Bunte Vielfalt an privaten Hochschulen

Wolfgang Marquardt im Gespräch mit Susanne Führer · 29.05.2012
Viele private Hochschulen bemühten sich um "passgenaue Angebote" für bestimmte Berufsgruppen, lobt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Wolfgang Marquardt. Sie seien deshalb inzwischen ein wichtiger Bestandteil des deutschen Wissenschaftssystems.
Susanne Führer: Bildung, Bildung, Bildung - die Parole ist angekommen. Immer mehr Schüler machen Abitur, immer mehr Menschen studieren, und das an immer mehr Hochschulen. Zu den 40 kirchlichen kommen mittlerweile 108 private Hochschulen, und das ist immerhin ein Drittel aller Hochschulen in Deutschland. Wie es um deren Leistung bestellt ist, das hat nun der Wissenschaftsrat untersucht, also das wissenschaftspolitische Gremium, das die Bundesregierung und die Bundesländer in Fragen der Hochschulen berät. Vorsitzender des Wissenschaftsrates ist Professor Wolfgang Marquardt. Ich grüße Sie, Herr Marquardt, hallo!

Wolfgang Marquardt: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Bevor wir über die Qualität sprechen, lassen Sie uns doch erst mal klären: Wer studiert überhaupt an privaten Hochschulen?

Marquardt: Die privaten Hochschulen zeichnen sich durch ein wirklich breites Spektrum, eine bunte Vielfalt aus, die auch bei ihren Studierenden zu finden ist. Wir haben sozusagen den Normalfall, das heißt ein Vollzeitstudium nach der Erlangung der Hochschulreife, nach dem Abitur einerseits, wir haben aber auch im Weiterbildungsbereich berufsbegleitende Studiengänge, Studierende, die im Fernstudium studieren. Also wirklich ein buntes Spektrum, eine bunte Vielfalt ist ganz charakteristisch für den privaten Hochschulbereich.

Führer: Aber Fernstudien und berufsbegleitende Studien sind ja an den staatlichen Hochschulen nicht so üblich, oder? Kann man sagen, dass da die privaten Hochschulen so einen Schwerpunkt haben?

Marquardt: Das ist in der Tat so, dass gerade dieses Segment von den privaten Hochschulen sehr gut bedient wird, weil an den staatlichen Hochschulen das am Anfang einer Entwicklung steht und, wie Sie sagen, eben bisher noch nicht sehr gut ausgebaut ist.

Führer: Sie sprechen von der Vielfalt. Bildet die sich auch in den Studienfächern ab?

Marquardt: In den Studienfächern ist ein sehr, sehr großer Schwerpunkt im Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge zu finden. Das ist der einzige Bereich, der herausragt. Man findet natürlich viele Angebote auch in anderen Fächern. Was man weniger findet, sind naturwissenschaftliche, auch ingenieurwissenschaftliche Studiengänge sind deutlich unterrepräsentiert. Das hängt nicht zuletzt mit den Finanzierungsmodalitäten zusammen, weil eben teure Studiengänge es schwer haben, von einem privaten Bildungsanbieter auch wirklich angeboten zu werden.

Führer: Also ein Drittel aller Hochschulen in Deutschland sind private Hochschulen, aber es studieren dort nur sechs Prozent aller Studierenden. Daraus schließe ich, dass entweder die Hochschulen alle so klein sind, die privaten, oder dass es auch einen supertollen Betreuungsschlüssel gibt. Pro Professor wesentlich weniger Studenten als, sagen wir mal an der Uni Hamburg.

Marquardt: In der Tat ist es so, dass viele dieser privaten Hochschulen sehr klein sind. Wir haben aber auch eine ganze Reihe von sehr großen. Die Spannweite geht von unter 100 Studierenden bis zu deutlich über 10.000. Es ist nicht so, dass wir jetzt per se von einem besseren Betreuungsverhältnis sprechen können. Auch da ist es sehr unterschiedlich und jetzt kein systematischer Unterschied zu den staatlichen Hochschulen zu sehen. Man muss also auch da sehr genau hinschauen. Auch die Vielfalt in dieser Hinsicht ist groß im Bereich der privaten Hochschulen.

Führer: Aber Sie sind zumindest, das kann man wohl sagen, häufig wesentlich teurer als staatliche Hochschulen. Also manche nehmen bis zu 4000 Euro im Monat an Studiengebühren.

Marquardt: Das ist richtig. Es gibt natürlich an allen privaten Hochschulen Studiengebühren, und im öffentlichen, im staatlichen Bereich ist es ja so, dass wir die Studiengebühren noch in zwei Bundesländern haben, in Niedersachsen und Bayern, da gibt es also einen Unterschied. Gut, wie begründet man das? Die Betreuung ist natürlich gut, aber das äußert sich nicht jetzt in Betreuungsverhältnissen primär, sondern darin, dass in vielen Fällen die Studienangebote ganz gut und scharf auf eine bestimmte Ansprechgruppe hin zugeschnitten werden. Und das ist etwas, was die staatlichen in dieser Form nicht machen, bisher zumindest nicht machen.

Führer: Können Sie mal ein Beispiel dafür geben?

Marquardt: Also, es ist einmal das Format, das ich eben schon nannte, also Fernstudium, studienbegleitende. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Studiengängen, die traditionell nichtakademische Berufsfelder akademisieren, das heißt Studiengänge anbieten in diesem klassisch nichtakademischen Bereich. Ein Beispiel kann ich Ihnen geben: Frühkindliche Erziehung, da gibt es im staatlichen Bereich praktisch keine Angebote, das wird im nicht staatlichen aber angeboten.

Führer: Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates ist im Deutschlandradio Kultur zu Gast, wir reden über die Leistungen von privaten Hochschulen. Herr Marquardt, das war ja jetzt doch hauptsächlich ein bisschen deskriptiv sozusagen, Zahlen, Gebiete und so weiter. Wie steht es denn um die Qualität der privaten Hochschulen?

Marquardt: Die privaten Hochschulen müssen, genauso wie die staatlichen Hochschulen ihre Programme, ihre Studiengänge akkreditieren lassen. Das geht mit dem sogenannten Programmakkreditierungsverfahren, das zusätzlich zur Akkreditierung der Hochschule selbst kommt. Sodass sie, was die Qualitätssicherung angeht, denselben Kriterien genügen müssen wie auch staatliche Hochschulen.

Führer: Das ist so was wie der TÜV, ja?

Marquardt: So was wie der TÜV.

Führer: Das Auto wird zugelassen, aber es gibt ja dann trotzdem noch Lamborghini oder Polo.

Marquardt: So ist es. Darauf wollte ich gerade zurückkommen. Also, es ist natürlich so, dass damit gewisse formale Randbedingungen als erfüllt angesehen werden können, aber da es sich um ein Bildungsanbieter handelt, der eben am Markt wirklich reüssieren muss. Sie hatten schon die Studiengebühren genannt, man muss ja dafür auch was bieten, was man im öffentlichen Bereich nicht bekommen kann, und insofern bemühen sich alle nicht staatlichen natürlich sehr darum, ihre Studienangebote attraktiv zu gestalten, sie nahe an den Anforderungen eines Beschäftigungszieles zu halten und so weiter. Also da ist schon eine sehr, sehr große Aktivität da, diese passgenauen Angeboten zu machen.

Führer: Das Bemühen, ja. Aber damit ist jetzt meine Frage nach der Qualität der privaten Hochschulen noch nicht beantwortet.

Marquardt: Die Qualität, da haben Sie recht, die Qualitätsmessung von Studienangeboten ist eine schwierige Sache, das ist im nicht staatlichen und im staatlichen Bereich gleichermaßen der Fall. Was wir leicht messen, und die Akkreditierung läuft im Prinzip darauf raus, ist, was wird aufgewendet, um einen guten Studiengang zu machen. Also eine Orientierung am Eingang, am Aufwand, den ein Studium erfordert aufseiten des Anbieters. Was man aber tun müsste, ist die Qualifikation, die dadurch erreicht wird, zu messen. Und da tun nicht nur wir in Deutschland uns schwer, das in der Breite und der nötigen Tiefe zu schaffen, das ist auch international ein Thema, mit dem sich viele, viele Bildungsexperten befassen und wo wir viele Aktivitäten sehen, wie man tatsächlich Qualität messen kann. Also da eine belastbare Aussage zu machen, hat zumindest keine solide Basis. Deshalb möchte ich nicht und kann ich auch gar nicht sagen, dass die privaten jetzt besser sind als die staatlichen oder umgekehrt. Ich glaub, dass sich die beiden nichts nehmen. Das ist zumindest meine und unsere Erfahrung aus den Akkreditierungen.

Führer: Kann man vielleicht zumindest sagen, dass das Niveau der Ausbildung im Allgemeinen an den staatlichen Hochschulen höher ist, also es wird mehr geforscht, staatliche Hochschulen haben Promotionsrecht und private Hochschulen lehren häufig auf Fachhochschulniveau?

Marquardt: Man kann Hochschulen, und Sie hatten ja auch gerade schon Beispiele genannt, nicht über einen Kamm scheren. Und das ist auch eine Position des Wissenschaftsrats, dass das gut so ist, weil es dem Bedarf gerecht wird und dass wir diese Differenzierung von verschiedenen Hochschularten in der Zukunft noch sehr viel mehr verstärkt erleben werden, als es in der Vergangenheit war. Das heißt, man wird Hochschultypen finden, die eben sich auf bestimmte Segmente spezialisieren. Viele dieser privaten Hochschulen, die haben gar kein Interesse an einem Promotionsrecht zum Beispiel, weil sie, wie Sie sagen, eben als fachhochschulähnlich sich sehen und damit eine eher anwendungsorientierte Ausbildung machen, die auf eine Berufstätigkeit außerhalb der akademischen Welt und nur darauf spezifiziert ist. Das ist einfach ein anderes Profil und diese kleine Gruppe von Hochschulen, Universitäten im privaten Bereich, die das Promotionsrecht haben, die werden natürlich gemessen an den Dingen, die man auch im staatlichen Bereich erwartet von einer Universität, die das Promotionsrecht hat. Das heißt, Universitäten im privaten Bereich mit Promotionsrecht, die müssen eine große fachliche Breite aufweisen. Das heißt, die Studienfächer, die man dort studieren kann, müssen eine Breite aufweisen, und auch die Zahl der Professuren muss groß sein. Wir haben 18 Professuren uns als sinnvolle Mindestgröße überlegt. Es geht aber nicht nur um die Zahl, es geht auch um das Fächerspektrum, um die Vielfalt. Um die Vielfalt der methodischen Ansätze. Auch, wenn man nur in ein Fach hineingeht, das gewährleistet sein muss, um eben eine einer Universität gleichgestellte private Hochschule als solche anerkennen zu können.

Führer: Herr Marquardt, kurz zum Schluss, was hat denn eigentlich den Wissenschaftsrat zu dieser Aufwertung gebracht, also nicht mehr von einer Ergänzung zu sprechen, sondern dass die privaten Hochschulen ein wichtiger Bestandteil seien des deutschen Wissenschaftssystems?

Marquardt: Die Motivation für die Empfehlung, die wir abgegeben haben, war wirklich zunächst, in diesem sehr vielfältigen und bunten Bereich eine Bestandsaufnahme zu machen, eine Übersicht zu bekommen. Und auf der Basis dieser umfassenden Bestandsaufnahme ist nicht nur klar geworden, dass es eben diese sechs Prozent Studierende gibt und eine Vielzahl von Hochschulen in diesem Bereich, sondern dass eben vom nicht staatlichen Bereich wichtige Impulse ausgehen. Wir haben schon gesprochen über die Flexibilisierung von Studienangeboten, über die Akademisierung haben wir gesprochen, aber auch die Finanzierungsstrukturen, die Governance-Prinzipien, hier ist im privaten Bereich viel Interessantes passiert. Viele Unikate auch, aus denen man durchaus auch lernen kann. Und der Anteil sechs Prozent erschien uns unabhängig von diesen qualitativen Dingen als eine Größenordnung, wo man nicht mehr von einer Randerscheinung sprechen kann, sondern wo es klar ist, dass eben der private Bereich auch einen Beitrag, einen nennenswerten Beitrag zur Hochschulbildung hier in Deutschland leistet.

Führer: … sagt Professor Wolfgang Marquardt. Er ist der Vorsitzende des Wissenschaftsrates. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Marquardt!

Marquardt: Bitteschön!

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