Philippinen

Wie der Bundesliga-Fußball "vermessen" wird

05:41 Minuten
Hochhäuser in Manila auf den Philippinen
Mitarbeiter in Büros in Manila werten den Bundesliga-Fußball aus. © dpa / picture alliance / Luca Tettoni
Von Felix Lill · 26.03.2023
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Profivereine setzen immer stärker auf Daten, um für Trainingsmethoden und Scouting davon zu profitieren. Doch woher kommen die Informationen? Damit Vereine schnell und kostengünstig an ihre Daten kommen, arbeiten Experten – auch in Manila.
Manchmal gibt es Tage, sagt Ashley Flores, da ertrage er diesen Job einfach nicht.

"Dann sage ich mir: Ich kann das nicht. Warum muss ich mir das ansehen!“

Ex-Nationalspieler wertet Spiele aus

Das Spiel, das da vor seinen Augen läuft, hält er alle paar Sekunden an, um nach jedem Pass, Zweikampf oder Torschuss sofort eine Bewertung in die Maske einzutragen: Fehlpass, gelungenes Dribbling, Schuss neben das Tor. Dann geht es weiter. Und der Mann am Computer denkt sich, er selbst hätte das besser gekonnt.

Ich bin jetzt 29. Ich spiele selbst, ich bin Kapitän. Zwischen 2015 und 2017 habe ich in der philippinischen Nationalmannschaft gespielt. Wir trainieren viermal die Woche. Und am anderen Tag muss man es in Eigenregie machen.

Ex-Nationalspieler Ashley Flores

In anderen Worten: Ashley Flores gehört zu den besten Fußballern seines Landes. Weil in den Philippinen aber die meisten „Fußballprofis“ von ihrem Sport kaum leben können, setzt sich Flores abends nach dem Training an den Computer.

Großer europäischer Klub als Auftraggeber

In einem Büroturm im Zentrum von Manila sieht er sich dann andere Spiele an. Heute eines aus den USA, zwischen LA Galaxy und Los Angeles FC – eine Begegnung, die er privat eher meiden würde.

"Das hier ist für mich Notwendigkeit, mein Broterwerb. Das Spiel hier muss ich gerade auswerten. In ein paar Stunden muss ich es fertig haben."

Der Kunde ist ein großer europäischer Fußballklub, der Statistiken wünscht: Über das Abschneiden diverser Spieler aus anderen Ligen.

Datenbereitstellung als Wachstumsmarkt

Wie rund 120 weitere Mitarbeiter ist Ashley Flores für die Bereitstellung dieser Daten zuständig. Er arbeitet in einem Wachstumsmarkt.
Schon länger setzt der Profifußball allein in Deutschland jährlich mehrere Milliarden um. Und damit Klubs das eigene Abschneiden sowie ihre Gegner genauer analysieren, außerdem ein bestmöglich informiertes Scouting betreiben können, wird der Fußball immer genauer vermessen.
Ballbesitzanteile, Zweikampf- und Passquoten reichen nicht mehr aus. Das berichtet Thomas Viess, der in Manila für das deutsche Start-up „Packing Sports Corporation“ arbeitet, bei dem auch Ashley Flores angestellt ist:

Jede Szene wird ausgewertet - und da müssen bis zu sieben, acht Parameter bedacht werden. Eines der bekanntesten Merkmale ist natürlich dann dieser Packing-Wert. Heißt einfach: Wie viele Gegenspieler ich mit einer Aktion aus dem Spiel nehme. Umgekehrt gilt das aber auch für die Verteidigung. Das heißt, wenn ich einen Ball zurückerobere: Wie viele Mitspieler ich dann wieder mit meiner Aktion ins Spiel zurückgeholt habe.

Thomas Viess von der "Packing Sports Corporation" in Manila

Die statistische Kennzahl des Packing-Werts machte erstmals um die Europameisterschaft 2016 Schlagzeilen. Kurz zuvor hatten die Ex-Profifußballer Stefan Reinartz und Jens Hegeler das Kölner Unternehmen Impect GmbH gegründet, das diese Daten erstmals erhob.

Impect arbeitet mit 45 Vereinen zusammen

Anfangs erledigten diese Jobs noch Studierende. Das geht aber nicht mehr, sagt Lukas Keppler, Geschäftsführer bei Impect:

"Wir arbeiten jetzt so mit 45 Klubs zusammen, hauptsächlich im deutschen Markt: Bayern München, Dortmund oder Leverkusen … Das geht aber auch runter bis in die dritte deutsche Liga wie Viktoria Köln, die jetzt hier vor Ort auch ein Kunde von uns sind und die genauso unsere Daten in ihre Analysen miteinbeziehen. International war das jetzt das Ziel der letzten Jahre, auch da weiter zu wachsen. Und da haben wir jetzt in den umliegenden Ländern Kunden dazubekommen."
So wurde 2018 die „Packing Sports Corporation gegründet“, die seither die Daten für Impect bereitstellt – und dies eben aus den Philippinen, einem Land, in das diverse Wirtschaftssektoren aus Kostengründen Jobs verlagern.

Gründe für die Datenerhebung auf den Philippinen

Und das gehe eben auch bei Fußballdaten – selbst wenn die Philippinen in diesem Sport keine besonders erfolgreiche Nation seien.
Thomas Viess erklärt die Standortentscheidung so:
"Da gibt es eigentlich zwei bis drei Hauptgründe. Das eine ist der Zeitunterschied - gerade bei Over-Night-Daten. Wenn in Deutschland am Nachmittag oder Abend gespielt wird, können wir hier in den Philippinen mit sechs oder sieben Stunden Zeitunterschied die Daten am philippinischen Morgen auswerten und in der Regel dann für unsere Kunden in Deutschland am nächsten Morgen bereitstellen. Das ist einer der wichtigsten Gründe. Zweiter ist natürlich auch ganz klar, dass das ein sehr arbeitsintensiver Prozess ist. Und da muss man natürlich auch ganz klar sagen: Es ist auch ein finanzielles Thema."
In der Hauptstadt des südostasiatischen 110-Millionenlands beträgt der Mindestlohn derzeit 537 Philippinische Pesos pro Tag (rund 9,30 Euro). Packing Sports bezahle 30 bis 40 Prozent mehr, zudem ein 13. Monatsgehalt.
Auch deshalb erfreue man sich einer guten Bewerberlage. Zumal nicht jeder hier das manchmal schwere Los von Ashley Flores hat, selbst auf hohem Niveau Fußball zu spielen und über einige Aktionen auf dem Platz den Kopf zu schütteln.

Fürs Fußballschauen bezahlt werden

Viele Kollegen freuen sich darüber, für das Fußballschauen bezahlt zu werden. Und auch Ashley Flores kann dem Ganzen meist viel abgewinnen, sagt er:

"Ich bin selbst auch noch lizenzierter Trainer. Das Ganze ist also auch dafür interessant.
Als Trainer ist man es ja gewohnt, gute und schlechte Dinge anzusehen und daraus etwas zu ziehen. Ich lerne viel."

Dabei gelte dies nicht nur für ihn als Trainer: Auch als Spieler habe er schon einiges von den Besten, die er sich jeden Tag ansieht, gelernt.

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