Callcenter anstelle von Uhrmachern
Wir kaufen hierzulande gern allerlei Produkte, nur preiswert müssen sie sein: Handwerker wie Schuhmacher oder Uhrmacher haben dies schon leidvoll erfahren. Weshalb sich die Schriftstellerin Katharina Döbler Gedanken macht: über unser Verhältnis zu Spezialisten und Spezialitäten.
In meiner Gegend gibt es einen Laden, der nur Wasser verkauft, verschiedene Wasser. Der Mann, der sie verkauft, ist ein Spezialist: er kann sie nach ihrem Geschmack beurteilen und unterscheidet zum Beispiel Gletscherwasser von Quellwasser, um nur ein sehr grobes Merkmal zu nennen, das angeblich auch ein Laie schmeckt. Es gibt auch ein von Spezialisten betriebenes Geschäft nur für Senf, eins nur für Seifen, und mehrere nur für Schokoladen.
Aber es gibt sie auch im Supermarkt, die vielen, die ganz speziellen Dinge. Joghurt in allen denkbaren Geschmacksrichtungen, differenziert nach Fettgehalt, 0,1 oder 1,5 oder 3,5 oder 3,7 Prozent, und Konsistenz, cremig, stichfest, locker-leicht, vom Schaf oder von der Kuh. Bio oder konventionell, ganze Früchte oder Fruchtzubereitung in einer eigenen Schicht, wahlweise oben oder unten im Becher, mit Getreidekörnern oder Kekskrümeln, rechts- oder linksdrehender Milchsäure.
Wir leben fürwahr in einer Welt der ausdifferenzierten Vielfalt, nicht nur in kulinarischer Hinsicht. All die Handys und Haarsprays, all die Putzmittel und Plastiktüten, alles gibt es für jeden nur denkbaren Zweck. Was es nicht gibt, nennt man Marktlücke und wird alsbald erfunden. Das ferne Ziel von alledem scheint zu sein, dass wir – irgendwann – einfach alles haben können. Aber das geht natürlich nicht.
Man kann nicht alles haben. Man kann nur immer mehr haben. Man kann irgendwann auch zu viel haben, dann wird man zum pathologischen Fall: zum Messie. Das sind die Leute, die irgendwann aus vollgestopften Wohnungen evakuiert werden müssen, weil sie nichts wegwerfen können. Das Wegwerfen, das systematische Vernichten von Dingen, ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Überleben in der Warengesellschaft, weshalb man sie bekanntlich Wegwerfgesellschaft nennt.
Es gab eine Zeit, da schraubten kleine Jungen und große erwachsene Geräte erst einmal auf, um zu sehen, wie sie funktionierten. Das tun sie heute nicht mehr. Nicht nur, weil viele Gehäuse aus solidem schraubenfreiem Plastikguss bestehen. Auch, weil nur ein Spezialist etwa dem Innenleben eines Mobiltelefons etwas abgewinnen könnte. Aber Spezialisten haben anderes zu tun.
Uhrmacher, die mit Zahnrädern herumfummeln? Kunststopfer, die Laufmaschen aufnehmen? Kesselflicker, die Töpfe überholen? Scherenschleifer? Puppenkliniken? Spielzeug, Strümpfe, Töpfe, Uhren, Messer stehen in zigtausend Versionen bereit. Alle zu billig, zu schnell veraltet und zu leicht ersetzbar. Die Dinge verlangen keine Sorgfalt und wachsen niemandem ans Herz.
Spezialisten sind schon längst nicht mehr die Leute, die sich darauf verstehen, Dinge zu erhalten. Sie entwickeln Neue. Ständig Neue. Bis es unendlich viele gibt. Der Markt ist voller Lücken. Nichts, was sich verkaufen lässt, unterbleibt. Während uns das Pistazien-Mint-Joghurt-Eis mit Sesam auf die dreifach gebleichte und geknitterte Hose tropft, entwickelt gerade irgendwo ein Spezialist das Aroma Cranberry-Mimose. Ein anderer ein Anti-Tropf-Eis mit gesteigerter Viskosität.
Wahrscheinlich kennen sich die beiden nicht, denn Arbeitsorganisation ist heutzutage kleinteilig. Und beide kennen die Leute im Callcenter nicht, diese Spezialisten, die die Botschaft verbreiten, dass niemand Lust hat, sich mit kaputten Dingen und dysfunktionalem Zeug zu beschäftigen, diese Sündenböcke der Warengesellschaft, die das Geschimpfe der unzufriedenen Käufer ertragen.
Man ersetzt also altes Zeug durch Neues, kauft zum Trost etwas, was man noch nie hatte, und hört im Radio, die Inlandsnachfrage sei wieder angesprungen, der Binnenkonsum habe deutlich zugelegt, die Krise sei überwunden.
Katharina Döbler, Schriftstellerin, Journalistin und Autorin in Berlin.
Redakteurin bei Le Monde diplomatique, schrieb für "NZZ", "FAZ", sowie immer noch für die "ZEIT" und Rundfunk, ein Roman ist 2011 erschienen "Die Stille nach dem Gesang".
Aber es gibt sie auch im Supermarkt, die vielen, die ganz speziellen Dinge. Joghurt in allen denkbaren Geschmacksrichtungen, differenziert nach Fettgehalt, 0,1 oder 1,5 oder 3,5 oder 3,7 Prozent, und Konsistenz, cremig, stichfest, locker-leicht, vom Schaf oder von der Kuh. Bio oder konventionell, ganze Früchte oder Fruchtzubereitung in einer eigenen Schicht, wahlweise oben oder unten im Becher, mit Getreidekörnern oder Kekskrümeln, rechts- oder linksdrehender Milchsäure.
Wir leben fürwahr in einer Welt der ausdifferenzierten Vielfalt, nicht nur in kulinarischer Hinsicht. All die Handys und Haarsprays, all die Putzmittel und Plastiktüten, alles gibt es für jeden nur denkbaren Zweck. Was es nicht gibt, nennt man Marktlücke und wird alsbald erfunden. Das ferne Ziel von alledem scheint zu sein, dass wir – irgendwann – einfach alles haben können. Aber das geht natürlich nicht.
Man kann nicht alles haben. Man kann nur immer mehr haben. Man kann irgendwann auch zu viel haben, dann wird man zum pathologischen Fall: zum Messie. Das sind die Leute, die irgendwann aus vollgestopften Wohnungen evakuiert werden müssen, weil sie nichts wegwerfen können. Das Wegwerfen, das systematische Vernichten von Dingen, ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Überleben in der Warengesellschaft, weshalb man sie bekanntlich Wegwerfgesellschaft nennt.
Es gab eine Zeit, da schraubten kleine Jungen und große erwachsene Geräte erst einmal auf, um zu sehen, wie sie funktionierten. Das tun sie heute nicht mehr. Nicht nur, weil viele Gehäuse aus solidem schraubenfreiem Plastikguss bestehen. Auch, weil nur ein Spezialist etwa dem Innenleben eines Mobiltelefons etwas abgewinnen könnte. Aber Spezialisten haben anderes zu tun.
Uhrmacher, die mit Zahnrädern herumfummeln? Kunststopfer, die Laufmaschen aufnehmen? Kesselflicker, die Töpfe überholen? Scherenschleifer? Puppenkliniken? Spielzeug, Strümpfe, Töpfe, Uhren, Messer stehen in zigtausend Versionen bereit. Alle zu billig, zu schnell veraltet und zu leicht ersetzbar. Die Dinge verlangen keine Sorgfalt und wachsen niemandem ans Herz.
Spezialisten sind schon längst nicht mehr die Leute, die sich darauf verstehen, Dinge zu erhalten. Sie entwickeln Neue. Ständig Neue. Bis es unendlich viele gibt. Der Markt ist voller Lücken. Nichts, was sich verkaufen lässt, unterbleibt. Während uns das Pistazien-Mint-Joghurt-Eis mit Sesam auf die dreifach gebleichte und geknitterte Hose tropft, entwickelt gerade irgendwo ein Spezialist das Aroma Cranberry-Mimose. Ein anderer ein Anti-Tropf-Eis mit gesteigerter Viskosität.
Wahrscheinlich kennen sich die beiden nicht, denn Arbeitsorganisation ist heutzutage kleinteilig. Und beide kennen die Leute im Callcenter nicht, diese Spezialisten, die die Botschaft verbreiten, dass niemand Lust hat, sich mit kaputten Dingen und dysfunktionalem Zeug zu beschäftigen, diese Sündenböcke der Warengesellschaft, die das Geschimpfe der unzufriedenen Käufer ertragen.
Man ersetzt also altes Zeug durch Neues, kauft zum Trost etwas, was man noch nie hatte, und hört im Radio, die Inlandsnachfrage sei wieder angesprungen, der Binnenkonsum habe deutlich zugelegt, die Krise sei überwunden.
Katharina Döbler, Schriftstellerin, Journalistin und Autorin in Berlin.
Redakteurin bei Le Monde diplomatique, schrieb für "NZZ", "FAZ", sowie immer noch für die "ZEIT" und Rundfunk, ein Roman ist 2011 erschienen "Die Stille nach dem Gesang".

Katharina Döbler© privat