Cabaret Sauvage in Paris

25 Jahre gelebte Integration

05:54 Minuten
Auf einem Neonschild vor dem Nachthimmel in Paris steht geschrieben: "Cabaret Sauvage. Paris. La Villete"
Das Cabaret Sauvage liegt im 19. Pariser Arrondissement im Parc de la Villette. Gründer Mezziane Azaïche hat es mit Geschick geschafft, Menschen aller Kulturen anzusprechen. © DR
Von Martina Zimmermann |
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Es gibt in Paris legendäre Rock- und Jazzclubs, aber nur einen Tempel der Weltmusik. Vor 25 Jahren eröffnete das Cabaret Sauvage. Das Ziel damals wie heute: Menschen jeder Herkunft zusammen- und ihnen andere Kulturen und Musikstile näherzubringen.
Akli D. ist ein algerischer Sänger und tritt immer mal wieder im Cabaret Sauvage auf, auch im Jubiläumsprogramm bis zum 6. August ist er vertreten, so wie zum Beispiel auch Yuri Buenaventura, Goran Bregovic, Takana Zion, Mo-Kalamity und Rodolphe Burger. Der Club ist wie ein Zirkuszelt gemacht, vor drei Jahren bekam er eine feste Struktur, 1200 Leute passen hinein.
DJ El Dany ist Spezialist für Latino-Musik. Er legt jeden Freitag im „Wilden Kabarett“ auf, beim Latino-Ball. „Das Cabaret Sauvage ist ein wundervoller Ort, ein bisschen wie das Gallische Dorf von Asterix und Obelix, das Widerstand leistet, allein gegen alle“, sagt er.

Das Cabaret Sauvage ist ein besonderer Ort, wo alle Kulturen der Welt ihren Platz haben.

DJ El Dany

Im Innern ist das Kabarett kuschelig, mit Holz, Velours und Spiegeln. Seit der Pandemie gibt es auch eine riesige Terrasse hinter dem Bau. Hier spielen nicht nur berühmte Interpreten und Newcomer aus dem Maghreb, aus Afrika, Brasilien, Lateinamerika oder Amerika.
Die Hälfte aller Shows wird vom Cabaret Sauvage produziert. Hinzu kommen eigene Kreationen, zum Beispiel das Musical „Barbès Café“, das die Immigrationsgeschichte der Algerier erzählt. Auch die „Verrückten Berber-Nächte“ während des Ramadan gehören zu den „hottest dates in town“.

Musik aus aller Welt, statt nur aus einer Region

Das Stammpublikum sind Menschen jeder Herkunft und jeden Alters. Im „Wilden Kabarett“ ist Integration Wirklichkeit, und das ist der politische Anspruch des Gründers Mezziane Azaïche, der selbst aus Algerien stammt.
„Als ich das Cabaret Sauvage gründete, gab es bereits Community-Denken. Ich habe deshalb zwei Jahre lang keinen Algerier ins Programm genommen, weil ich auf keinen Fall wollte, dass wir gleich in ein Getto, in eine Schublade mit Musik aus Nordafrika gesteckt werden, wo andere Musikstile keinen Platz finden“, erklärt er seine Strategie.

Ich nahm andere Musik ins Programm und als wir einmal etabliert waren, habe ich meine eigene Kultur hinzugenommen. Hätte ich das nicht gemacht, wäre ich als Konzertsaal mit Musik aus Nordafrika identifiziert worden und hätte mein Leben lang Rai, Chaabi und Kabylische Musik spielen müssen.

Mezziane Azaïche

Im Cabaret Sauvage wird auch Tanzen unterrichtet: „Mädels, Brust raus und Hintern anspannen; die Jungs richten sich auf und tun die Schultern zurück!“ Mit diesen Worten erklärt eine Tanzlehrerin die Technik des Salsa-Tanzens.
Zum Beginn des Latinoballs sind im Publikum noch ein paar Kinder – mit Ohrenstöpseln. Eine ältere Dame mit rosa Schuhen und Blumenkranz im Haar tanzt begeistert. Junge Paare stürmen auf die Tanzfläche. Freundescliquen belegen die Tische. Bereits um neun Uhr abends ist das ganze Gelände proppenvoll.

Lärmempfindliche neue Nachbarn

Die Party geht dann bis in die Morgenstunden. Was nicht ganz unproblematisch ist. „Vor langer Zeit, vor 15, 18 Jahren endeten alle Technoparaden im Cabaret Sauvage mit drei Wagen auf dem Parkplatz, wo die Leute bis in den Morgen feierten. Damals war das kein Problem. Heute spielen wir im Innern des vollen Zeltes“, berichtet Gründer Mezziane Azaïche.
„Der Sound hat sich geändert, und die Nachbarn. Heute wird das allgemeine Interesse von Individualinteressen übertrumpft. Ein einziger Nachbar, der sich beschwert, kann 1000 Leute am Tanzen hindern“, erklärt er.
Azaïche arbeitet mit konventionellen Medien wie Radio France zusammen. Heute brächten ihm die sozialen Netzwerke allerdings mehr Publikum, meint der Direktor. Er verfügt über ein Jahresbudget von fast drei Millionen Euro, Subventionen von Stadt und Region machen kaum 15 Prozent davon aus: „Wir haben eigene Einnahmen. Wir haben mehrere Bars im Cabaret. Wir verkaufen die Konzerttickets und wir vermieten das Kabarett auch. Alles, was hereinkommt, bleibt bei uns“, erklärt er.
„Alle Beteiligten werden bezahlt, auch ich bekomme ein Gehalt, aber es gibt keine Dividenden, der Gewinn bleibt für härtere Zeiten und Jahre“, fährt er fort. „Dann nehmen wir dieses Geld und machen weiter wie zuvor. Das funktioniert seit 25 Jahren.“

Als Tellerwäscher angefangen

Der 67-jährige Vater von fünf Kindern kam mit 23 Jahren aus Algerien nach Frankreich, mit Durst nach Freiheit und einem Loch in der Weste. Er jobbte als Tellerwäscher, hatte irgendwann ein Restaurant.
Heute besitze er zehn Westen ohne Loch, erzählt Meziane Azaïche lachend: „Ich blieb 25 Jahre beim Cabaret, weil es immer noch schwierig ist. Es gibt immer Herausforderungen und Dinge zu tun. Wenn ich ein Geschäft aufbaue, wird es mir langweilig, sobald der Laden funktioniert, und ich gehe woanders hin. Hier langweile ich mich nie, es gibt immer was anzupacken, das ist nie zu Ende.“
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