Reizthema Einwanderung in den USA

Die Abstiegsangst der Weißen

Demonstration in Phoenix gegen Immigration in die USA. "No open borders" steht auf einem Protestplakat, amerikanische Flaggen werden geschwungen.
Bürger gegen Einwanderung: Politischer Populismus prägt den Alltag in den USA © picture alliance / dpa / Keystone USA k94
Yascha Mounk im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.10.2016
Die Vereinigten Staaten sind ein Einwanderungsland. Über Jahrhunderte schien das kein Problem zu sein. Inzwischen aber ist Einwanderung auch jenseits des Atlantiks zum Reizthema geworden. Warum, erklärt der Politikwissenschaftler Yascha Mounk.
Die USA stehen vor einer wegweisenden Entscheidung. Trump oder Clinton? Selten lagen zwei Bewerber um ein hohes Staatsamt in einer Demokratie so weit auseinander. Die Gesellschaft in den USA wird durch den Trumpschen Populismus und den seiner Anhänger in ihren Grundfesten erschüttert.
In diesem Kontext ist auch die Einwanderung in den USA zum Reizthema geworden. Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk, der in Harvard lehrt, sieht in der Einwanderung sogar eine Wurzel für den Populismus. Der Unterschied zu früher sei, dass Einwanderer nun den selben sozialen Status beanspruchten wie die Einheimischen, sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Yascha Mounk
Der Autor Yascha Mounk zu Gast im Deutschlandradio Kultur in Berlin.© Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi
Die weiße Mehrheit habe ihrem Eindruck nach nicht mehr dieselbe soziale, ökonomische und kulturelle Dominanz – und das rufe eine ungeheure Gegenreaktion hervor. Der viel beschworene "melting pot" sei schon länger keine akkurate Beschreibung der amerikanischen Gesellschaft mehr.
Laut Mounk gibt es immer weniger Solidarität in den USA. Früher seien die Kinder immer wohlhabender als ihre Eltern gewesen – das sei nun nicht mehr der Fall und befördere ökonomische Angst. Es entstehe eine Wut, "die sich aus dem Ökonomischen und dem Identitären speist", sagte Mounk. Und einen Populismus, der seiner Ansicht nach nicht nur das gesellschaftliche Gefüge in den USA bedroht, sondern auch jenes in Ländern wie Frankreich oder Deutschland.


Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Mit Scheideweg meinen wir in dieser Woche nicht nur, welchen Präsidenten die USA nun bekommen sollten, was wir ja erst in gut zwei Wochen wissen werden, sondern es geht um verschiedene Bereiche der amerikanischen Gesellschaft, der Politik, in denen sich zumindest in den Augen unserer Gesprächspartner unbedingt etwas ändern müsste, wo wirklich auch das Eingreifen der Politik gefragt ist.
Ich habe zum Auftakt unserer Themenwoche mit Yascha Mounk gesprochen, der war letzte Woche in Deutschland. Er ist auch in Deutschland geboren, 1982 in München, lebt aber seit Langem in den USA und unterrichtet politische Theorie an der Harvard-Universität.
Zu seinen Hauptthemen gehören Demokratiemüdigkeit und Populismus, aber auch Migration. Und ich habe ihn deshalb gefragt, ob es auch in seinen Augen so ist, dass die Einwanderung, die ja zu diesem Land, zu den USA gehört, seit es das Land gibt, dass die immer mehr eher doch als Problem gesehen wird.
Yascha Mounk: Ich glaube, es ist auf jeden Fall einer der großen Gründe, warum dieser Populismus momentan in den USA und auch in anderen Ländern aufkommt. Die Proportion an im Ausland geborenen Menschen, die heute in Amerika leben, ist so hoch, wie sie sonst nur in den 1920er-Jahren gewesen ist. Und auch damals gab es eine sehr starke Konterreaktion dagegen.
Und das Zweite ist, dass es nicht nur darum geht, wie viele Einwanderer im Land sind oder dass man akzeptiert, dass Einwanderer echte Amerikaner sein können – da sind wir in Europa noch nicht unbedingt so weit, aber das haben die Amerikaner eigentlich akzeptiert, denn es ist ja ein Land der Einwanderung, historisch. Aber der Unterschied ist, dass zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas Einwanderer denselben sozialen Status haben wollen. Dass der Präsident ein Afroamerikaner, ein Schwarzer ist. Und das bedingt, dass die weiße Mehrheit sagt, oh, wir haben nicht mehr dieselbe kulturelle, soziale, ökonomische Dominanz. Und das ruft momentan eine unglaubliche Gegenreaktion hervor.
Kassel: Ist das vielleicht ein Zeichen dafür, dass der Blick, den wir von Europa aus auf Einwanderung in den USA hatten, einfach falsch war, dieser Gedanke in Europa, das ist doch mal ein Beispiel für ein Land, in dem die multikulturelle Gesellschaft funktioniert, dieser berühmte "melting pot" New York, über den immer gesprochen wurde? War das vielleicht ein naiver Blick? Haben nicht bisher die verschiedenen Ethnien in den USA auch sehr stark nur nebeneinander her gelebt?
Mounk: Also, die Idee vom "melting pot", die in Deutschland immer noch sehr stark ist, die ist eigentlich seit Langem nicht mehr wirklich die akkurate Beschreibung über die USA. Und momentan sieht man, dass die Leute sich immer stärker auf ihre eigene Identität berufen, dass es für die Leute immer wichtiger wird, dass selbst im öffentlichen Diskurs man immer mehr sagt, "als jemand, der aus Lateinamerika kommt", "als Schwarzer finde ich, dass …". Das muss aber auch nicht unbedingt ein Problem sein. Ich glaube, es ist in Ordnung, dass es in einem Land verschiedene Gemeinschaften gibt, die einen gemeinsamen Sockel haben, eine gemeinsame Solidarität gegenüber einander haben, aber zum Teil ein bisschen anders kulturell drauf sind, anders essen, auch eher miteinander das Sozialleben abhalten als mit Leuten aus anderen Gruppen.
Das ist im Prinzip kein Problem. Was wir momentan sehen, auch von der wirtschaftlichen Stagnation befördert, ist, dass die Leute immer weniger Solidarität miteinander haben, immer weniger wollen, dass die Politik nicht nur mir was Gutes tut, sondern auch dem, der aus der anderen Gruppe kommt. Und das macht mir Sorgen.
Kassel: Woran liegt das? Hat das vor allem wirtschaftliche Gründe?
Mounk: Ich glaube, wirtschaftliche Gründe sind da sehr wichtig. Fast immer konnte der durchschnittliche Amerikaner sagen, na ja, ob ich die Politiker da in Washington mag, ob ich diese anderen Leute von den anderen Rassen und Religionen und so weiter, ob die mir sehr genehm sind, weiß ich nicht, aber na gut – ich bin doppelt so reich, wie mein Vater es war. Mein Sohn wird noch mal einiges wohlhabender sein als ich, also, ist schon in Ordnung.
Eine US-Flagge hängt in New York
US-Flagge in New York: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat seinen Glanz verloren© deutschlandradio.de / Daniela Kurz
Und mittlerweile sagen die Leute, ich bin nicht wohlhabender, als meine Eltern es waren. Meine Kinder werden vielleicht noch mal weniger wohlhabend sein. Und das befördert nicht nur eine ökonomische Angst, einen ökonomischen Ärger. Es macht es natürlich auch wahrscheinlicher, dass man sagt, und jetzt will der Staat auch noch, dass die Leute, die immer ein bisschen weniger wert waren als ich, genauso viel wert sind wie ich oder sogar mehr wert sein sollen als ich? Das heißt ja wirklich, dass ich abgehängt werde. Und ich glaube, diese Wut, die sich sowohl aus dem Ökonomischen, als auch aus diesem Identitären speist, diese Mischung erklärt, was in den USA gerade mit jemandem wir Donald Trump abgeht.
Kassel: Aber dann ist die Antwort auf meine nächste Frage ja scheinbar doch sehr einfach, denn diese Frage lautet: Was kann, was sollte und was muss denn die Politik da tun – wer auch immer die Politik in Zukunft gestalten wird in Washington? Dann wäre die logische Antwort, sie muss für soziale Gerechtigkeit sorgen. Aber das ist ja nun leichter gesagt als getan?
Mounk: Ja, also ich glaube, wenn die zwei tiefen Gründe für diesen wirklich besorgniserregenden momentanen Moment des Populismus, der wirklich eine echte Krise der Demokratie bedeutet, der unser Gesellschaftswesen, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, auch in Frankreich, Italien und so weiter, in den Grundzügen bedroht – der erste Ansatz ist zu sagen, man muss wieder dafür sorgen, dass es richtiges wirtschaftliches Wachstum gibt und der das auch bei den Leuten ankommt. Nur, das ist viel leichter gesagt als getan, denn dafür brauchen wir sehr starke internationale Kooperation bei Steuern und so weiter, und viel des Grundes ist technologisch. Es ist nicht so, wie Trump sagt, dass die ganzen Jobs nach China weggegangen sind – sehr viele dieser Jobs sind an Roboter weggegangen, und sehr viel mehr Jobs werden an Roboter weggehen in den nächsten 20, 30, 40 Jahren. Was macht man dagegen? Es gibt keine einfache Antwort.
Ein mit Holz verkleidetes Haus in den USA, im Vordergrund ein Schild, auf dem "Bank owned" steht.
Die Immobilienkrise hat der Mittelschicht in den USA schwer zugesetzt© dpa picture alliance/ Keystone USA n03
Kassel: Aber warum fallen die Menschen dann auf die einfachen Antworten, wie ein Trump sie gibt und auch einige andere, die nicht so international prominent sind, herein? Denn was ich immer nicht verstehe, was viele Europäer nicht verstehen: Trump ist doch einer der Superreichen, das heißt, er ist doch im Prinzip auch ein Symbol dieser Spaltung der Gesellschaft, denn ein zweiter Trump werden, diese Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte funktioniert ja so nicht mehr in den USA. Warum fallen die Leute dann auf jemanden rein, der – das tut er ja tatsächlich nicht – nicht aus dem Washingtoner Politik-Establishment stammt, aber doch aus dem New Yorker Reichen-Establishment?
Mounk: Menschen mögen nicht das Gefühl, machtlos zu sein. Wir wollen immer denken, dass irgendwas, das relativ einfach ist und in Greifweite liegt, uns helfen kann.
Das ist übrigens in Deutschland auch nicht anders. Wenn man jetzt sagt, man engagiert sich sehr für die Umwelt und so weiter, möchte man auch das Gefühl haben, dass das Recycling, das ich in meinem Hinterhof mache, wirklich dabei hilft, mit der Erderwärmung umzugehen. Und das macht einen winzigen Beitrag, denn das Eigentliche kommt von der Industrie und so weiter.
Und so ähnlich sieht es hier aus. Man kann den Leuten sagen, hört mal, eure Probleme sind so kompliziert, wir können irgendwie hoffen, mit diesen internationalen Kooperationen irgendwie ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit – aber wir wissen alle, es ist unwahrscheinlich, dass das wirklich klappen wird.
Oder man kann den Leuten sagen, wisst ihr was, das Problem ist, dass die Eliten korrupt sind, dass denen die Minderheiten wichtiger sind als ihr. Das ganze Ding ist ganz einfach: Sobald jemand wie ich, der für die Leute spricht, ein Populist, der für das Volk spricht, also die Stimme des Volkes in sich verkörpert, ins Amt kommt und mal so richtig aufräumt, so richtig für euch dasteht, dann sind alle Probleme gelöst.
Donald Trump steht in der letzten TV-Debatte zwischen den Präsidentschaftsbewerbern im US-Wahlkampfes am Rednerpult.
Donald Trump während der letzten TV-Debatte: Was passiert, wenn er US-Präsident wird?© picture alliance / dpa / EPA / Gary He
Diese Einfachheit ist natürlich viel leichter zu kommunizieren, und die Leute sehnen sich danach, weil es ganz schwer ist zu akzeptieren, dass die Welt so kompliziert ist, dass wir an diese Probleme kaum herankommen.
Kassel: Sagt der aus Deutschland stammende amerikanische Wissenschaftler Yascha Mounk. Er unterrichtet Politische Theorie an der Harvard-Universität. Und dieses Gespräch mit ihm war der Auftakt zu unserer Serie "Die USA am Scheideweg". Und diese Serie wird Ihnen in dieser Woche überall in unserem Programm begegnen, und Sie finden sie natürlich auch im Internet, und da ganz direkt unter der Adresse deutschlandradiokultur.de/usa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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