Bundestag

Fragestunden ohne Pfeffer

Britta Haßelmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 10.02.2015
Die Fragestunde im Bundestag ist ein wichtiges Instrument für die Abgeordneten – trotzdem ist sie dabei zu verkümmern, beklagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Britta Haßelmann.
Die "Befragung der Regierung" und die anschließende "Fragestunde" zählen nicht gerade zu den Höhepunkten einer Sitzungswoche im Bundestag. Minister oder die Kanzlerin lassen sich so gut wie nicht blicken, die Themen werden vorgegeben, die Antworten meist von Staatssekretären verlesen. Bundestagspräsident Lammert übte kürzlich scharfe Kritik an diesem starren Ablauf. Das tun nun auch die Grünen.
Die Befragung der Bundesregierung sei total unbefriedigend, so Haßelmann am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Das Parlament stelle dafür ein feste Zeit zur Verfügung „und die nutzen wir überhaupt nicht nach den Möglichkeiten". Dass die Regierung das Thema bestimmen dürfe, sei ein "völlig falsches Herangehen". „Hier wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein. Wir müssen doch als Abgeordnete die Möglichkeit haben, das Thema zu setzen." Die Initiative müsse ganz klar von den Parlamentariern ausgehen.
Außerdem hätten die Abgeordneten innerhalb der Fragestunde nur 35 Minuten für die Befragung der Regierung, so Haßelmann. Dies sei „viel zu wenig Zeit, um wirklich Fragen – auch verschiedene Fragen – an die Regierung stellen zu können" und müsse unbedingt geändert werden. Erforderlich sei außerdem, dass auch Angela Merkel selbst den Abgeordneten Rede und Antwort stehe: „Warum stellt sich eigentlich die Kanzlerin unseren Fragen, den Fragen des Parlaments nicht? Schließlich geht sie auch regelmäßig in die Bundespressekonferenz und stellt sich den Fragen der Journalistinnen und Journalisten."
Haßelmann betonte, dass dieses Problem auch zu Zeiten von Rot-Grün bestanden habe. „Deshalb geht es hier auch nicht um die Grünen oder die Frage, wer ist jeweils in der Opposition." Es sei „keine Zumutung, wenn Ministerinnen und Minister mittwochs mittags mal eine Stunde im Parlament" sein müssten. Stattdessen würden die Antworten auf eingereichte Fragen von den Staatssekretären verlesen. „Da ist natürlich überhaupt kein Pfeffer drin, da ist keine Lebendigkeit drin und ich denke manchmal, wie empfinden wohl Zuhörerinnen und Zuhörer und Besucherinnen oder die Öffentlichkeit insgesamt eine solche Fragestunde – die kann nur langweilig wirken."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Ein Rückblick auf 50 Jahre Aktuelle Stunde. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung findet diese Aktuelle Stunde sogar relativ hohe Aufmerksamkeit beim Wahlvolk. Der Opposition indes wäre es viel wichtiger, dass auch die Befragung der Bundesregierung und die darauf folgende Fragestunde mehr Pfeffer bekäme, der ihr bisher fehlt. Und eine Bundestagsabgeordnete würde das lieber heute denn morgen so haben, Britta Haßelmann nämlich. Sie ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Grüne. Frau Haßelmann, guten Morgen!
Britta Haßelmann: Ja, guten Morgen!
von Billerbeck: Die aktuelle Stunde ist die Möglichkeit – wir haben es eben gehört – für die Opposition, kurzfristig Fragen auf die Tagesordnung zu setzen. Nehmen die Koalitionsparteien denn diese Stunde ernst oder reden dann doch bloß die Hinterbänkler?
Haßelmann: Also wir hatten in der vorletzten Sitzungswoche eine ganz spannende Aktuelle Stunde auf Initiative der Grünen zum Beispiel zur EZB und zu der Entscheidung zur Geldpolitik, und da war das Haus voll, weil bisher hatte die Regierung und auch die Regierungsfraktionen Union und SPD dieses Thema parlamentarisch nicht diskutieren wollen. Und da hat man gesehen: Es war ein großer Bedarf da, darüber zu diskutieren, denn öffentlich fand ja die EZB-Entscheidung eine ganz große Aufmerksamkeit, und das war ein ganz wichtiger Punkt, da das Thema zu setzen, und da wurde hitzig und kontrovers in der Sache diskutiert.
Wir hatten auch schon spannende aktuelle Debatten zum Thema Klimaschutz in der Aktuellen Stunde. Und ich glaube, dass das ein ganz wichtiges, heute nicht mehr wegzudenkendes Instrument ist. Wie Sie im Beitrag erwähnt haben: Sehr oft wird eine Aktuelle Stunde von den Oppositionsfraktionen beantragt, das ist unser gutes Recht. Wir haben dann zwei Rednerinnen und Redner, die jeweils in fünf Minuten unsere Position darlegen können. Es ist ein ganz wichtiges Instrument, ja.
Und wenn man zurückguckt auf die 50 Jahre – ich fand ganz spannend, dass damals vereinbart wurde: Die Verlesung von Erklärungen und Reden ist unzulässig. Und wenn man an spontane Debatten, an das Ringen um Argumente denkt, dann könnten wir das natürlich heute auch oft gebrauchen und uns eigentlich als Maxime zu eigen machen.
Die Bundesregierung gibt die Themen vor...
von Billerbeck: Seit Jahren gibt es aber Differenzen, was die Befragung der Bundesregierung samt folgender Fragestunde angeht. Das ist nicht dasselbe wie die Aktuelle Stunde. Wie läuft denn so eine Befragung der Bundesregierung ab?
Haßelmann: Ja, also die ist einfach total unbefriedigend, weil das ist so eine wichtige Zeit am Mittwoch von 13.00 bis 15.30 Uhr, die das Parlament als Rahmen zur Verfügung stellt, und die nutzen wir überhaupt nicht nach den Möglichkeiten. Also die Regierungsbefragung läuft im Moment so, dass die Regierung das Thema bestimmt, zu dem dann die Abgeordneten Fragen stellen dürfen. Und hier wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein. Wir müssen doch als Abgeordnete die Möglichkeit haben, das Thema zu setzen! Wenn zum Beispiel in einer Woche kontrovers über Mindestlohn diskutiert wird, dann muss es doch von den Abgeordneten aus der Mitte des Parlamentes kommen, zu sagen: Hierzu wollen wir in dieser Woche die Regierung befragen.
Wir hingegen verfahren so: Die Regierung beschließt im Kabinett, was das Thema dann der Regierungsbefragung ist, und dazu dürfen dann die Abgeordneten Fragen stellen – ein völlig falsches Herangehen, finde ich. Selbstbewusste Parlamentarierinnen und Parlamentarier brauchen hier ganz klar sozusagen die Initiative von sich aus.
Das Zweite ist: Die Regierungsbefragung ist innerhalb dieser Fragestunde ein sehr kurzer Teil von 13.00 bis 13.35 Uhr – das ist auch viel zu wenig Zeit, um wirklich Fragen, auch verschiedene Fragen an die Regierung stellen zu können. Das wäre ein zweiter Punkt, der unbedingt geändert werden muss.
Und dann, was mir natürlich überhaupt nicht passt mit Blick auf andere europäische Länder wie Spanien oder Großbritannien, ist: Warum stellt sich eigentlich die Kanzlerin unseren Fragen, den Fragen des Parlamentes nicht? Schließlich geht sie auch regelmäßig in die Bundespressekonferenz und stellt sich den Fragen der Journalistinnen und Journalisten.
... und Staatssekretäre lesen die Antwort vor
von Billerbeck: Nun fragt man sich, warum das eigentlich so kompliziert ist. War das eigentlich zu Zeiten von Rot-Grün anders oder verhält sich jede Regierung so?
Haßelmann: Nein. Es war auch zu Zeiten von rot-grüner Regierungszeit – da war ich noch nicht im Parlament, ich bin 2005 ins Parlament gekommen nach der vorgezogenen Neuwahl –, da war es auch schon so. Und da hat zum Beispiel in der Zeit, im Jahr 2010 oder 2011, glaube ich, hat der heutige Fraktionsvorsitzende der SPD auch schon mal eine Initiative ergriffen zur Reform der Regierungsbefragung und zur Fragestunde. Und deshalb geht es hier auch nicht um die Grünen oder um die Frage, wer ist jeweils in der Opposition, sondern ich finde, wir als Parlament insgesamt, wir Abgeordneten, wir müssten gemeinsam erkennen: Wir brauchen mehr Lebendigkeit, wir brauchen mehr Austausch. Wir brauchen auch ein selbstbewussteres Herangehen, wenn es darum geht: Wir kontrollieren die Regierung, wir stellen die Fragen.
Die Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann von Bündnis 90/Die Grünen
Die Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann von Bündnis 90/Die Grünen© picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Und ich finde, es ist auch keine Zumutung, dass Ministerinnen und Minister mittwochs mittags mal für eine Stunde im Parlament sein sollen. Heute ist das ganz oft so, dass bei der Fragestunde Staatssekretärinnen und Staatssekretäre die eingereichten Fragen der Abgeordneten ... dann die Antworten verlesen. Da ist natürlich überhaupt kein Pfeffer drin, da ist keine Lebendigkeit drin, und ich denke manchmal: Wie empfinden wohl Zuhörerinnen und Zuhörer und Besucherinnen oder die Öffentlichkeit insgesamt eine solche Fragestunde? Die kann nur langweilig wirken. Und das ist so eine wichtige Zeit, mittwochs nachmittags, Prime Time, würde ich sagen, ...
von Billerbeck: ... im Parlament.
Haßelmann: ... und wir sind alle aufgefordert, da was für zu tun, dass das besser wird. Und wünsche ich mir mehr Mut, das ist ganz klar.
von Billerbeck: Nun haben Sie schon Kollegen in Spanien, in Großbritannien und Frankreich erwähnt. Waren Sie denn mal da und haben sich die Debatten angeguckt, die ja doch von ein bisschen anderer Qualität sind als das, was Sie gerade geschildert haben?
Haßelmann: Ja, ich war selbst mal in Spanien, in Madrid, im Parlament, und war total überrascht, weil einfach wirklich ... Erst einmal war das Parlament viel besser besucht, es waren viel mehr Abgeordnete da, es waren aber auch viel mehr Regierungsvertreterinnen und -vertreter da, nicht nur ein Minister oder eine Ministerin, die dann für die Regierung die Fragen beantwortet, sondern es war wirklich volles Haus, und es gab einen ganz lebendigen Austausch, Frage, Antwort, also wirklich dieses Prinzip Rede, Gegenrede, und es war ein richtiger Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition. Das hat mich damals sehr beeindruckt.
von Billerbeck: Kurze Frage zum Schluss: Wann wird sich diese Diskussionskultur bei der Befragung der Bundesregierung noch ändern, unter Merkel? Ja oder nein?
Haßelmann: Also ich verstehe hier die Zurückhaltung von Union und SPD nicht. Manchmal hat man das Gefühl, die werfen sich so ein bisschen schützend vor die Regierung, dabei ist das doch gar nicht nötig. Ich glaube, dass da jedes Regierungsmitglied in der Lage ist, jede Frage eines Abgeordneten, einer Abgeordneten zu beantworten. Und hier wäre, und da ist der Bogen vielleicht zur Aktuellen Stunde, mehr Mut angesagt und nicht so viel kleines Karo.
von Billerbeck: Die Abgeordnete Britta Haßelmann war das von Bündnis 90/Grüne für mehr Pfeffer bei der Befragung der Bundesregierung. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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