Bundestag

Zwischen Leistungsdruck und Gesundheitssorge

Der Reichtstag in Berlin von außen.
Ein Gebäude der Macht, aber auch eins, in dem Menschen extrem viel abverlangt wird. Nicht alle halten dem Druck ohne Medikamente oder Drogen stand. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Stefan Maas · 18.07.2014
Der Berliner Bundestagsabgeordnete Martin Pätzold hat auch in der Sommerpause einen vollen Terminplan. Aber er will ihn ohne chemische Hilfsmittel meistern. Der Druck auf ihn und seine Kollegen ist enorm.
"Liebe Mitglieder des Vereins Miteinander wohnen. Wir begrüßen heute in unserer Mitte mit großer Herzlichkeit den Lichtenberger Bundestagsabgeordneten Dr. Pätzold ..."
Martin Pätzold bahnt sich seinen Weg durch ein Dutzend Tische, an denen an diesen sonnigen Tag etwa achtzig ältere Männer und Frauen sitzen, um ein Sommerfest zu feiern. Der 29-Jährige hat sein Sakko im Auto gelassen - zu steif, sagt er - hat die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt. Fragt hier eine Mitarbeiterin, wie lange sie schon für den Verein arbeitet, setzt sich dort zu einer Gruppe älter Damen.
"Guten Tag, Guten Tag."
"Anwesende, Sie haben ja gehört, dass der Herr Dr. Pätzold, Bundestagsabgeordneter uns heute besucht. Wenn Sie Fragen haben, Sie können ihn alles fragen. ER hat sich auf jeden Fall dazu bereit erklärt, Antworten zu geben, soweit das möglich ist. Ja? Gut! Dankeschön!"
Pätzold, der seit dem vergangenen Jahr für die CDU im Bundestag sitzt, hört sich geduldig Geschichten und Sorgen an. Das Jobcenter macht Probleme, der Verein weiß nicht, wie er seine Mitarbeiterin weiter beschäftigen kann. Pätzold verspricht, sich zu kümmern, sein Büroleiter macht fleißig Notizen. Dann muss der junge Abgeordnete weiter:
"Ich besuche nachher noch drei Apotheken. Und dann ist für heute Schluss. Heute haben wir dann sieben Einrichtungen besucht."
Mehr als 70 Einrichtungen in 14 Tagen
Auch in den sitzungsfreien Wochen mache er viele solche Termine. Denn er will seinen Wahlkreis noch besser kennenlernen. Und die Bürger dort, die seit Jahren die Linke Gesine Lötzsch direkt in den Bundestag wählen, sollen sehen, dass auch ein Christdemokrat etwas für sie bewegen will.
Jetzt, in der Parlamentssommerpause, da hat er sich seinen Kalender extra voll gepackt. Zwei Wochen dauert seine Sommertour:
"Über 70 Einrichtungen. Von morgens bis abends. Und das Recht nehme ich mir raus, erst um neun zu beginnen."
60, 70 Wochenstunden, Termin an Termin, komplexe Entscheidungen schnell treffen, sich ins nächste Thema einarbeiten, der nächste Termin, die nächste Sitzung. Alltag für einen Bundestagsabgeordneten. Neu ist das für ihn aber nicht. Auch schon vor seiner Abgeordnetenkarriere habe er hart gearbeitet. Hat neben der Arbeit promoviert, mit 27. Hat neben dem Studium in einem Abgeordnetenbüro gearbeitet, dann in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, ist seit diesem Jahr auch noch Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin:
"Druck kann ja auch positiv sein. Ich habe selber immer viel Sport gemacht, und da ist Druck durchaus leistungsfördernd."
Mehr brauche er zur Leistungssteigerung nicht:
"Der Kaffekonsum ist nicht massiv gestiegen. Red Bull habe ich zuletzt im Studium getrunken. Und da ich üblicherweise auf andere Aufputschmittel verzichte, komme ich mit Cola, Apfelschorle, ein bisschen Kaffee und Wasser gut durch den Tag."
Jeder Kollege müsse in erster Linie selber auf sich schauen, wie er oder sie mit den ständigen Anforderungen und dem Druck zurechtkomme:
"Ich glaube, das wichtigste ist ja die Erkenntnis, dass man ein Problem hat. Und wie man dann damit umgeht, das ist eine persönliche Sache. Ich finde auch nicht, dass mich das als Kollege angeht wie jemand das privat gestaltet."
"Urlaub zu nehmen ist eine staatsbürgerliche Pflicht"
Doch wie privat sind Abgeordnete? Die Zahl der Medien habe in Berlin enorm zugenommen. Der Druck, neue Geschichten zu bringen, sei auch für sie gestiegen, sagt Wolfgang Thierse. Für die Abgeordneten bedeute das:
"Jedes falsche Wort, jeder falsche Nebensatz kann zu Verwicklungen führen. Man wird dann anschließend beschimpft, ausgelacht, niederkritisiert."
Der SPD-Politiker empfängt in seinem Büro, das ihm als ehemaligem Bundestagspräsidenten zusteht. Ein großer Raum mit hohen Decken, hellblauen Wänden und überquellenden Bücherregalen. Auf dem Couchtisch ein zerlesener Band mit Werken von Rilke.
Auch der Umgang mit dem Wähler sei anstrengender geworden, erzählt Thierse. Denn die Bürger seien kritischer:
"Wenn man so will auch mauliger. Auch mehr schimpfen, weil sie von der Politik wahre Wunder erwarten. Und immer enttäuscht und wütend sind und schimpfen, wenn diese Wunder nicht eintreten."
Doch an wen können Abgeordnete sich wenden, wenn sie Rat suchen, den Eindruck haben, den Anforderungen vielleicht nicht gewachsen zu sein? Im Bundestag gibt es zwar einen psychologischen Dienst. Der ist aber nur für die Mitarbeiterzuständig. Nicht für die Abgeordneten. Die müssen selber schauen, wem sie sich anvertrauen:
"Es gibt zum Glück auch in der Politik, wenn auch wenig wirkliche Freundschaften, aber doch Sympathien. Es gibt Kollegen, die mir sympathisch sind. Und dass man mit denen auch persönlicher reden kann. Und dann gelegentlich auch über die persönliche Situation. Über eine Niederlage. Es gehört auch dazu, gewissermaßen zum seelischen Ausgleich, dass man gelegentlich abends zusammensitzt und schimpft, um den Ärger auch abzulassen. Da sind doch Politiker so normale Menschen wie andere auch."
Auch dürfe man nie nur Politiker sein, sagt der ehemalige Bundestagsabgeordnete. Müsse dringend Freundschaften pflegen, Zeit mit der Familie verbringen. Und:
"Urlaub zu nehmen ist eine staatsbürgerliche Pflicht eines Abgeordneten. Überstresste, unerholte, übellaunige Abgeordnete machen keine gute Politik. Das kann man auch Bürgern erklären. Auch im eigenen Wahlkreis."
Das gilt auch für Martin Pätzold. Nach seiner Wahlkreistour.
"Ich mach das jetzt zwei Wochen intensiv. Danach noch eine Woche im Bundestag, dass ich das, was liegen geblieben ist, wegarbeiten. Es ergeben sich auch Aufgaben aus den Besuchen. Und danach werde ich auch mal die Chance nutzen, zweieinhalb Wochen in den Urlaub zu fahren."
Mehr zum Thema