c/o pop statt Popkomm

Mark Chung im Gespräch mit Dieter Kassel · 12.08.2009
Während die Popkomm, die größte deutsche Musikmesse, in diesem Jahr wegen wirtschaftlicher Probleme der Musikindustrie abgesagt wurde, ist die Alternativ-Veranstaltung der unabhängigen kleinen Plattenfirmen so lebendig wie eh und je.
Dieter Kassel: Heute beginnt in Köln die c/o pop. Das ist eine Messe, die vor sechs Jahren entstanden ist, als die große Popkomm von Köln nach Berlin zog. Die cologne on pop sollte damals die Kölner so ein bisschen trösten. Und da wird es nun interessant, denn die große Popkomm, die Messe der großen Musikindustrie, die gibt es in diesem Jahr nicht mehr. Laut Dieter Gorny vom Verband der Musikindustrie gibt es sie nicht mehr, weil’s halt den großen Konzernen so schlecht geht, wegen der vielen Raubkopierer im Internet. Die kleine Messe, die c/o pop, die sich inzwischen nicht mehr so stark wie am Anfang auf die rheinische Musikszene und elektronische Musik konzentriert, sondern breiter geworden ist, diese c/o pop gibt es immer noch, und das ist ja nun wiederum, daran hat sich nichts geändert, die Messe für die kleineren Musikunternehmen, für die Independent-Labels. Was darf man daraus nun schließen, dass es die kleine Messe noch gibt und die große nicht mehr? Das wollen wir unter anderem jetzt mit Mark Chung besprechen. Er ist der Vorsitzende des Verbandes der unabhängigen Musikunternehmen. Tag, Herr Chung!

Mark Chung: Guten Tag!

Kassel: Der einfachste und auch naheliegendste Schluss ist ja, den großen Plattenfirmen geht’s schlecht und den kleinen geht es gut.

Chung: Ja, die einfachen und leider manchmal etwas voreiligen Schlüsse treffen nicht ganz den Kern der Sache. Aber es ist richtig, es geht den kleinen Musikunternehmen etwas besser als den großen. Es scheint, wir kommen etwas besser mit den tiefgreifenden strukturellen Veränderungen klar, die im Musikmarkt natürlich auch für uns stattfinden.

Kassel: Und woran liegt das?

Chung: Na ja, das ist wirklich im Bereich der Spekulation. Da ist sicher was dran an der weit verbreiteten Einschätzung, dass in kleinen Unternehmen etwas leichter ist, sich auf veränderte Marktbedingungen schneller einzustellen. Es sind nicht so große Organisationen, die erst alle strategischen Entscheidungen und Komitees durchlaufen müssen, bevor man Entscheidungen trifft, man kann da etwas schneller agieren. Aber wie gesagt, auch wenn Sie über die Popkomm und die c/o pop sprechen, die Popkomm ist durchaus auch von den kleinen und unabhängigen Firmen genutzt worden, und die c/o pop sicher überwiegender. Aber beides sind eigentlich Messen, die wir auch als strukturelle Maßnahmen durchaus genutzt haben.

Kassel: Wenn nun der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Musikindustrie, also ich sag mal jetzt ganz einfach, der großen und mittleren, Dieter Gorny, sagt, Schuld, dass wir uns dieses Jahr keine Popkomm mehr leisten können, sind die vielen Raubkopien im Internet und die für uns damit verbundenen Verluste. Wie ist das für die kleineren Plattenfirmen, leiden sie nicht unterm Internet?

Chung: Na ja, zunächst mal, ja, wir betrachten den Bundesverband Musikindustrie schon als die Interessenvertretung der multinationalen Musikkonzerne, und insofern, nein, wir sind nicht immer einverstanden mit den Dingen, die dort gesagt werden. Aber trotzdem ist es wahr, dass natürlich betreffen uns auch, betrifft uns die Situation auch, dass Musikaufnahmen im Internet überwiegend ohne Vergütung für Künstler und für die Labels, die in die Künstler investieren, abgewickelt oder genutzt werden oder wie immer wir das nennen wollen. Also ja doch, das betrifft uns natürlich auch.

Kassel: Was kann man gerade auch als mittleres und kleines Plattenlabel dagegen machen oder wie kann man damit leben?

Chung: Na ja, wir haben … Das ist ein sehr großes Thema, wir müssen da eine ganze Menge neu regeln. Wir brauchen da neue Arten, damit umzugehen und neue Modelle. Aber als kleines Unternehmen kann man natürlich vor allem sich etwas schneller verlagern in andere Bereiche. Viele unserer Mitglieder arbeiten mehr im sogenannten Verlagsbereich, einige gehen mehr in das Live-Geschäft oder konzentrieren sich auf Bereiche, aus denen sich die großen Majors zurückgezogen haben, in denen sie vielleicht mit etwas weniger Konkurrenzdruck arbeiten können. Aber grundsätzlich müssen wir das Problem genauso wie die multinationalen Firmen schon angehen und Wege finden, die Lösungen sind.

Kassel: Ich stelle mir das sehr schwierig, denn wenn wir jetzt mal ganz ehrlich uns eine Generation angucken, zu der wir beide nicht mehr ganz gehören, wenn wir ehrlich sind, die komplett mit dem Internet aufgewachsen ist, die sich vielleicht noch nie in ihrem Leben ne CD gekauft hat, von Vinyl wollen wir gar nicht erst reden, und die vielleicht auch bis heute keinen großen Unterschied sieht zwischen iTunes, Musicload und Co. und kostenlosen illegalen Angeboten, kann man die irgendwann noch dazu kriegen, für Musik, auch Musik, die ihnen wirklich klasse gefällt, wieder Geld zu zahlen?

Chung: Also wie gesagt, CDs brauch ja niemand kaufen, der sie nicht haben will, das ist natürlich irrelevant, dass man keinen Unterschied erkennt zwischen iTunes, Musicload und illegalen oder sagen wir mal unlizenzierten und unvergüteten Pear-to-Pear-Netzwerken, natürlich sieht man den Unterschied. Und was wir vielleicht tun müssen, ist noch ein bisschen genauer erklären und verbreiten, was der Unterschied ist, und vor allem müssen wir auch Modelle anbieten. Ich glaube, wir haben immer noch nicht, ich glaube, es sind ne Menge neue Modelle entstanden, auch ne Menge neue legale Modelle, aber wir haben immer noch nicht die idealen oder die ganz erstrebenswerten Modelle geschafft zu etablieren.

Kassel: Aber wird’s, denn das ist für mich die zentrale Frage, viele versuchen ja jetzt Bands genauso wie Plattenlabels – und Sie haben das auch vorhin schon erwähnt, die Dinge – mit anderen Sachen zu verdienen. Konzerte funktioniert ja gut im Moment. Man kann je nachdem, was für einen Star man hat, mit Merchandising Geld verdienen und, und, und. Aber die Frage ist, kann man dennoch irgendwie wirklich mit dem Verkauf der Songs, egal ob nun irgendwie virtuell oder doch auf irgendeinem Tonträger, überhaupt noch irgendwann wieder Geld verdienen?

Chung: Das ist sehr schwer, das ist ja gerade der Punkt, und es gibt auch Leute, die glauben, dass die Lösung darin besteht, dass man dann eben in den anderen Bereichen Geld verdient. Das Problem dabei ist nur, dass der Verkauf von Songs oder vor allem die Herstellung von Songs ein ganz wesentlicher Teil auch der Entwicklung von jungen Künstlern ist und der Entwicklung des Nachwuchses ist. Und die Tatsache, dass man große Probleme hat mit Musikaufnahmen, irgendwelches Geld zu verdienen, schafft schon strukturelle Probleme. Im Moment führt sie einfach dazu, dass es kaum noch jemand gibt, der bei jungen Künstlern in Musikaufnahmen investiert. Und das ist für junge Künstler ein Problem, das ist gar keine Frage. Viele können das teilweise selbst dadurch lösen, dass sie unter sehr günstigen Bedingungen selbst auf ihren Laptops oder wie auch immer ihre Musik produzieren, aber für manche Gruppen ist das nicht unbedingt die Lösung. Wenn man ne Rockband hat, braucht man auch mal ein Studio halt. Und wie gesagt, wenn auf die Dauer mit diesen Aufnahmen nichts zu verdienen ist, ist das ein Problem, weil niemand wird sie finanzieren dann. Und wir haben so eine Situation schon seit zwei, drei Jahren, dass es da gerade für junge Künstler große Probleme gibt. Das ist für die Etablierten wesentlich leichter, die verkaufen zwar weniger, aber immer noch genug, und wie gesagt, die, die bereits etabliert sind, haben insofern Namen, bei denen kann man mit Konzerten und Merchandising absolut Geld verdienen und für die ist das Problem auch lösbar dadurch. Aber wo wir große Probleme haben, und das gilt für die Kleinen wie für die Großen, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr für die Kleinen, weil die unabhängigen Firmen sind traditionell immer die gewesen, die den Nachwuchs entwickelt haben, wir haben große Probleme bei der Entwicklung von neuem Nachwuchs.

Kassel: Wenn wir mal versuchen, das jetzt von verschiedenen Seiten zu betrachten, Herr Chung, dann können wir das mit Ihnen sehr gut, weil sie schon auf verschiedenen Seiten gesessen haben. Sie waren bis 94 Bassist der "Einstürzenden Neubauten", Sie waren dann zehn, elf Jahre beim Major Sony Music, Sie haben einen Musikverlag, Sie sind jetzt, wie erwähnt, beim Verband der unabhängigen Musikunternehmen ganz vorne, also es gibt nicht so viele Seiten, auf denen Sie nicht schon mal waren. Wenn Sie sich jetzt das aus Sicht eines Künstlers vorstellen, ist das dann immer noch alles so komplett wahr, was Sie vorhin erzählt haben, weil natürlich viele Künstler auch sagen, durch Dinge wie MySpace, YouTube und das Internet überhaupt kann ich eben auch ohne Plattenfirmen, auch ohne, dass ich irgendeinem Artist- und Repertoire-Menschen vorher gefallen muss, Erfolg haben?

Chung: Ja, das ist was, was gerne erzählt wird, aber da müssen Sie sich die Realität ansehen. Wir haben fünf Millionen Bands auf MySpace, die da eine Seite mit Musik haben. Das Problem ist, wir haben fünf Millionen Bands und kaum jemand findet den Weg da durch, weil sehr wenige von diesen Bands werden darüber hinaus bekannt, weil ich kann sie zum Beispiel nirgends live spielen sehen, weil niemand ihre Konzerte finanziert und so weiter. Das heißt, diese Wahrheit, es wird mehr behauptet, als dass es tatsächlich stattfindet. Die Künstler, die Erfolg haben, nach wie vor, auch in der heutigen Zeit, das kann man gut oder schlecht finden, aber das sind die Künstler, die Labelpartner haben, die Vertriebspartner haben, die Leute haben, die das Marketing übernehmen, die jemanden dafür bezahlen, dass sie Musik an die Radiostationen wie bei Ihnen schicken oder die an die Presse gehen damit. Diese Dinge werden nach wie vor benötigt. Die reine Bekanntmachung über das Internet krankt etwas daran, dass wir im Internet eben ein riesiges Überangebot und auch schon ganz klar sagen, sehr viel Durchschnittliches, sehr viel Uninteressantes haben, sodass es nicht sehr leicht ist, sich da durchzufinden. Das ist ein Problem, mit dem junge Künstler … mit denen müssen Sie mal reden, da werden Sie das da sicherlich öfter hören.

Kassel: Ist aber immer Ansichtssache. Was durch die Presse gegangen ist, ist die Sängerin der "Dresden Dolls", Amanda Palmer, die diese Geschichte erzählt hat, sie habe mit Konzert und T-Shirt, das sie gedruckt hat, und anderen Geschichten, die sie über Twitter und Facebook innerhalb von 48 Stunden bekannt gemacht hat, 11.000 Dollar verdient, "Dresden Dolls" haben auch einen Major-Vertrag, und deshalb hat sie auch da zugesagt, 11.000 Dollar in drei Tagen, auf meine Weise null Dollar in einem Jahr mit dem Major. Das ist ja eine relativ eindeutige Aussage.

Chung: Ja, wie gesagt, aber woher kennen Sie die "Dresden Dolls"?

Kassel: Also ich kenne Sie aus dem Internet, aber …

Chung: Dann ist ja gut.

Kassel: Nein, aber wenn nun wirklich Musiker sagen, es geht, dann muss man doch zumindest sagen, vielleicht nicht für jeden, aber für manche geht’s auch ohne und ist das Netz ne Chance?

Chung: Das ist absolut richtig, es gibt Musiker, für die es geht. Ich kenne auch eine Menge Musiker, die beispielsweise DJs sind oder kleine Livesets spielen, die können durchaus auf ihrem Laptop ihre Musik günstig produzieren, und die brauchen auch an den Musikaufnahmen nichts zu verdienen, im Gegenteil, die sind an möglichst großer Verbreitung interessiert, weil je weiter sie verbreitet sind, desto höher sind ihre Gagen als DJs halt. Und die können zum Beispiel … Oder sie spielen manchmal mit dem Laptop halt in kleinen Livesets oder mit einem Musiker. Das ist eine völlig andere Situation für eine Band zum Beispiel, die eben wie gesagt für die Aufnahmen ein Studio braucht, weil sie Schlagzeug und Gesang und so weiter aufnehmen muss. Und wenn sie auf Tour gehen will, kann sie eben nicht im Club auftreten, hinterm DJ-Pult, sondern braucht ne Bühne, braucht Roadies, braucht ein Bus, muss Instrumente auf diese Bühne schaffen – das sind ganz andere Kostenstrukturen.

Kassel: Ich habe übrigens gerade die falsche Antwort gegeben, als Sie nach den "Dresden Dolls" gefragt haben. Wir haben sie hier im Deutschlandradio Kultur natürlich auch gespielt, ich kenn sie natürlich eigentlich hier her. Kommen wir noch mal kurz auf die c/o pop. Das ist wie viele solche Sachen, wie die Popkomm teilweise auch, als es sie noch gab, so ne Geschichte: abends Konzerte, tagsüber auch Veranstaltungen fürs Fachpublikum viel. Und da sind angekündigt Gespräche, in denen Begriffe fallen werden wie Werte 2.0 und Nachhaltigkeit in der Popmusik. Was soll das, was soll sich dahinter verbergen?

Chung: Ich hab mir die Titel nicht ausgedacht, aber ich fand den auch ganz interessant, Werte 2.0. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass auf dem Panel tatsächlich ne etwas breitere Diskussion über Werte geführt wird.

Kassel: Aber ist mit Werten gemeint, mal ganz dumm gefragt, mit Werten gemeint, dass die Leute wirklich ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich was illegal runterladen, oder was ist damit gemeint?

Chung: Wie gesagt, da ich mir den Titel nicht ausgedacht habe, kann ich nicht sagen, was damit gemeint ist, aber ich versteh den Titel so, dass über Werte gesprochen werden sollte, das finde ich im Prinzip auch richtig. Ich glaube, wenn man einen Schritt zurücknimmt und sich ansieht, wo wir sind, dann kann die ganze Diskussion im Moment, die um das Internet geführt wird, auch ein bisschen in historische Zusammenhänge einordnen, wenn man will. Ich glaube, wir haben immer technologischen Fortschritt gehabt und der ist grundsätzlich immer zu begrüßen gewesen, aber ich glaube, wir haben auch immer Phasen gehabt, in denen wir oder große Teile der Bevölkerung sehr begeistert sind vom technologischen Fortschritt. Und dann gab’s aber auch Phasen danach, wo man sich das angesehen hat und gesagt hat, okay, wenn wir jetzt Dinge wie beispielsweise die Industrialisierung oder Atomkraft völlig unreguliert vorantreiben und das ohne "checks and balances", wie die Engländer das nennen, betreiben, haben wir Zustände, die wir gar nicht unbedingt erstrebenswert finden. Sprich, wenn es, um bei dem Beispiel zu bleiben aus der Industrialisierung, bei aller Begeisterung für Industrialisierung hat man irgendwann festgestellt, okay, wir müssen gewisse Grenzen auch da ziehen, weil wir sonst mit der Natur ein paar Probleme haben, und wir brauchen Umweltschutz, um das auszubalancieren. In einer ähnlichen Situation, ich glaube, die Atomkraft, das ist wahrscheinlich gar nicht so unvergleichbar, auch da hat’s Begeisterung und zu Recht gegeben, aber irgendwann stellt man fest, okay, es ist aber, um das Ideal zu nutzen und nachhaltig nutzbar zu machen für die Menschheit, muss man auch da sich überlegen, wie balanciert man die Interessen da aus. Und ich glaube, so ähnlich ist es im Moment mit dem Internet. Das ist gar nicht so verkehrt, der Vergleich, zu sagen, okay, wir sind alle begeistert, glaube ich, vom Internet, und da gehöre ich durchaus auch dazu, und man freut sich ja auch über die Freiheit, aber natürlich muss man sich überlegen, es hat Einfluss auf die Produktionsbedingungen. Wenn wir sagen, wir wollen Musik umsonst, wir wollen alle Kulturgüter umsonst haben, dann hat das natürlich Auswirkung darauf, wie diese Kulturgüter produziert werden.

Kassel: Ich würde mal sagen, über die Werte 2.0 unterhalten wir uns noch mal im Detail nach der c/o pop, dann wissen wir auch, was die Veranstalter wirklich damit gemeint haben. Ich danke Ihnen für das Gespräch am Tag, an dem sie beginnt, die c/o pop. Mark Chung war das, der Vorsitzende des Verbands der unabhängigen Musikunternehmen in Deutschland. Danke Ihnen!