Paraguay, politisch organisiert. Sie gehören zur nationalen Führung der Organisation Kampf um Land, kurz OLT. Die OLT vertritt Kleinstbauern in acht Departements von Paraguay, viele davon Campesinos ohne Land.

Ortswechsel: Im Besprechungsraum eines privaten Sozialforschungs-Institut in Paraguays Hauptstadt Asunción. Tomás Palau ist Soziologe. Der kleine, nervös wirkende Mann mit dem Schnurrbart ist spezialisiert auf den Landkonflikt. 150.000 bis 200.000 Campesinos kämpfen in Paraguay derzeit um Land, sagt Palau und zündet sich eine Zigarette an. Die andere Seite der Medaille sind die riesigen Ländereien der Großgrundbesitzer, auf einem großen Teil wächst heute die lukrative Ölsaat Soja. Die Ungerechtigkeit der Landverteilung in Paraguay ist frappierend: 2,5 Prozent der Eigentümer gehören 85 Prozent des Landes. Die sozialen Gegensätze im ländlichen Raum waren schon immer enorm, aber es gab auch Zeiten, in denen es den Campesinos besser ging. In den letzten Jahren jedoch habe ein Prozess der Verarmung stattgefunden, sagt Palau.

"1989 endete die Diktatur von General Alfredo Stroessner, und es begann eine neoliberale Agrarpolitik, die immer mehr Campesinos die wirtschaftliche Existenz raubte. Im Jahr 2000 hielt in Paraguay das genmanipulierte Saatgut von Monsanto Einzug, vor allem Gen-Soja. Von 2000 bis heute vergrößerte sich die Soja-Anbaufläche von einer Million auf 2,6 Millionen Hektar, ein rasantes Wachstum. Parallel dazu festigte sich der Viehzucht-Sektor, wegen des internationalen Anstiegs der Fleischpreise."

Im Agrarland Paraguay wird ein gutes Viertel des Bruttoinlandsprodukts auf dem Land erwirtschaftet. Die mechanisierte Landwirtschaft mit dem Anbau vor allem von Soja, Mais und Weizen dominiert den stark exportorientierten Agrarsektor. Mehr als siebzig Prozent der Ausfuhren Paraguays sind landwirtschaftliche Erzeugnisse. Soweit die Erfolgsgeschichte. Doch die Hälfte der Landbevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.

"Die Kleinstbauern sehen sich eingezwängt zwischen den Viehzüchtern auf der einen und den Soja-Produzenten auf der anderen Seite. Das hat in den letzten Jahren zu großen sozialen Konflikten auf dem Land geführt."

Ab dem Jahr 2000 begannen die Campesinos, sich mit Landbesetzungen und Straßenblockaden gegen das Agrarmodell aufzulehnen. Die vernachlässigte Schicht der Landlosen und der Kleinstbauern am Rande des Existenzminimums trug entscheidend dazu bei, dass im vergangenen Jahr Ex-Bischof Fernando Lugo ins Präsidentenamt gewählt wurde. Der Linkspolitiker Lugo hatte seinen Wahlkampf unter anderem mit dem Versprechen einer Landreform geführt.

Im Zentrum von Asunción, Tacuari-Straße 276. Das Nationale Institut für Ländliche Entwicklung, kurz INDERT, ist zuständig für die Umsetzung der Landreform. Jetzt, am frühen Abend, wirkt das alte, langgestreckte Gebäude verlassen. Alberto Alderete, seit einem Jahr Präsident des INDERT, früher Anwalt von Campesino-Organisationen, ist noch im Büro. Seine Arbeitstage sind lang. Die Verwirklichung der ganzheitlichen Agrarreform, die Präsident Lugo angekündigt hatte, ist eine Mammutaufgabe. In der Vergangenheit erschöpfte sich die Politik des INDERT in der Zuteilung von Land, aber die Campesinos sind arm geblieben. Der dunkelhaarige Mann um die vierzig wirkt müde:

"Wir haben in einem Jahr 8000 Campesino-Familien ein Stück Land übergeben. Aber nicht nur das, wir haben die neuen Ansiedlungen mit Strom und Trinkwasser versorgt, sowie Wege und Unterkünfte gebaut. Wir unterstützen die Bauern auch bei der landwirtschaftlichen Produktion, sodass sie nahrhafte, gesunde Lebensmittel für sich anbauen und den Überschuss verkaufen können."

Für Hector Cristaldo sind die bisherigen Bemühungen des Instituts für Ländliche Entwicklung nicht ausreichend. Der joviale Landwirt ist Präsident von Paraguays Union der Produktionsgenossenschaften. Diese vertritt große Agrarproduzenten, aber auch Kleinbauern mit weniger als zwanzig Hektar, denen es gelingt, einen Teil ihrer Produkte zu verkaufen. Cristaldo selbst baut auf 500 Hektar Land vor allem Soja, Mais und Weizen an. Er reist viel durchs Land, jetzt sitzt er in der Cafeteria einer Tankstelle.

"Der Zugang der Campesinos zu Land kann nur der Anfang eines umfassenden Prozesses ländlicher Entwicklung sein. Dazu gehören die technische und kaufmännische Schulung der Bauern, die Vergabe von Krediten, und die Unterstützung beim Aufbau von Vertriebsgenossenschaften. Auch Infrastrukturmaßnahmen sind notwendig. Traditionell hat man den Campesinos zehn Hektar Land gegeben und sie dann allein gelassen: ohne Haus, ohne Grundversorgung, ohne Schulen und Gesundheitszentren. Unmöglich, so voran zu kommen. Mit einem Stück Land, aber ohne richtige Arbeitsbedingungen."

Narciso Ruiz von der Campesino-Organisation Kampf um Land, OLT, kennt dieses Leben aus eigener Erfahrung. Es ist Abend geworden in der Campesino-Siedlung in Capiibary, draußen ist es kühl und dunkel. Narciso und seine Frau sitzen an der Feuerstelle in ihrer von einer Glühbirne schwach erleuchteten Küche. Esther rührt gelegentlich in einem Blechtopf, in dem ein Eintopf aus Schweinefleisch und Mandioca, einem Wurzelgemüse, köchelt. In einer Ecke wärmen sich die Hühner. Narciso weiß, was die fehlende Infrastruktur auf dem Land für Folgen hat. Viele Bauern verlassen wegen der miserablen Lebensbedingungen die ihnen vom Staat zugeteilte Parzelle.

"Fünfzig Prozent der Bauern, die vom Staat Land erhalten, verkaufen es wieder, oft an ausländische Großproduzenten. Die Brasilianer zahlen gut, das Doppelte des normalen Preises. Sie brauchen Land für den Soja-Anbau. Und die Campesinos verkaufen es ihnen und beginnen von neuem den Kampf um Land und ein Dach über dem Kopf."

Es ist ein Teufelskreis. Eines der Ziele der OLT ist, den illegalen Landverkauf zu stoppen. Die Siedlungen sollen so angelegt werden, dass sich die Campesinos gegenseitig kontrollieren – um den Verkauf von Land zu verhindern. Narciso fordert auch, die Verantwortlichen zu bestrafen – sowohl Beamte des INDERT, die das Geschäft mit staatlichem Land geschehen lassen, als auch Campesinos.

"Wir als Organisation melden dem INDERT, wenn ein Compañero sein Land verkauft. Wir wollen, dass die Campesinos auf ihrem Land leben und es beackern. Sonst wird sich die Zahl der Landlosen ja niemals verringern."

Zwar führt die Landverteilung ohne begleitende Maßnahmen nicht zum Erfolg – aber ohne ausreichend Land für die Campesinos ist die Agrarreform auch zum Scheitern verururteilt. Ihr Recht auf ein Stück Land ist in der Verfassung festgelegt. Für den Agrarsoziologen Tomás Palau in Asunción steht fest, dass der Staat diesen Anspruch erfüllen muss:

"Jeder Familie stehen zehn Hektar zu, das heißt, es werden rund zwei Millionen Hektar gebraucht. Das ist nichts im Vergleich mit der großen Menge unrechtmäßig vergebenen Landes, und mit den riesigen Ländereien der Viehzüchter und Sojaproduzenten. Mit einer radikalen Agrarreform und dem Kauf von Land für Campesinos in großem Stil könnte man das Problem lösen. Aber unsere Regierungen sind nicht in der Lage, den Interessen der Fleisch- und Sojaproduzenten entgegen zu treten."

Palau hält das Nationale Institut für Ländliche Entwicklung für ungeeignet zur Durchführung der Agrarreform. Das INDERT hat nicht den Rang eines Ministeriums und verfügt über ein sehr kleines Budget - zu klein für den Kauf des benötigten Landes. Instituts-Präsident Alberto Alderete ist sich seiner Beschränkungen bewusst – und er weiß, dass er gegen Windmühlen kämpft.

"Die Großgrundbesitzer sind eine mächtige Klasse, mit Verbindungen in die Wirtschaft, die Politik und die Justiz. Um eine gerechtere Landverteilung zu erreichen, muss es gelingen, die Justiz, die Verfassung und das Bestehende Agrarreform-Gesetz reformieren. Dieses Gesetz muss höhere Anforderungen als bisher an die landwirtschaftliche Produktivität stellen. Wenn Eigentümer auf ihrem Land nicht genug produzieren, können sie vom Staat enteignet werden."

Zu den Besitzern großer Ländereien gehören auch Deutsche. Einige, die nicht in Paraguay leben und ihre Flächen nicht bewirtschaften, will das Institut für Ländliche Entwicklung enteignen. Die Eigentümer werden entschädigt. Für Hector Cristaldo, Präsident der Union der Produktionsgenossenschaften, sind Enteignungen legitim, wenn sie gut begründet werden.

"Aber wenn ich so viel Land besäße wie das INDERT, von dem keiner weiß, wer es eigentlich nutzt, würde ich erst einmal das Haus aufräumen. Danach kann ich immer noch für Land bezahlen."

In der Praxis scheitern Landenteignungen meist an Paraguays Parlament, das sie genehmigen muss , oder werden von der Justiz gestoppt. Auch Polizei und Armee stehen bei Landkonflikten in der Regel auf Seiten der finanzkräftigen Großeigentümer. Der Wissenschaftler Tomás Palau:

"Im Parlament sitzen all die Verteidiger der Großgrundbesitzer. Und die Justiz, vom Obersten Gerichtshof bis zu den Richtern auf dem Land, entscheidet immer zugunsten derer, die Geld haben. Denn die zahlen Bestechungsgelder. Das ist der Teil der auch auf dem Land allgegenwärtigen Korruption."

Der Ort Capiibary in der Region San Pedro besteht aus ein paar an der Landstraße verstreuten Häusern und kleinen Geschäften. In einem Schuppen mit Blechdach treffen sich die Mitglieder der Organisation Kampf um Land. Einer von ihnen ist Esteban Irala, ein landloser Campesino. Seit fast einem Jahr lebt er mehrere Kilometer entfernt in einem Zeltlager vor einem Privatgrundstück.

"Das Grundstück, vor dem wir kampieren, gehört einem Holländer. Er lebt nicht in Paraguay, er hat sein Land an brasilianische Produzenten verpachtet. Sie bauen Soja und Weizen an, und versprühen chemische Unkrautmittel. Wir wollen das Land erobern, um es zu bebauen."

… sagt Esteban in gebrochenem Spanisch und nimmt einen Schluck Tereré – ein kalter Kräuteraufguss. Rund 150.000 Hektar Großgrundbesitz gebe es in der Umgebung von Capiibary, berichtet er. Und viele Besitzer hätten keinen Landtitel, seien also unrechtmäßige Eigentümer.

"Da ist einer, der hat keinen Titel für sein Land, aber verpachtet es an Brasilianer. Das muss man anzeigen oder das Land besetzen. Aber wenn wir das tun, besticht der Besitzer die Staatsanwaltschaft, damit sie das Grundstück rauemt. Ohne Landtitel! Mit Geld geht das!"

Auch ein gutes Jahr nach dem Amtsantritt von Präsident Lugo halten Campesinos in ganz Paraguay Land besetzt oder kampieren – so wie Esteban Irala – vor Großgrundbesitz. Bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften oder privaten Wachleuten gibt es immer wieder Verletzte und gelegentlich Tote. Doch Narciso Ruiz, der nationale Koordinator der Organisation Kampf um Land, sieht keine Alternative zu den Landbesetzungen.

"Leider kriegt man keinen Hektar Land ohne Kampf. Leider müssen Campesinos sterben oder inhaftiert werden, damit wir Land bekommen. Unsere eigene Siedlung wurde dreimal geräumt, dabei starb sogar ein Kind. Wir hatten das Land besetzt. Weil wir immer zurückgekommen sind, gehört das Land heute uns."

Lugo kenne die Lebenswirklichkeit der Campesinos, ist Narciso Ruiz überzeugt. Der linke Präsident hat einen guten Ruf bei der armen Landbevölkerung, aber ihre Ungeduld wächst. Bisher habe man abgewartet, aber bald würden die Bauern-Organisationen ihre Aktionen verstärken, sagt Narciso. Seine Frau Esther ist enttäuscht:

"Lugo hat dem Volk eine ganzheitliche Agrarreform versprochen, aber bisher gibt es keine Anzeichen dafür. Das Problem ist, dass Lugo allein ist. Die traditionellen Parteien im Parlament treiben ihn in die Enge, und er allein kann die Reformen nicht umsetzen."