Bundestrainerin Voss-Tecklenburg

Fußball ist ihr Leben

05:22 Minuten
Die Schweizer Trainerin Martina Voss-Tecklenburg gestikuliert an der Seitenlinie.
Martina Voss-Tecklenburg auf dem Platz, wo sie sich schon als Kind am wohlsten fühlte. © Carmen Jaspersen
Von Eduard Hoffmann · 26.05.2019
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Als Mädchen musste Martina Voss-Tecklenburg über einige Zäune klettern, um ihrer Leidenschaft Fußball nachzugehen. Als Nationalspielerin hat sie alles erreicht. Als Bundestrainerin steckt sie ihrer Mannschaft ein bescheidenes Minimalziel: Teilnahme an Olympia 2020.
"Die 22.000 Zuschauer feuerten an, wollten mehr, und die Tore purzelten geradezu. Freude über Freude, ein wahnsinniger Erfolg für die deutsche Mannschaft."
Beim Gewinn der ersten Europameisterschaft im eigenen Land 1989, dem Durchbruch des Mädchen- und Frauenfußballs in Deutschland, ist Martina Voss 21 Jahre alt.
"Das kannten wir ja nicht, plötzlich kamen Journalisten, wir kriegten plötzlich Autogrammwünsche, eine 'La Ola' nach der anderen. Leute, die mit Trikots, mit Fahnen, mit bemalten Gesichtern ins Stadion kamen, das hat, glaube ich, wirklich was ausgelöst für die positive Entwicklung im deutschen Frauenfußball."

Die Jungs gingen zum Fußball, Martina ging mit

Schon als Fünfjährige klettert die Rekord-Nationalspielerin zu Hause mit den Brüdern über den Zaun, um Fußball zu spielen.
"Und dann hab ich im Schulsport immer Fußball gespielt, die Jungs gingen nach rechts zum Fußball, die Mädchen gingen nach links, und Martina ist mit nach rechts gelaufen."
Den Kick im Verein verbietet jedoch die strenge Mutter. Fußball sei nichts für zarte Mädchen.
"Ich habe dann schon, ich glaube ein paar Wochen wirklich zu Hause kein Wort gesprochen, weil ich eben Fußball spielen wollte."

14 Tage nach der Entbindung wieder auf dem Platz

Irgendwann lenkt die Mutter ein. 1983 spielt die 15-jährige Gymnasiastin schon in der Frauenelf des KBC Duisburg und gewinnt den DFB-Pokal. Ein Jahr später das Debüt in der Nationalelf, beim 1:0 im EM-Qualifikationsspiel gegen Finnland.
"Ich weiß, dass Sissy Raith noch nach dem Spiel zu mir kam und gesagt hat, du hast aber ganz schön frech aufgespielt, das erzählt sie heute noch teilweise, wenn wir so von früher erzählen, was man ja schon mal gerne macht."
Selbstbewusst, ehrgeizig und zielstrebig, so hat sich die neue Bundestrainerin bis heute ihre Karriere erarbeitet, trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge. Kaum hatte sie 1994 ihre Tochter geboren, steht die im besten Sinne des Wortes Fußballverrückte, schon wieder auf dem Platz.
"Ja, ich hab 14 Tage nach der Entbindung wieder trainiert und fünf Wochen danach wieder gespielt, hatte aber noch ein bisschen Übergewicht, also ist es mir ein bisschen schwerer gefallen."

Als Fußballerin die Welt sehen

Die Familie, vor allem die älteste Schwester, hilft, wo sie kann, und ermöglicht der berufstätigen alleinerziehenden Mutter weiter die Fußball-Leidenschaft.
"Ich hab gemerkt, der Fußball macht mich glücklich, der Fußball macht mich selbstbewusster, der Fußball lässt mich als Persönlichkeit reifen, und das hat mir auch, glaub ich, geholfen, dann eine gute Mutter zu sein und in meinem normalen Leben auch, ja, glücklich zu sein und zufrieden zu sein."
Martina Voss gilt als eine der besten deutschen Fußballerinnen. Sechs Deutsche Meister-Titel, vier Pokal-Siege. Vizeweltmeisterin – und viermal Europameisterin. Sie ist 1991 bei der ersten WM in China dabei und 1996 beim ersten Olympischen Turnier der Fußballerinnen in Atlanta. Wichtig war ihr dabei immer:
"Was wir kulturell nebenher erleben durften, dass wir was von Land und Leuten mitbekommen, dass man Menschen trifft, da haben sich Freundschaften entwickelt über Nationen und Länder hinaus, und das sind Momente, die einen demütig machen, die einen aber auch stolz machen, die so wertvoll sind, die übrig bleiben und nicht, ob du das Spiel 1:0 gewonnen hast oder 2:1 verloren hast."

"Minimalziel": Für Olympia 2020 qualifizieren

Auch als Trainerin zeigt Martina Voss-Tecklenburg große Leidenschaft und fachliche Kompetenz. Sie versteht zu begeistern und mitzureißen. Mit dem FCR Duisburg gewinnt sie 2009 den UEFA-Cup, und als Nationaltrainerin führt sie die Schweiz erstmals sowohl zu einer Europa- als auch zu einer Weltmeisterschaft. 2018 dann das "I-Tüpfelchen", wie sie sagt, die Berufung zur Bundestrainerin.
"Ich fühle mich wirklich privilegiert, ich bin sehr dankbar für das, was ich alles hab erleben dürfen, und bin der absoluten Überzeugung, dass Niederlagen, Schicksalsschläge, Dinge, die im Leben nicht funktionieren, dich stärker machen, wenn du es schaffst, die einordnen zu können, immer wieder aufzustehen, immer wieder auch zu kämpfen, und das kann ich heute auch an Spielerinnen, an junge Menschen dementsprechend auch weitergeben."
Das Ganze gepaart mit kreativem Offensivspiel, das die Bundestrainerin fordert, das könnte der Nationalelf bei der WM in Frankreich zum Erfolg verhelfen und dem Mädchen- und Frauenfußball in Deutschland zu neuem Aufschwung. Doch inzwischen ist die Konkurrenz groß.
"Klar ist, wir haben ein Minimalziel, das ist, wir möchten uns für die Olympischen Spiele qualifizieren, das wird schon eine Challenge, weil es nur drei europäische Teams sind. Also, wir werden uns den Herausforderungen stellen. Am Ende möchte ich sagen können, dass wir fast immer mehrheitlich am Leistungslimit gespielt haben."
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