Bundesregierung

Grünen-Politiker kritisiert "Schönwetterhaushalt"

Sven-Christian Kindler im Gespräch mit Marietta Schwarz · 12.03.2014
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler wirft der Bundesregierung vor, ihre Haushaltspolitik auf Kosten der Sozialkassen zu betreiben. Weder würden unnötige Subventionen abgebaut noch die Einnahmen verbessert.
Marietta Schwarz: Das gab es Jahrzehnte nicht mehr – ein Bundeshaushalt ohne Schulden. Stattdessen ist der Schuldenberg auf inzwischen 1.300 Milliarden Euro angewachsen – eine nicht vorstellbare Summe. Nicht ohne Stolz dürfte Finanzminister Schäuble vergangenen Freitag mitgeteilt haben, dass der Bund 2015 keine neuen Kredite aufnehmen will. Die gute Nachricht wurde gestern allerdings ein wenig getrübt, als bekannt wurde, dass das Kindergeld nicht, wie versprochen, erhöht werden soll. Heute soll das Kabinett das Papier beschließen. Sven-Christian Kindler ist am Telefon, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Kindler!
Sven-Christian Kindler: Guten Morgen!
Schwarz: Welches Signal geht denn für Sie von dieser Ankündigung zum Kindergeld aus?
Kindler: Das ist ganz klar ein Signal, dass diese Haushaltspolitik zukunftsvergessen ist. Es ist ja so, dass gerade Investitionen in die Zukunft, gerade auch Investitionen in Kinder, in Bildung, in Jugendliche, in gute Kinderbetreuung verschoben werden in die nächste Legislaturperiode, sehr gering sind. Und das finde ich ein verheerendes Signal, dass Haushaltskonsolidierung jetzt auf dem Rücken von Kindern geschieht.
Schwarz: Na, es soll nicht in die nächste Legislaturperiode verschoben werden, sondern einfach auf 2016, und dann, heißt es, sollen die Beiträge umso kräftiger steigen. Es wären ja sowieso nur zwei Euro im Monat pro Kind gewesen.
Kindler: Genau. Sodass es, das weiß ich, bis 2016 verschoben werden soll, aber es gibt andere Ausgaben zum Beispiel, die komplett in die nächste Legislaturperiode verschoben werden sollen, zum Beispiel auch Gelder für Kommunen, die wichtig sind für die soziale Infrastruktur, wo es auch darum geht, zum Beispiel dann Betreuungsinfrastruktur, gute Krippen auszubauen.
Diese fünf Milliarden zum Beispiel bei der Eingliederungshilfe, wo die Kommunen entlastet werden sollen, sollen erst 2018 kommen; die versprochene eine Milliarde für 2014 wird auch nicht kommen, und die Belastungen - steigende Sozialbeiträge, notwendige Steuererhöhungen, um die ganze Haushaltspolitik von Wolfgang Schäuble zu finanzieren - die werden auch der nächsten Regierung vor die Füße gekippt, und das ist keine nachhaltige, das ist keine strukturelle Haushaltskonsolidierung.
"Es passiert nichts bei strukturellen Reformen"
Schwarz: Würden Sie das dann als einen Sparhaushalt bezeichnen? Massive Einsparungen gibt es in diesem Haushalt nicht.
Kindler: Nein, ich würde das als einen Schönwetterhaushalt bezeichnen. Vor allen Dingen, weil nämlich eben strukturell nichts passiert in der Haushaltspolitik. Es gibt keine richtigen Ausgabenkürzungen, es passiert nichts beim milliardenschweren Subventionsabbau. Gerade, wo es klimaschädliche Subventionen gibt, könnte man Milliarden Euro einsparen. Es passiert nichts bei strukturellen Reformen, der Aufgabenkritik, nichts, um Großprojekte des Bundes, wie das Flughafenchaos beim BER möglichst richtig zu planen oder Großprojekte richtig zu kontrollieren.
Es passiert auch nichts bei Einnahmeverbesserungen. Das einzige, was Wolfgang Schäuble macht, ist der Griff in die Sozialkassen, um die Wahlversprechen bei Rente zu finanzieren und um den Haushalt 2015 ohne Schulden aufzustellen. Dafür greift er in den Gesundheitsfonds, massiv. Das heißt aber, dass natürlich dann gerade die Sozialkassen belastet werden und damit auch ist es riskant für kleine, mittlere Einkommen, die Sozialbeiträge zahlen.
Schwarz: Herr Kindler, natürlich hauen Sie als Oppositioneller drauf auf diesen Haushaltsentwurf, das würde man jetzt auch nicht anders erwarten. Dennoch muss man ja mal sagen, das ist eine große Leistung, so einen Haushaltsentwurf ohne Neuverschuldung hinzukriegen. Wie hat Schäuble das denn gemacht?
Kindler: Ja, wenn nachher Finanzminister Schäuble und die große Koalition das schafft, 2015 keine neuen Schulden aufzunehmen, begrüße ich das natürlich. Ich finde, man muss sich dann nur angucken, wie es dazu gekommen ist. Und das war in den letzten vier Jahren unter schwarz-gelber Haushaltsplanung ja schon, dass die Sozialkassen einerseits belastet werden. Das geht jetzt weiter, der Griff in die Sozialkassen geht jetzt weiter.
Und zweitens war es so, dass auch in den letzten vier Jahren Wolfgang Schäuble bei der Haushaltskonsolidierung sehr wenig strukturell gemacht hat. Und zwar ist es jetzt auch so, dass vor allen Dingen die gute Konjunktur, gute Steuereinnahmen und historisch niedrige Zinsen unter Euro-Krise dazu führen, dass dieser Haushalt konsolidiert wird, wir keine neuen Schulden aufnehmen, dass ist aber eine konjunkturelle Haushaltskonsolidierung. Strukturell ist dieser Haushalt nicht für schlechte Zeiten aufgestellt, und das kritisieren wir.
Schwarz: Verschiedene Wirtschaftsinstitute prognostizieren ja sogar noch mehr Einnahmen in den nächsten Jahren. Können Sie mir erklären, wo die herkommen?
Kindler: Ich glaube, das muss man dann nur als seriös mit der Steuerschätzung im Mai analysieren und rechnen, ob es noch weitere Steuereinnahmen gibt oder nicht. Die Frage ist ja, welche Planung für die Wirtschaftsentwicklung und das Wachstum man da zugrunde legt. Klar ist auf jeden Fall, dass dieser Haushalt auf Kante genäht ist, und dass es sehr stark davon abhängt, wie sich die Konjunktur entwickelt, ob sie sich besser oder schlechter entwickelt, das kann man jetzt noch nicht sagen.
Es gibt ja viele Risiken auch in der Weltwirtschaft, auf die dieser Haushalt zum Beispiel nicht eingestellt ist und die er auch nicht abbilden kann, weil man eben strukturell die Arbeit verweigert in der Haushaltspolitik. Also, wenn man sich jetzt zum Beispiel die Krim-Krise anguckt, merkt man, wie fragil die Situation in der Außenpolitik ist. Die Euro-Krise ist noch lange nicht gelöst, wir haben immer noch milliardenschwere Kiste in den Bilanzen von Banken. Alles das ist nichts, wo die Bundesregierung nachher wirklich vorgesorgt hat, und wo es darum geht, auch den Haushalt strukturell richtig aufzustellen.
Subventionen der Flugindustrie abbauen
Schwarz: Aber was heißt das denn jetzt in der Konsequenz. Hätten Sie lieber eine Neuverschuldung gehabt?
Kindler: Nein. Wir sind nicht dafür, dass es eine höhere Neuverschuldung gibt, sondern wir sind dafür, dass man vor allen Dingen in die Zukunft investiert. Einerseits muss man, glaube ich, jetzt massiv in die Zukunft investieren, weil wir ein großes Investitionsdefizit im Haushalt haben. Die Infrastruktur in Deutschland wird auf Verschleiß gefahren, deswegen wollen wir massiv in die Zukunft investieren bei Klimaschutz, bei Energiewende, beim Erhalt von Brücken, von Straßen, von Schienen, auch in Kinder und Jugendliche, in Bildung und Betreuung.
Aber man muss das auch dann, diese Zukunftsinvestitionen, solide gegenfinanzieren. Wir wollen investieren statt subventionieren. Wir wollen vor allen Dingen das mit milliardenschwerem Subventionsabbau gegenfinanzieren, der klimaschädlich ist zum Beispiel beim Abbau von Subventionen der Flugindustrie, bei Ausnahmen der Ökosteuer oder bei der Privilegierung von schweren Dienstwagen. Da kann man Milliarden Euro sparen und gleichzeitig das Geld nehmen, um es solide in die Zukunft zu investieren.
Schwarz: Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Sven-Christian Kindler. Herr Kindler, danke Ihnen!
Kindler: Auch Ihnen vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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