Bundestagsvizepräsidentin fordert Ehrenkodex für Abgeordnete
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Susanne Kastner, hat einen Ehrenkodex für Nebentätigkeiten von Abgeordneten gefordert. Abgeordnete dürfen keine Ämter übernehmen, die mit der Gewissensfreiheit des Mandats kollidierten, sagte die SPD-Politikerin.
Jörg Degenhardt: Der Mann hatte eigentlich alles, was man sich als Politiker wünschen kann: das Ohr der Kanzlerin, Macht und Einfluss in der eigenen Partei und glänzende Zukunftsaussichten. Vielleicht wollte er noch bekannter werden, auch das hat Norbert Röttgen jetzt geschafft, allerdings mit Negativschlagzeilen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ist vom Bundesverband der Deutschen Industrie vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit zum 1. Januar 2007 als neuer Hauptgeschäftsführer berufen worden. Auf sein Bundestagsmandat will er vorerst trotzdem nicht verzichten. Immerhin, nach massiver interner Kritik der früheren Chefs Henkel und Rogowski hat der BDI seinen künftigen Topmanager aufgefordert, das Mandat bis zum Frühjahr 2008 aufzugeben. Susanne Kastner, SPD, ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, guten Morgen Frau Kastner. Sie sind ja regelmäßig in Schulen, um dort von Ihrer Arbeit im Parlament zu berichten. Wie erklären Sie jungen Leuten, dass ein gewählter Volksvertreter im Bundestag sitzt und Gesetze beschließt und gleichzeitig die Interessen eines Industrieverbandes vertritt und dafür Geld bekommt?
Susanne Kastner: Das kann man nicht erklären. Weil das einfach nicht richtig ist. Und so sage ich das den Schülern auch.
Degenhardt: Aber ist der Ruf der Politiker nicht eh ruiniert?
Kastner: Ja natürlich. Und solche Einzelfälle verstärken natürlich dieses Negativgefühl gegenüber der Politik noch. Und das muss sich auch Herr Röttgen einmal überlegen.
Degenhardt: Aber es sind ja keine Einzelfälle. Warum flammt jetzt erst Empörung auf, wo doch der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber mit dem CDU-Politiker Reinhard Göhner seit langem ebenfalls einen Hauptgeschäftsführer hat, der auch im Bundestag sitzt.
Kastner: Ja, das ist der zweite Einzelfall, würde ich jetzt sagen. Also es sind schon Einzelfälle. Bei 607 Abgeordneten sind das nach wie vor Einzelfälle. Und das heißt ja immer: Die Politik verdirbt den Charakter. Aber ich glaube eher, dass Charaktere die Politik verderben.
Degenhardt: Inwiefern?
Kastner: Wenn sie für einen Verband arbeiten, dann vertreten sie eine gewisse Richtung. Dann sind sie in Ihrer Entscheidung als Abgeordneter meines Erachtens nicht mehr frei. Und sie sind aber frei gewählter Abgeordneter, sie sind eigentlich ihrem Gewissen verpflichtet - natürlich auch Sachargumenten, das ist überhaupt keine Frage, das ist ja in der Politik so üblich -, aber sie können das dann nicht mehr frei machen, weil sie eben Lobbyist sind für einen Bereich.
Degenhardt: Auch Ihre Partei hat oder hatte Abgeordnete, die gleichzeitig verantwortungsvolle Posten zum Beispiel bei Gewerkschaften innehatten. Wo fängt denn Lobbyarbeit, die sich mit der eigentlichen Tätigkeit im Parlament nicht verträgt, an?
Kastner: Ja, sehen Sie, da haben wir auch unsere Negativerfahrungen gemacht. Der Herr Schösser hat aufgehört als Abgeordneter - allerdings am Ende der Legislaturperiode; Herr Wiesehügel ist nicht mehr gewählt worden. Ich finde, solche Dinge sollte man trennen.
Degenhardt: Was heißt das für den konkreten Fall Röttgen? Muss der jetzt zum 1. Januar sein Mandat niederlegen?
Kastner: Also er muss überhaupt nichts. Er sollte es. Es gibt ja keine Gesetzesgrundlage, dass er das muss. Er sollte es - im Interesse im Übrigen der Industrie und im Interesse seines Bundestagsmandates.
Degenhardt: Braucht es denn, Frau Kastner, striktere Festlegungen, um eine Wiederholung des Falls Röttgen auszuschließen?
Kastner: Ach wissen Sie, ich glaube nicht, dass man das mit irgendwelchen Gesetzesregelungen dann regeln kann. Ich glaube eher, dass man sich mal unterhalten soll über so eine Art Ehrenkodex, wo man sagen kann: Okay, an den halten sich die Abgeordneten oder sie halten ihn nicht. Aber er muss mal irgendwann diskutiert werden, er muss mal formuliert werden.
Degenhardt: Wer soll das übernehmen?
Kastner: Das muss der Deutsche Bundestag übernehmen. Da muss das Präsidium federführend sein, das ist klar.
Degenhardt: Erkennen Sie den so etwas wie Bereitschaft, dies auch in nächster Zeit mal zu tun?
Kastner: Also wir haben jetzt im Detail darüber noch nicht gesprochen. Aber ich kann mir vorstellen, dass das sehr wohl Diskussionsgrundlage wird und dass man dann auch mal über die Geschäftsführer - das läuft ja immer so: Präsidium, Geschäftsführer der Fraktionen -, da in den Diskussionsprozess reinkommt. Das, was hier läuft, ist nicht gut.
Degenhardt: Was soll in diesem Kodex stehen?
Kastner: Dass Abgeordnete keine Ämter übernehmen, die kollidieren mit der Gewissensfreiheit ihres Mandates.
Degenhardt: Nun gibt es ja Erfahrungen mit anderen Kodexen dieser Art. Sie haben es ja auch selbst angedeutet: Die können eingehalten werden oder auch nicht. Wie wäre es denn mit einem generellen Verbot von Nebentätigkeiten?
Kastner: Das können Sie nicht machen, denn Sie haben ja Freiberufler dabei und dann würden Sie ja quasi die berufliche Existenz von Abgeordneten vernichten. Und Sie wissen, dass Abgeordnete ein Mandat auf Zeit haben, dass sie sehr schnell abgewählt werden können, dass sie sehr schnell sagen können: Okay, ich will jetzt nicht mehr kandidieren, und damit würden Sie die Existenzgrundlage von Kollegen kaputtmachen. Deswegen ist es nicht ganz so einfach, dass man sagt, man verbietet jetzt generell Nebentätigkeiten. Es gibt Fälle bei uns, die haben als Ärzte gearbeitet, die wurden dann in der darauf folgenden Wahl nicht mehr gewählt, die mussten in ihre Arztpraxis zurück. Und wenn Sie generell verbieten, dass sie während ihres Mandates da nicht drin bleiben dürfen, weil es eine Nebentätigkeit für sie ist, dann hätten die nie mehr die Möglichkeit, als Freiberufler beziehungsweise als Selbständiger zurückgehen zu können. Insofern ist eine Gesetzesregelung schon ein bisschen schwieriger.
Degenhardt: Müssen nicht auch BDI und BDA, also die Industrieverbände, klare Regelungen treffen für ihre Lobbyisten?
Kastner: Ja das finde ich ja wunderbar, dass die Industrie jetzt selber den Herrn Röttgen auffordert. Sie haben aber gewusst, als sie ihn gewählt haben, dass er eben sein Mandat nicht abgeben will, und sie haben ihn trotzdem gewählt. Die Klage kommt jetzt hinterher. So was muss man vorher klären, vor der Wahl.
Degenhardt: Wenn sich zwei ehemalige - wohlgemerkt: zwei ehemalige - Chefs des BDI gegen den "doppelten Röttgen" aussprechen, sage ich mal, der aktuelle erste Mann des Industrieverbandes aber schweigt: Ist er denn damit nicht auch beschädigt?
Kastner: Natürlich ist er mit beschädigt. Und ich finde auch, er hätte gut daran getan - ich habe es ja gerade schon gesagt, ich will mich auch nicht wiederholen -, aber er hätte gut daran getan, das vor der Wahl von Herrn Röttgen in den BDI zu klären und nicht im Nachhinein. Und jetzt zu schweigen, weil er natürlich - natürlich ist er beschädigt.
Degenhardt: Vielleicht hat man auch dort den Fall unterschätzt, dass sich die Zeiten geändert haben, der Bürger, der Wähler heute vielleicht empfindlicher reagiert als noch vor zehn Jahren?
Kastner: Ja die Presse reagiert auf jeden Fall empfindlicher. Und ich finde das auch gut so. Denn, es geht nicht um Hetzkampagnen, sondern es geht darum, dass man solche Dinge eben dann auch vermeidet, wenn es um Interessenkollisionen geht. Der Bürger reagiert dann auch empfindlich, wenn er es von der Presse mitgeteilt bekommt. Und das ist gut, dass in unserer Gesellschaft so eine Diskussion mal beginnt.
Susanne Kastner: Das kann man nicht erklären. Weil das einfach nicht richtig ist. Und so sage ich das den Schülern auch.
Degenhardt: Aber ist der Ruf der Politiker nicht eh ruiniert?
Kastner: Ja natürlich. Und solche Einzelfälle verstärken natürlich dieses Negativgefühl gegenüber der Politik noch. Und das muss sich auch Herr Röttgen einmal überlegen.
Degenhardt: Aber es sind ja keine Einzelfälle. Warum flammt jetzt erst Empörung auf, wo doch der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber mit dem CDU-Politiker Reinhard Göhner seit langem ebenfalls einen Hauptgeschäftsführer hat, der auch im Bundestag sitzt.
Kastner: Ja, das ist der zweite Einzelfall, würde ich jetzt sagen. Also es sind schon Einzelfälle. Bei 607 Abgeordneten sind das nach wie vor Einzelfälle. Und das heißt ja immer: Die Politik verdirbt den Charakter. Aber ich glaube eher, dass Charaktere die Politik verderben.
Degenhardt: Inwiefern?
Kastner: Wenn sie für einen Verband arbeiten, dann vertreten sie eine gewisse Richtung. Dann sind sie in Ihrer Entscheidung als Abgeordneter meines Erachtens nicht mehr frei. Und sie sind aber frei gewählter Abgeordneter, sie sind eigentlich ihrem Gewissen verpflichtet - natürlich auch Sachargumenten, das ist überhaupt keine Frage, das ist ja in der Politik so üblich -, aber sie können das dann nicht mehr frei machen, weil sie eben Lobbyist sind für einen Bereich.
Degenhardt: Auch Ihre Partei hat oder hatte Abgeordnete, die gleichzeitig verantwortungsvolle Posten zum Beispiel bei Gewerkschaften innehatten. Wo fängt denn Lobbyarbeit, die sich mit der eigentlichen Tätigkeit im Parlament nicht verträgt, an?
Kastner: Ja, sehen Sie, da haben wir auch unsere Negativerfahrungen gemacht. Der Herr Schösser hat aufgehört als Abgeordneter - allerdings am Ende der Legislaturperiode; Herr Wiesehügel ist nicht mehr gewählt worden. Ich finde, solche Dinge sollte man trennen.
Degenhardt: Was heißt das für den konkreten Fall Röttgen? Muss der jetzt zum 1. Januar sein Mandat niederlegen?
Kastner: Also er muss überhaupt nichts. Er sollte es. Es gibt ja keine Gesetzesgrundlage, dass er das muss. Er sollte es - im Interesse im Übrigen der Industrie und im Interesse seines Bundestagsmandates.
Degenhardt: Braucht es denn, Frau Kastner, striktere Festlegungen, um eine Wiederholung des Falls Röttgen auszuschließen?
Kastner: Ach wissen Sie, ich glaube nicht, dass man das mit irgendwelchen Gesetzesregelungen dann regeln kann. Ich glaube eher, dass man sich mal unterhalten soll über so eine Art Ehrenkodex, wo man sagen kann: Okay, an den halten sich die Abgeordneten oder sie halten ihn nicht. Aber er muss mal irgendwann diskutiert werden, er muss mal formuliert werden.
Degenhardt: Wer soll das übernehmen?
Kastner: Das muss der Deutsche Bundestag übernehmen. Da muss das Präsidium federführend sein, das ist klar.
Degenhardt: Erkennen Sie den so etwas wie Bereitschaft, dies auch in nächster Zeit mal zu tun?
Kastner: Also wir haben jetzt im Detail darüber noch nicht gesprochen. Aber ich kann mir vorstellen, dass das sehr wohl Diskussionsgrundlage wird und dass man dann auch mal über die Geschäftsführer - das läuft ja immer so: Präsidium, Geschäftsführer der Fraktionen -, da in den Diskussionsprozess reinkommt. Das, was hier läuft, ist nicht gut.
Degenhardt: Was soll in diesem Kodex stehen?
Kastner: Dass Abgeordnete keine Ämter übernehmen, die kollidieren mit der Gewissensfreiheit ihres Mandates.
Degenhardt: Nun gibt es ja Erfahrungen mit anderen Kodexen dieser Art. Sie haben es ja auch selbst angedeutet: Die können eingehalten werden oder auch nicht. Wie wäre es denn mit einem generellen Verbot von Nebentätigkeiten?
Kastner: Das können Sie nicht machen, denn Sie haben ja Freiberufler dabei und dann würden Sie ja quasi die berufliche Existenz von Abgeordneten vernichten. Und Sie wissen, dass Abgeordnete ein Mandat auf Zeit haben, dass sie sehr schnell abgewählt werden können, dass sie sehr schnell sagen können: Okay, ich will jetzt nicht mehr kandidieren, und damit würden Sie die Existenzgrundlage von Kollegen kaputtmachen. Deswegen ist es nicht ganz so einfach, dass man sagt, man verbietet jetzt generell Nebentätigkeiten. Es gibt Fälle bei uns, die haben als Ärzte gearbeitet, die wurden dann in der darauf folgenden Wahl nicht mehr gewählt, die mussten in ihre Arztpraxis zurück. Und wenn Sie generell verbieten, dass sie während ihres Mandates da nicht drin bleiben dürfen, weil es eine Nebentätigkeit für sie ist, dann hätten die nie mehr die Möglichkeit, als Freiberufler beziehungsweise als Selbständiger zurückgehen zu können. Insofern ist eine Gesetzesregelung schon ein bisschen schwieriger.
Degenhardt: Müssen nicht auch BDI und BDA, also die Industrieverbände, klare Regelungen treffen für ihre Lobbyisten?
Kastner: Ja das finde ich ja wunderbar, dass die Industrie jetzt selber den Herrn Röttgen auffordert. Sie haben aber gewusst, als sie ihn gewählt haben, dass er eben sein Mandat nicht abgeben will, und sie haben ihn trotzdem gewählt. Die Klage kommt jetzt hinterher. So was muss man vorher klären, vor der Wahl.
Degenhardt: Wenn sich zwei ehemalige - wohlgemerkt: zwei ehemalige - Chefs des BDI gegen den "doppelten Röttgen" aussprechen, sage ich mal, der aktuelle erste Mann des Industrieverbandes aber schweigt: Ist er denn damit nicht auch beschädigt?
Kastner: Natürlich ist er mit beschädigt. Und ich finde auch, er hätte gut daran getan - ich habe es ja gerade schon gesagt, ich will mich auch nicht wiederholen -, aber er hätte gut daran getan, das vor der Wahl von Herrn Röttgen in den BDI zu klären und nicht im Nachhinein. Und jetzt zu schweigen, weil er natürlich - natürlich ist er beschädigt.
Degenhardt: Vielleicht hat man auch dort den Fall unterschätzt, dass sich die Zeiten geändert haben, der Bürger, der Wähler heute vielleicht empfindlicher reagiert als noch vor zehn Jahren?
Kastner: Ja die Presse reagiert auf jeden Fall empfindlicher. Und ich finde das auch gut so. Denn, es geht nicht um Hetzkampagnen, sondern es geht darum, dass man solche Dinge eben dann auch vermeidet, wenn es um Interessenkollisionen geht. Der Bürger reagiert dann auch empfindlich, wenn er es von der Presse mitgeteilt bekommt. Und das ist gut, dass in unserer Gesellschaft so eine Diskussion mal beginnt.