Bundeswehr in Afghanistan "absolut erforderlich"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Am Mittwoch hatte der Bundestag eine Einsatzverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan um zunächst ein Jahr beschlossen. Ebenfalls am Mittwoch sprengte sich in Kabul ein Selbstmordattentäter vor einem Ausbildungszentrum für afghanische Streitkräfte in die Luft. Neun Menschen wurden getötet und 28 verletzt. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) ist seit Dienstag in Kabul.
Kolkmann: Wie sind die Reaktionen auf den Anschlag, wie groß ist die Nervosität?

Robbe: Also die Soldaten – und hier will ich dann speziell für die deutschen ISAF-Angehörigen sprechen-, gehen mit großer innerer Professionalität mit einem derartig schlimmen Terroranschlag um und trotz der Tragik, die natürlich auch mit einer derartigen Sache verbunden ist, muss ich sagen, dass die Soldaten wissen, was ihre Aufgabe ist, auch in so einer schlimmen zugespitzten Situation, und sie lassen sich nicht negativ beeindrucken von diesem schlimmen Terroranschlag, der jetzt offensichtlich auch von den Taliban verantwortet wird. Es gibt ja inzwischen ein Bekennerschreiben und insofern weiß man auch, wer die Verursacher dieses Anschlages sind.

Kolkmann: Heute werden Sie den afghanischen Verteidigungsminister treffen. Wie weit sind denn die Afghanen mit der Ausbildung ihrer Streitkräfte?

Robbe: Ich vermag im Augenblick nicht einzusehen, welchen Stand die Ausbildung hat, darüber will ich mich ja unter anderem auch informieren in meinem Gespräch mit dem Minister. Natürlich lasse ich mich auch briefen von unseren deutschen Angehörigen, die selbstverständlich sich auch ein Bild machen vom Zustand und der Qualität der Ausbildung. Aber die Afghanen befinden sich auf einem guten Weg, das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt, das muss man aber auch dazusagen, ist, dass sie noch nicht alleine gelassen werden können mit der Situation und deswegen ist nach meiner Einschätzung auch die Präsenz der internationalen ISAF-Truppe, insbesondere auch der deutschen Angehörigen, für die kommenden Jahre absolut erforderlich.

Kolkmann: Man kann sie nicht alleine lassen, man soll sie nicht alleine lassen, vor allen Dingen der Drogenanbau ist ein großes Problem und das ist vor allen Dingen das Einsatzgebiet für die afghanischen Streitkräfte. Die deutsche Bundeswehr soll da nur unterstützen. Was berichten Ihnen denn die Verantwortlichen der Bundeswehr und die Soldaten da vor Ort in Afghanistan?

Robbe: Das sind Dinge, das wissen Sie, die nicht in unserem Zuständigkeitsbereich liegen, das heißt, die deutschen ISAF-Angehörigen sind nicht befasst mit der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Das ist in erster Linie die Aufgabe der englischen und amerikanischen Verbündeten, die jetzt gerade in diesen Tagen auch wieder neue Initiativen ergreifen. Wir haben andere Aufgaben hier zu erfüllen, das heißt, die Bundeswehrangehörigen sind speziell in den so genannten PRT-Teams, den Wiederaufbauteams beschäftigt, sie sorgen dafür, dass hier in Afghanistan eine Demokratie, eine stabile Verfassung aufgebaut wird, dass die Menschen eine Perspektive haben, natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Und hier ist dann im Zusammenhang mit dem neuen Mandat auch vorgesehen, in Massar El Sharif in einer zusätzlichen Provinz ein zusätzliches PRT-Team aufzubauen. Das sind in erster Linie die Aufgaben der deutschen Bundeswehr und hier ist auch eine vernünftige Aufgabenteilung nach meiner Einschätzung gemacht worden.

Kolkmann: Sie sprechen die Ausweitung des Mandats an, die gestern der Bundestag beschlossen hat, demnächst wird die Bundeswehr von Massar El Sharif aus den ganzen Norden des Landes kontrollieren, für die Sicherheit zuständig sein und das ist ja genau da, wo die Drogenbarone eigentlich das Sagen haben. Ist das also auch eine durchaus gefährliche Mission?

Robbe: Natürlich ist es eine gefährliche Mission und auch der gestrige Terroranschlag hat noch mal deutlich vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn die Bundeswehrführung hier vor Ort davon spricht, dass die Lage weder stabil noch ruhig ist. Genau das ist damit gemeint und das muss man auch sehr sensibel außerhalb dieses Landes zur Kenntnis nehmen, wie debil und problematisch die Sicherheitslage ist. Und gerade deswegen ist es absolut erforderlich, dass jetzt nicht auf halber Strecke nach meiner Einschätzung hier Halt gemacht wird, sondern dass man konsequent weitermacht mit der Befriedung des Landes, mit der Einziehung von demokratischen Strukturen und mit dem Wiederaufbau des Landes insgesamt.

Kolkmann: Wie ist ihre Schätzung, wie lange muss da das Bundeswehrmandat noch dauern? 15, 20 oder 30 Jahre?

Robbe: Nein, ich würde nicht in solchen Dimensionen sprechen. Wir müssen halt dann auch schauen – und das war für mich jetzt auch eine neue Erkenntnis -, dass man nach einer gewissen Zeit vielleicht dann die Dinge, die bisher von der Bundeswehr gemacht wurden, auch in Polizeihände übergeben kann. Aber auf der anderen Seite sagen mir die Fachleute hier vor Ort, dass weder die afghanische Armee noch die Polizeikräfte im Augenblick in der Lage wären, alleine diese Aufgaben zu schultern. Also brauchen sie noch eine ganze Reihe von Jahren, damit sie dann wirklich selber in der Lage sind, diese Dinge zu tun. Also ich will da keine Zahlen nennen, das wäre auch unter psychologischen Gesichtspunkten, auch unter politischen Gesichtspunkten nicht gut, ich sage nur, mittelfristig ist absolut hier die Präsenz der internationalen ISAF-Truppe und auch der deutschen Truppen erforderlich.

Kolkmann: Sie sprechen ja vor allen Dingen den Wiederaufbau an, für den die Bundeswehr zuständig ist in Afghanistan, also friedenschaffende Maßnahmen. Wie stark können und wollen sich die Bundeswehrleute abgrenzen zum Anti-Terror-Kampf von enduring freedom?

Robbe: Hier ist eine sehr vernünftige Aufgabenteilung gemacht worden, weil der Auftrag, der unter der Bezeichnung enduring freedom läuft, natürlich ein sehr komplizierter und ein sehr gefahrbeladener Auftrag ist, der unter größter Geheimhaltung abläuft, und weshalb das so ist, muss ich, glaube ich, nicht erläutern. Auch unsere Angehörigen, also das heißt die Bundeswehrangehörigen, die dort miteingesetzt sind, leisten einen unglaublichen Dienst, der aber in der Öffentlichkeit naturgemäß so gar nicht wahrgenommen werden kann, weil er wie gesagt unter größer Geheimhaltung abläuft, und dieses ist nach meiner Einschätzung ebenso wie der ISAF-Auftrag mittelfristig absolut erforderlich.