"Camille - Verliebt nochmal!"

Von Hans-Ulrich Pönack · 14.08.2013
Was wäre, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte? Würde man wirklich vieles besser machen? Regisseurin Noémie Lvovsky lässt ihre Protagonistin plötzlich wieder 16 sein - aber mit dem Wissen von 40 Lebensjahren. Die für zwölf "Césars" nominierte Komödie plädiert dafür, den Augenblick zu genießen. Sie ist eine Zeitreise in die 80er und ein magisches, beschwingtes Leinwandjuwel.
Das Überraschende ist, dass es einen überrascht, dass sie einem auffallen, diese normalen Gesichter der Beteiligten. Nicht Schminke, werbemäßige Haarbewegungen und präparierte Gesichter dominieren hier, sondern herrliche Normalos, die in einem amüsanten Märchen mitwirken, dass einen uralten Menschheitstraum andenkt: Was wäre, wenn man zwei Leben hätte? Eines um zu probieren, und ein zweites, um mit den Erfahrungen des ersten vieles "anders", also "besser" zu machen. Dazu allerdings bedarf es – hier – einer Zeitreise.

Camille (Co-Autorin und Regisseurin Noémie Lvovsky) ist um die 40. Als Schauspielerin bekommt sie nur kleine Rollen, wenn überhaupt, und die Ehe mit Eric ist nach 25 Jahren auch ein Auslaufmodell. Irgendwie ist jetzt ziemlich viel kaputt. Auch durch den Alkohol. Was war falsch? Was habe ich verbockt? Was wäre, wenn man damals die "andere Lebensstraßenseite" benutzt hätte? Über all dies muss Camille bald intensiv nachdenken, denn nach einer feschen Silvesterfeier ist sie plötzlich wieder 16 – mit demselben "alten" Aussehen allerdings. Aber das nimmt offenbar niemand wahr. Ihre Eltern ebenso wenig wie Eric, den sie kennenlernt. Und den sie aufgrund "ihres Wissens" auf keinen Fall näher kennenlernen will.

Aber - wie ist das überhaupt: Man lebt im Gestern mit dem Jetzt-Wissen, was bald passieren wird. Wie damit umgehen? Helfen die Erfahrungen tatsächlich? Kann man "im Nachhinein" die Vergangenheit in eine "bessere Zukunft" umwandeln? Vermag man überhaupt, sich selbst zu ändern, zu verändern? Ich bin 16 und besitze die Erfahrungen einer 40-Jährigen. Was für eine Chance. Oder?

Keineswegs anstrengend, sondern lächelnd seelenbeweglich: Ein französischer Zeitreisefilm als Standortsuche von Gemüt und Gefühl. In der für gleich zwölf "Césars" nominierten Komödie plädiert dieser spannende weibliche Kobold Noémie Lvovsky (bislang in Nebenrollen - "Das Haus der Sünde"; "Lebewohl, meine Königin" - kaum wahrgenommen) für relaxte Slapstick-Melancholie: Mensch, nutze Deine Zeit, akzeptiere Verluste, genieße die vielen positiven Schwingungen!

Es sind noch die "anderen" Jugendzeiten, die Camille erlebt. 1985: Mit Nena ("99 Luftballons"), Sexy-Rauchen zu Kalter Kriegszeit, der Walkman, weder Handy, noch Internet oder soziale Netzwerke. Man muss "ganz schön ackern", um sich "Glück" anzueignen. Perspektive: Charme mit Wehmut. Die Stimmen der Eltern auf dem Kassettenrecorder. Das Chanson von Barbara und der göttliche und so herrlich exzentrische Jean-Pierre Leaud, der Ziehknabe von Francois Truffaut ("Sie küßten und sie schlugen ihn"), hat als "seltsamer Mechaniker der Zeit" einmal mehr "magische Kinopräsenz".*

Was für ein formidabler Traumbogen. Was für eine liebevolle Phantasie. Was für ein magisches, beschwingtes Leinwandjuwel. Was für eine weise "Clownin", diese temperamentvolle, faszinierende Noémie Lvovsky.

"Camillie - Verliebt nochmal!"; FR 2012; Regie: Noémie Lvovsky; Darsteller: Noémie Lvovsky, Samir Guesmi, Judith Chemla; 112 Minuten


*Zitate aus "epd-Film"