Burkhard Müller-Ullrich
Der Berlinbesuch von Rabbiner Abraham Cooper, dem Leiter des Simon Wiesenthal Zentrums, beschäftigte die Feuilletons. Außerdem Thema in dieser Woche: die Political Correctness in alten Kinderbüchern und die Brüderle-Sexismus-Debatte.
"Es ist Zufall, dass er ausgerechnet am 80. Jahrestag von Hitlers Machtergreifung hier ist. Und es ist wohl auch Zufall, dass er zur gleichen Zeit in der Stadt ist wie Ägyptens Präsident Mohammed Mursi, der Zionisten vor drei Jahren als 'Blutsauger' bezeichnet hat."
Schrieb die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am Freitag. Die Rede war von Rabbiner Abraham Cooper, dem Leiter des Simon Wiesenthal Zentrums in den USA, der nach Berlin gekommen war, um auf einer Pressekonferenz zu erläutern, warum er den deutschen Publizisten Jakob Augstein auf seine Antisemitismus-Liste gesetzt hatte.
Nachdem sich die deutschen Zeitungen schon wochenlang über diese Ernennung gefetzt hatten, gab es einen weiteren Aufguss der parteiischen Befindlichkeiten. Die SÜDDEUTSCHE, deren Redakteur Augstein mal war, bemerkte säuerlich, dass der Gescholtene zu der Pressekonferenz nicht eingeladen worden sei. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU zitierte gleich Augsteins Gegenattacke im Rundfunk Berlin-Brandenburg, wo er sich beschwert hatte, dass hier eine politische Auseinandersetzung mit unlauteren Mitteln geführt werde. DIE WELT und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hingegen berichteten über den 3D-Test für Antisemitismus, den Cooper in Anlehnung an den einstigen sowjetischen Dissidenten und späteren israelischen Politiker Nathan Scharansky auf Jakob Augstein angewendet sehen wollte. Dessen Kriterien lauten: Delegitimation, Dämonisierung und Doppelstandard.
Einfaches Beispiel: die sogenannten Ultra-Orthodoxen in Israel, denen Augstein in einem seiner Texte unterstellt hat, nach dem gleichen Recht auf Rache zu handeln wie islamische Fundamentalisten. Das sei, so Rabbi Cooper, ganz klassischer Judenhass.
"Jede Gesellschaft habe ihre Minderheiten, und die Ultra-Orthodoxen seien sicherlich eine davon. Aber sie lehrten nicht Gewalt gegenüber anderen, und er wundere sich, wie Jakob Augstein auf solch eine These komme, ohne auch nur einmal nach Israel fahren zu wollen","
berichtete DIE WELT.
Auch zwei andere Großthemen der Woche hatten schon einen gewissen Vorlauf, doch da sie sich sogar gegenseitig befruchten, ist ihre Wucht noch keineswegs verebbt. Die Rede ist von neuen Formen der Korrektheit und von den Sprachregelungen, die daraus folgen. Da ist zum einen die Sache mit den maximal pigmentierten Menschen, die sich von alten Ausdrücken in alten Kinderbüchern verletzt fühlen könnten, weshalb die Kinderbücher jetzt sprachlich aus- und umgebürstet werden. Auch Zigeuner und Eskimos sind betroffen.
"Einen Begriff zu tabuisieren, ist einfach und brutal. Es macht das Entstehen einer Haltung unmöglich","
schrieb dazu Kathrin Spoerr in der WELT. In diesem Sinne hatte ja Christine Nöstlinger gefordert, die alten Vokabeln zu belassen und allenfalls mit Fußnoten zu versehen. Nicht nur das trug ihr eine Menge Ärger ein, sondern ein Germanist fand sogar Anzeichen von Antisemitismus in ihrem preisgekrönten Kinderbuch "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig", denn diese Negativ-Figur heißt "Kumi-Ori", was hebräisch sei für "Erhebe Dich, leuchte!", einen biblischen Vers Jesajas zitiere und die Stadt Jerusalem meine. Nöstlinger erklärte daraufhin ein bisschen unbeholfen, sie habe diesen Namen in einem Gedicht von Paul Celan entdeckt, und dies wiederum führte am Donnerstag zu einer wunderbaren literaturgeschichtlichen Auflösung in der WELT, wo Marko Martin von einem Besuch bei Celans letzter Muse, der ebenfalls aus Czernowitz stammenden Ilana Shmueli in Jerusalem berichtet. Die sagte ihm nämlich:
""Sollen sich die Germanisten was dran abbeißen - ich weiß, was Paul meinte, als er ,Kumi, ori, erhebe dich, leuchte' schrieb. Es war ein Preisen eines Teils der eigenen Anatomie, die bei einem Besuch hier in Jerusalem wieder erwachte."
Womit wir bei der zweiten Korrektheits-Großdebatte dieser Woche wären, die wahlweise Affäre Brüderle, Fall Himmelreich, Stern, Aufschrei oder einfach Sexismus heißt.
"Es gibt eine gute neue Regel","
jubelte Julia Voss in der FAZ!:
""Sexistische Sprüche können gegen ihre Urheber verwendet werden. Was folgt daraus? Ganz einfach, man sollte 2013 nicht mehr versuchen, sich mit Journalistinnen über ihre Brüste zu unterhalten. Nicht vor Mitternacht, nicht nach Mitternacht, nicht mit Alkohol, nicht ohne. Die Spielregeln haben sich in nur sechs Tagen geändert, hoffentlich nicht allein im Journalismus."
In der ZEIT sekundierte ihr Tina Hildebrandt:
"Nun warnen einige vor 'amerikanischen Verhältnissen' und sehen eine neue Prüderie heraufziehen. Das sind Nebelkerzen, die von denen geworfen werden, die um ihren Einfluss fürchten. Political Correctness ist das Gängeln einer Mehrheit durch eine Minderheit zu erzieherischen Zwecken. Davon kann hier nicht die Rede sein. Frauen sind keine Minderheit. Und die Mehrheit der Männer weiß sehr wohl, wie man sich korrekt benimmt."
Soweit die ZEIT. Und selbstverständlich bot die FAZ Alice Schwarzer mit einem thematischen Rundumschlag auf.
In derselben FAZ erschien am Wochenende ein Artikel des arabischen, in Deutschland lebenden Psychologen Ahmad Mansour, der das Thema Sexismus in einen multikulturellen Kontext rückte, der die Busen-Bemerkung eines betrunkenen Brüderle sehr relativiert:
"Hier, in einem Land, in dem die Würde des Menschen laut Grundgesetz unantastbar ist, werden täglich Tausende Frauen drangsaliert, geschlagen und in ihrer Freiheit behindert. Und eine auffällig relevante Anzahl dieser Frauen lebt in traditionell geprägten migrantischen Milieus","
schreibt Mansour, wohl wissend, dass gerade seine Perspektive im sexismusdebattenseligen Deutschland auch als nicht korrekt gilt:
""Geht es etwa um eine Massenvergewaltigung in Indien oder sexuelle Übergriffe auf Frauen in Ägypten, darf das Unrecht benannt, die Kritik an einer chauvinistischen Männerkultur ausgesprochen werden, sogar in den Nachrichten. Doch diese Szenarien sind halt, gefühlt, weit weg."
Aber sogar wenn es um Bluttaten geht, ist bei uns ein Kabarettist wie Hagen Rether zur Stelle, um die Ehrenmorde unter Muslimen mit weihnachtlichen Familiendramen unter Deutschen gleichzustellen und zu verharmlosen.
Schrieb die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am Freitag. Die Rede war von Rabbiner Abraham Cooper, dem Leiter des Simon Wiesenthal Zentrums in den USA, der nach Berlin gekommen war, um auf einer Pressekonferenz zu erläutern, warum er den deutschen Publizisten Jakob Augstein auf seine Antisemitismus-Liste gesetzt hatte.
Nachdem sich die deutschen Zeitungen schon wochenlang über diese Ernennung gefetzt hatten, gab es einen weiteren Aufguss der parteiischen Befindlichkeiten. Die SÜDDEUTSCHE, deren Redakteur Augstein mal war, bemerkte säuerlich, dass der Gescholtene zu der Pressekonferenz nicht eingeladen worden sei. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU zitierte gleich Augsteins Gegenattacke im Rundfunk Berlin-Brandenburg, wo er sich beschwert hatte, dass hier eine politische Auseinandersetzung mit unlauteren Mitteln geführt werde. DIE WELT und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hingegen berichteten über den 3D-Test für Antisemitismus, den Cooper in Anlehnung an den einstigen sowjetischen Dissidenten und späteren israelischen Politiker Nathan Scharansky auf Jakob Augstein angewendet sehen wollte. Dessen Kriterien lauten: Delegitimation, Dämonisierung und Doppelstandard.
Einfaches Beispiel: die sogenannten Ultra-Orthodoxen in Israel, denen Augstein in einem seiner Texte unterstellt hat, nach dem gleichen Recht auf Rache zu handeln wie islamische Fundamentalisten. Das sei, so Rabbi Cooper, ganz klassischer Judenhass.
"Jede Gesellschaft habe ihre Minderheiten, und die Ultra-Orthodoxen seien sicherlich eine davon. Aber sie lehrten nicht Gewalt gegenüber anderen, und er wundere sich, wie Jakob Augstein auf solch eine These komme, ohne auch nur einmal nach Israel fahren zu wollen","
berichtete DIE WELT.
Auch zwei andere Großthemen der Woche hatten schon einen gewissen Vorlauf, doch da sie sich sogar gegenseitig befruchten, ist ihre Wucht noch keineswegs verebbt. Die Rede ist von neuen Formen der Korrektheit und von den Sprachregelungen, die daraus folgen. Da ist zum einen die Sache mit den maximal pigmentierten Menschen, die sich von alten Ausdrücken in alten Kinderbüchern verletzt fühlen könnten, weshalb die Kinderbücher jetzt sprachlich aus- und umgebürstet werden. Auch Zigeuner und Eskimos sind betroffen.
"Einen Begriff zu tabuisieren, ist einfach und brutal. Es macht das Entstehen einer Haltung unmöglich","
schrieb dazu Kathrin Spoerr in der WELT. In diesem Sinne hatte ja Christine Nöstlinger gefordert, die alten Vokabeln zu belassen und allenfalls mit Fußnoten zu versehen. Nicht nur das trug ihr eine Menge Ärger ein, sondern ein Germanist fand sogar Anzeichen von Antisemitismus in ihrem preisgekrönten Kinderbuch "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig", denn diese Negativ-Figur heißt "Kumi-Ori", was hebräisch sei für "Erhebe Dich, leuchte!", einen biblischen Vers Jesajas zitiere und die Stadt Jerusalem meine. Nöstlinger erklärte daraufhin ein bisschen unbeholfen, sie habe diesen Namen in einem Gedicht von Paul Celan entdeckt, und dies wiederum führte am Donnerstag zu einer wunderbaren literaturgeschichtlichen Auflösung in der WELT, wo Marko Martin von einem Besuch bei Celans letzter Muse, der ebenfalls aus Czernowitz stammenden Ilana Shmueli in Jerusalem berichtet. Die sagte ihm nämlich:
""Sollen sich die Germanisten was dran abbeißen - ich weiß, was Paul meinte, als er ,Kumi, ori, erhebe dich, leuchte' schrieb. Es war ein Preisen eines Teils der eigenen Anatomie, die bei einem Besuch hier in Jerusalem wieder erwachte."
Womit wir bei der zweiten Korrektheits-Großdebatte dieser Woche wären, die wahlweise Affäre Brüderle, Fall Himmelreich, Stern, Aufschrei oder einfach Sexismus heißt.
"Es gibt eine gute neue Regel","
jubelte Julia Voss in der FAZ!:
""Sexistische Sprüche können gegen ihre Urheber verwendet werden. Was folgt daraus? Ganz einfach, man sollte 2013 nicht mehr versuchen, sich mit Journalistinnen über ihre Brüste zu unterhalten. Nicht vor Mitternacht, nicht nach Mitternacht, nicht mit Alkohol, nicht ohne. Die Spielregeln haben sich in nur sechs Tagen geändert, hoffentlich nicht allein im Journalismus."
In der ZEIT sekundierte ihr Tina Hildebrandt:
"Nun warnen einige vor 'amerikanischen Verhältnissen' und sehen eine neue Prüderie heraufziehen. Das sind Nebelkerzen, die von denen geworfen werden, die um ihren Einfluss fürchten. Political Correctness ist das Gängeln einer Mehrheit durch eine Minderheit zu erzieherischen Zwecken. Davon kann hier nicht die Rede sein. Frauen sind keine Minderheit. Und die Mehrheit der Männer weiß sehr wohl, wie man sich korrekt benimmt."
Soweit die ZEIT. Und selbstverständlich bot die FAZ Alice Schwarzer mit einem thematischen Rundumschlag auf.
In derselben FAZ erschien am Wochenende ein Artikel des arabischen, in Deutschland lebenden Psychologen Ahmad Mansour, der das Thema Sexismus in einen multikulturellen Kontext rückte, der die Busen-Bemerkung eines betrunkenen Brüderle sehr relativiert:
"Hier, in einem Land, in dem die Würde des Menschen laut Grundgesetz unantastbar ist, werden täglich Tausende Frauen drangsaliert, geschlagen und in ihrer Freiheit behindert. Und eine auffällig relevante Anzahl dieser Frauen lebt in traditionell geprägten migrantischen Milieus","
schreibt Mansour, wohl wissend, dass gerade seine Perspektive im sexismusdebattenseligen Deutschland auch als nicht korrekt gilt:
""Geht es etwa um eine Massenvergewaltigung in Indien oder sexuelle Übergriffe auf Frauen in Ägypten, darf das Unrecht benannt, die Kritik an einer chauvinistischen Männerkultur ausgesprochen werden, sogar in den Nachrichten. Doch diese Szenarien sind halt, gefühlt, weit weg."
Aber sogar wenn es um Bluttaten geht, ist bei uns ein Kabarettist wie Hagen Rether zur Stelle, um die Ehrenmorde unter Muslimen mit weihnachtlichen Familiendramen unter Deutschen gleichzustellen und zu verharmlosen.