Bundeswehr

Militäreinsätze können nur "Ultima ratio" sein

Omid Nouripour im Gespräch mit Gabi Wuttke · 01.02.2014
Für den außenpolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, ist ein militärischer Einsatz der Bundeswehr nur die "Ultima ratio", wenn keine andere Möglichkeit mehr offen stehe, um einen Interessenkonflikt zu lösen.
Gabi Wuttke: Außenminister Frank-Walter Steinmeier machte den Anfang: Deutschland soll sich einmischen, gab er Mitte der Woche zu Protokoll. Gestern fand er Unterstützer. Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundespräsident Gauck stießen ins selbe Horn deutscher Außenpolitik. In seiner vielbeachteten Rede zur Eröffnung der Münchener Sicherheitskonferenz sagte das Staatsoberhaupt:
Gauck: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen. Deutschland wird nie rein militärische Lösungen unterstützen. Es wird politische besonnen vorgehen und alle diplomatischen Möglichkeiten ausschöpfen. Aber wenn schließlich der äußerste Fall diskutiert wird, Einsatz der Bundeswehr, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip Nein noch reflexhaft Ja sagen.
Wuttke: Der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin auf ziemlich einer Linie. Wie steht die Opposition dazu? Omid Nouripour, den außenpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, erreichen wir heute Morgen in München, denn auch er ist Gast auf der Sicherheitskonferenz. Schönen guten Morgen, Herr Nouripour!
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Ein Schelm, wer denkt, Gauck, Steinmeier und von der Leyen klingen nicht zufällig so übereinstimmend?
Nouripour: Na ja. Es gibt ja eine sehr positive Sache: So Leute wie ich fordern seit Jahren ein, dass es eine breite öffentliche Debatte geben mag über die Rolle Deutschlands in der Welt. Und jetzt haben wir sie. Darüber kann ich mich erst mal nur freuen.
Wuttke: Fällt es schwer, gegen diese Ansagen dann also zu opponieren?
Erst mal vergangene Einsätze evaluieren!
Nouripour: Wenn die Dinge falsch sind, dann muss man das ansprechen, und dann fällt auch nichts schwer. Wenn Frau von der Leyen die Tage davon spricht, dass man jetzt viel mehr in Afrika machen müsse, dann ist das einfach, so pauschal gesagt, völlig falsch. Wenn Sie sich die Einsätze der letzten Jahre anschauen, die wir nicht bisher gründlich evaluiert haben, was ein Riesenfehler ist, und das, finde ich, ist Grundvoraussetzung, bevor man pauschal weitere Einsätze fordert.
Wenn man sich die Einsätze anschaut, dann muss man feststellen, dass sie ja nicht gescheitert sind – und viele sind gescheitert, manche sind auch sehr gut gewesen –, diejenigen, die gescheitert sind, sind nicht an zu viel Militär gescheitert oder an zu wenig Militär gescheitert, sie sind gescheitert daran, dass die politischen Rahmenbedingungen nicht richtig gesetzt wurden, dass die Diplomatie nicht genug geliefert hat, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht gut gelaufen ist. Das sind die zentralen Punkte. Das heißt, es gibt definitiv, und daran ist nicht zu rütteln, und alle, die das tun wollten, würden auf unseren Widerstand stoßen, es gibt definitiv ein Gebot der Ultima Ratio, das heißt, Militär nur dann, wenn es nun wirklich nicht anders geht. Aber die anderen Bereiche, dort viel mehr Engagement reinzubringen, das ist doch das Gebot, das ist doch die Lehre der letzten Jahre.
Omid Nouripour (Bündnis90/Die Grünen)
Omid Nouripour (Bündnis90/Die Grünen)© nouripour.de
Wuttke: Welche anderen Bereiche?
Nouripour: Wie gesagt, wir haben in Afghanistan 2001 den Einsatz angefangen, und Anfang 2009 ist überhaupt daran gedacht worden erstmals, dass wir auch Institutionen brauchen in der Fläche. Dass wir eine Verwaltung brauchen in den Provinzen. Es gibt viele solche Beispiele. Die Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan zum Beispiel ist so gewesen, dass den Bauern die Lebensgrundlagen damit entzogen worden sind, ohne dass ihnen eine Alternative geliefert wurde. Diese Bereiche, da die Lehren zu ziehen, das ist doch viel zentraler als die Frage, ob wir jetzt mehr Bundeswehr irgendwo hinschicken.
Eine Forderung, die so pauschal nicht nur falsch ist, sondern auch an den Realitäten brechen wird, wenn man jetzt davon ausgehen würde, wir müssten in den Norden von Mali unbedingt mit der Bundeswehr reingehen und aufräumen und die Dschihadisten vertreiben, stellt sich die allererste, ganz banale Frage: Haben wir genug Hubschrauber dafür? Haben wir nicht. Das heißt, es geht nicht darum, wenn man jetzt mehr Engagement einfordert, dass man jetzt überall die Bundeswehr hinschickt, sondern da muss die zentrale Frage sein tatsächlich: Was sind die Interessen Deutschlands in der Welt, und wie wollen wir uns einbringen gemeinsam mit anderen in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Politik und in internationaler Kooperation, dass wir nicht im Widerspruch, sondern im Einklang mit den Interessen anderer tatsächlich auch vorankommen.
Wuttke: Für Sie ist also völlig klar, die Ultima Ratio ist tatsächlich das, was im Vordergrund steht und nicht ein verstärktes militärisches Eintreten, was wiederum ja hieße, das wäre der Gegenkurs von Guido Westerwelle?
Nouripour: Es ginge aus meiner Sicht nicht anders. Aber es geht ja nicht nur um sozusagen Kriterien, es geht nicht um Ultima Ratio. Wir haben selbstverständlich auch in diesem Land eine Kultur, eine historisch gewachsene Kultur militärischer Zurückhaltung. Und ich bin sehr, sehr dafür, dass wir diese Kultur nicht einfach in kürzester Zeit ohne, dass es dafür wirklich einen Grund gibt, einfach beiseiteschieben. Diese Kultur ist, wie gesagt, historisch gewachsen, die ist sehr gut begründet, und die ist ein Wert an sich, wenn viel mehr Regionen in der Welt eine solche Kultur entwickeln würden, kann die Welt nur besser werden.
Schauen Sie sich die Situation im südchinesischen Meer an, wo es eben nicht so ist, dass es per se, automatisch gilt, erst müssen wir miteinander sprechen. Das heißt nicht, dass man grundsätzlich Bundeswehreinsätze nicht fahren darf oder soll. Es gibt immer wieder Situationen, in denen die Unterlassung der Anwendung militärischer Gewalt zu noch größerem Übel führen kann. Aber wir müssen uns darüber bewusst sein, dass das wirklich das Letzte ist, was wir tun, wenn es nicht anders geht, und dass die Anwendung militärischer Gewalt immer nur höchstens Zeitfenster öffnen kann, damit die Diplomaten die Entwicklungszusammenarbeit und die wirtschaftliche Zusammenarbeit und vieles anderes tatsächlich durch dieses Fenster gehen können, ein Problem zu lösen.
Wuttke: Das heißt, die Ansagen aus Berlin und München sind für Sie zumindest nicht wirklich so einschneidend und neu, wie die politischen Kommentatoren heute meinen?
"Verstehe nicht immer, was Frau v on der Leyen meint"
Nouripour: Es ist durchaus möglich, dass das so gemeint ist. Bei Frau von der Leyen bin ich nicht immer sicher, ob ich verstehe, was die meint. Es kann auch eine Eingewöhnungsphase geben, die es für uns beide geben muss von hundert Tagen. Aber es kann durchaus sein, dass so manche der drei Personen, die Sie genannt haben, jetzt tatsächlich sagen, jetzt müssen wir aber viel mehr, auch militärisch, aber wie gesagt, erstens, in der kulturellen Frage wäre das aus meiner Sicht falsch, und in der Realität wird es so nicht kommen.
Wuttke: Sie haben gesagt, jetzt angestoßen durch diesen Vorstoß ist die gesellschaftliche Debatte, die Sie schon vor langer Zeit gefordert haben. Wie viel Gewicht hat denn diese Gesellschaft, hat Deutschland, die Menschen in Deutschland, in dieser Debatte.
Nouripour: Wenn Sie sich die Situation in Afghanistan anschauen, dann ist das ja so, dass dort über 100.000 vor allem aus westlichen Staaten kommende Soldaten sind, die jetzt nun alle bis Ende dieses Jahres oder die meisten von ihnen zumindest bis Ende des Jahres abziehen werden. Und das nicht, weil jetzt alles bestens ist in Afghanistan. Und dafür gibt es zwei zentrale Gründe, warum jetzt ein unfertiger Job jetzt sozusagen beendet wird. Grund eins ist, dass unsere demokratischen Öffentlichkeiten nicht mehr hinter dem Einsatz stehen.
Und deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass, wenn jemand Einsätze will, er in erster Linie sich überlegt, wie er denn dafür, wie die Gesellschaft gewinnen kann, und was denn die Gründe dafür sind, was die Ziele sind, die auch überprüfbar sein und nicht mobil wie im Falle von Afghanistan, wo wir Ziele gesetzt haben 2001, die sich im Laufe der Jahre permanent verändert haben. Und das Zweite ist, jenseits der Öffentlichkeit natürlich, wenn Sie sich die Amerikaner anschauen, spätestens nach dem Irak-Krieg ist die Kriegskasse leer. Das Geld ist nicht mehr da. Das heißt, es ist nicht zwingend so, dass jetzt auch die Amerikaner überall drauf warten, dass sie reingehen.
Wuttke: Sagt Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, ganz doll hörbar am Handy mit einem nicht mehr ganz frischen Akku, im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Herr Nouripour, besten Dank! Laden Sie Ihr Handy auf!
Nouripour: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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