Bunt, lebendig und gut vernetzt

Claudia Hahn-Raabe im Gespräch mit Marietta Schwarz · 29.10.2012
Es gibt vor allem in der jungen Künstlergeneration "florierende" Beziehungen zwischen deutschen und türkischen Kreativen, sagt die Leiterin des Istanbuler Goethe-Instituts, Claudia Hahn-Raabe. Und diese Kontakte seien, anders als in der Politik, nicht interessengesteuert.
Marietta Schwarz: Der türkische Ministerpräsident Erdogan besucht diese Woche Deutschland. Offizieller Anlass ist die Einweihung der neuen türkischen Botschaft in Berlin, der größten Auslandsvertretung der Türkei überhaupt. Deutschland und die Türkei pflegen enge Handelsbeziehungen, doch die Beitrittsverhandlungen stocken nach wie vor, und Erdogan benutzt seine Besuche ja auch gerne für populistische Aussagen, etwa, wenn es um Integrationsfragen geht oder die Haltung Berlins in der Kurdenfrage.

Claudia Hahn-Raabe ist Leiterin des Goethe-Instituts in Istanbul, mit ihr habe ich vor der Sendung über die deutsch-türkischen Beziehungen gesprochen und zunächst gefragt: Bei wem kann Erdogan in der Türkei mit seinen kritischen Äußerungen eigentlich punkten, Frau Hahn-Raabe?

Claudia Hahn-Raabe: Natürlich hat er den höchsten Stimmenanteil, das heißt also, er hat schon einen Großteil der Bevölkerung quasi hinter sich, das sicherlich. Allerdings, alle schauen trotzdem noch nach Europa und schauen auch, wie sich die Beziehungen weiter entwickeln. Also, ganz speziell jetzt die deutsch-türkischen Beziehungen.

Also ich kann nur aus meinem Feld sprechen, also aus dem kulturellen Feld. Also, das floriert, muss ich sagen. Wir haben so viele deutsche Künstler hier, die sich eben für die Kunstszene und für das, was hier in der Türkei passiert, interessieren, und die hier arbeiten, die hier leben, die hier auch nur kurz vorbeikommen, eine Stippvisite machen, aber die neugierig sind, und das ist das Entscheidende.

Schwarz: Deutsche Künstler, die sich für die Kunst in der Türkei interessieren oder umgekehrt?

Hahn-Raabe: Beides. Das heißt also, man kann das nicht trennen. Im Grunde genommen, mittlerweile arbeitet die junge Generation so eng zusammen, man kann das nicht mehr voneinander trennen. Und man ist neugierig: Was wird hier inszeniert in den Theatern, was ist der Schwerpunkt, wie florieren die kleinen Theater, wie können die überhaupt überleben? Wie gestalten sie ihr Leben hier? Und mit Neid schaut man auch nach Deutschland, denn in Deutschland, Gott sei Dank, gibt es eben noch eine große Unterstützung der kulturellen Szene. Ja, und von daher – die Neugierde ist einfach da.

Schwarz: Wer kommt denn zum Goethe-Institut in Istanbul zum Beispiel, um Deutschkurse zu machen, das ist ja eine der großen Aufgaben des Goethe-Instituts?

Hahn-Raabe: Richtig. Wir haben ungefähr zwei Drittel Studenten, die also irgendwann einmal in Deutschland studieren wollen oder die sich davon eben Zukunftschancen versprechen auf dem Arbeitsmarkt. Denn es sind ja immerhin zirka 7000 Niederlassungen hier in Istanbul. Das heißt also, das sind Leute, die quasi sich Arbeitschancen versprechen in der Zukunft.

Schwarz: Bei deutschen Unternehmen in Istanbul?

Hahn-Raabe: Bei deutschen Unternehmen oder türkischen Unternehmen, die mit Deutschland einen intensiven Handel haben. Und dann gibt es nach wie vor eben diejenigen, die also nach Deutschland heiraten wollen, allerdings, das ist sehr stark rückläufig.

Schwarz: Nun ist es ja so, dass mehr türkischstämmige Menschen aus Deutschland aus- als einwandern, vor allem gut ausgebildete gehen, die sehen in der Türkei bessere Zukunftschancen als hier, was von der Politik in Deutschland weitgehend ignoriert wird. Ist das für Sie ein Grund zur Sorge?

Hahn-Raabe: Nein, überhaupt nicht. Bisher macht sich das zumindest noch nicht wirklich bemerkbar. In der Tat sind sehr viele da, die in Deutschland aufgewachsen sind, die in Deutschland eine Ausbildung erhalten haben und die dann hierher kommen. Auch hier bei uns am Goethe-Institut, also die meisten Lehrer sind in Deutschland geboren und arbeiten jetzt im Goethe-Institut als Deutschlehrer. Sie haben also ein Studium gemacht in Deutschland oder auch hier in der Türkei, und haben bei uns einen Platz gefunden. Und das gilt nicht nur für uns, das gilt auch für Firmen hier in dieser Stadt. Denn hier ist es so, dass man eben hochqualifizierte Arbeitskräfte sucht und die durchaus gerade auf dem deutschen Markt findet, das ist richtig.

Schwarz: In Istanbul gibt es ja sogar einen Stammtisch für diese sogenannten Deutschländer, nennt man sie, glaube ich, also die Rückwanderer – sind Sie mit denen vernetzt?

Hahn-Raabe: Der Rückkehrerstammtisch, ja, Cigdem Akkaya betreibt den schon seit Jahren hervorragend und gibt den Menschen, die also hierherkommen, die Chance, sich untereinander zu vernetzen und zu sehen, dass sie dann sich gegenseitig helfen, wenn irgendwelche Fragen sind. Sei es eben, wie man durch den Bürokratenwust gerät oder wie man überhaupt eben sich hier zurechtfindet in dieser Stadt, und das ist ja nicht so einfach.

Schwarz: Welches Deutschlandbild versuchen Sie denn als Goethe-Institut zu verbreiten?

Hahn-Raabe: Mir geht es um eine ganz, ganz enge Vernetzung der Kunstszene und Kulturszene zwischen Deutschland und der Türkei. Und da ist ja einer der wichtigsten Eckpunkte, die wir hier haben, die Künstlerakademie "Tarabya". Hier geben wir ja Künstlern, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, die Möglichkeit, über eine längere Zeit hier in Istanbul in die Szene einzutauchen und wirklich eben auch einen Dialog anzufangen, also sich zu vernetzen in dieser Stadt.

Und darunter sind auch sehr viele wie zum Beispiel Martina Priessner, die schon lange Zeit eng vernetzt ist und auch genau in diesem Feld arbeitet. Sie ist eine Dokumentarfilmemacherin, macht jetzt einen Film über E5. Dann Mariana Salzmann, eine junge Deutsche, die in Wolgograd geboren ist und die aus der Theaterszene kommt, Theaterstücke geschrieben hat, jetzt die ersten Preise bekommen hat und die sich hier ganz begierig in die Theaterszene einlässt, um zu sehen, was hier gespielt wird und welche Theaterformen hier sind, welche Stücke gespielt werden, wie die Inszenierungen sind und so weiter.

Und diese Vernetzungen sind ganz, ganz wichtig, denn letztlich sind das die Brückenköpfe, die geschlagen werden. Und diese Kulturszene, die junge Szene ist so eng miteinander verbunden. Und das ist meiner Ansicht nach das Wichtige, weil das tragfähig ist für die Zukunft. Denn Politik ist interessengesteuert, während die Kunst, die Kultur interessiert sich dafür in dieser Form nicht. Sie ist nicht interessengesteuert, sondern sie schaut hin und legt den Finger auf die Wunde.

Schwarz: Das war Claudia Hahn-Raabe, Leiterin des Goethe-Instituts in Istanbul zum Stand der deutsch-türkischen Kulturbeziehungen. Frau Hahn-Raabe, vielen Dank für das Gespräch!

Hahn-Raabe: Ja danke schön! Auf Wiederhören.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.