Bundesfreiwilligendienst

Im Osten alt, im Westen jung

Ein junger Mann geht mit einer Seniorin im Park spazieren.
Ein junger Mann geht mit einer Seniorin im Park spazieren. © Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Henry Bernhard und Anke Petermann |
Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes sollte vor allem den Wegfall der "Zivis" kompensieren und jungen Erwachsenen eine erste Berufsorientierung bieten. Im Osten ist daraus aber eine Art dritter Arbeitsmarkt entstanden. Hier bewerben sich hauptsächlich ältere Arbeitslose um die begehrten Stellen.
"So, dann gehen wir mal runter in den Keller."
Ralf Reichelt ist 50 Jahre alt. Ein kleiner, drahtiger Mann mit Glatzkopf, Ohrringen und einem offenen Lächeln.
"So, das ist also der Keller, also unser Bereich. Und von hier aus fahren wir dann in die Etagen. Wir haben dann immer das Telefon mit, und dann kann jede einzelne Etage anrufen. Und wir können dann sofort hoch. Hier hinten ist das Lager jetzt, da sind dann die ganzen Sachen drin, die man montags - was jetzt jede einzelne Station praktisch braucht jetzt. Und das teilen wir dann aus."Die
Ja, das ist dann Spray, Seife, Waschlappen ...
"... alles, was die Leute, die Pflegekräfte oben brauchen jetzt. Dass die nicht noch extra los müssen, dass alles vor Ort ist! Da können wir gleich was mitnehmen."
Ralf Reichelt ist ein Bundesfreiwilliger. Seit einem halben Jahr arbeitet er im St. Elisabeth Altenpflegeheim der Caritas in Erfurt. Als zweiter Hausmeister.
"Da gehört jetzt hier draußen alles dazu, da hatten wir alles gepflanzt, Rasen mähen ..."
Die Windeln entsorgen, Müll runterbringen, Bilder anbringen, Zimmer renovieren.
"Und er ist ja, was der festangestellte Hausmeister ist, immer allein. Dadurch, dass wir zu zweit sind, können wir auch ein bißchen mehr machen. Ich hatte erst vorher einen 1€-Job gehabt, das war auch Offene Begegnungsstätte, und da hatten wir halt Umzüge und ... Und da hat's mir eigentlich gefallen; aber das Arbeitsamt hat mir dann gesagt, nein, sie hätten schon zwei Mal und das war's dann ... Da haben sie dann gesagt 'Ja, Bundesfreiwilligendienst können sie machen!' Und da habe ich gesagt, 'Na da mache ich das!' Habe mich dann dort beworben, habe gesagt, würde gern ins Altersheim gehen. Und es ist jeden Tag was anderes, es macht Spaß! Und man freut sich dann selber, wenn die alten Leutchen sich dann freuen und sagen, 'Ach, schön gemacht!' Vor allem, wenn man gleich kommt dann immer und macht was, dass die nicht lange warten müssen. Und das freut mich dann auch, wenn die sich freuen!"
Reichelt steigt aus dem Fahrstuhl, ein Körbchen mit Glühbirnen in der Hand. Er kontrolliert die Lampen auf allen vier Etagen, tauscht kaputte aus, grüßt nach links, nach rechts, scherzt mit den Bewohnern. Auch mit denen, die stumm am Tisch sitzen und vor sich hin starren.
"Und das sind jetzt so unsere Bewohnerchens, unsere alten Damen! Na, ihr drei! Alles fit da hinten? Du erkennst mich - ich hab ne neue Brille auf! -, du erkennst mich gar nicht! Na ja, das macht Spaß mit denen. Frühs gehe ich immer hin und mache ein Schwätzchen. Ich nehme mir dann eben die Zeit!"
50.000 Bundesfreiwillige ersetzen Zivildienstleistende
Ralf Reichelt ist einer von 50.000 Bundesfreiwilligen in ganz Deutschland, einer von 2.300 in Thüringen. Im Osten gibt es - bezogen auf die Bevölkerungszahl - doppelt so viele Bundesfreiwillige wie im Westen, dennoch gibt es Wartelisten. Was als Ersatz für den Zivildienst gedacht war, als Orientierungshilfe für junge Menschen, als Chance für ehrenamtliches Arbeiten, hat sich zumindest im Osten stark verändert. So sieht es auch Michael Panse, Generationenbeauftragter der Thüringer Landesregierung und zuständig für die Bundesfreiwilligen:
"Also ich glaube im Wissen um die Sozialstruktur, die wir in Thüringen haben und bei den rund 3.000 Bundesfreiwilligen, die wir derzeit haben, glaube ich, dass etwa 2/3 aus arbeitsmarktpolitischen Gründen kommen, weil sie zu dem Zeitpunkt keine Beschäftigung haben, teilweise lange auch schon arbeitslos waren und für sie das sozusagen auch eine Perspektive, eine jobartige Perspektive ist. Und rund 1/3 hingegen aus dem rein freiwilligen Gedanken heraus zu sagen, 'Ich möchte mich ehrenamtlich engagieren!'"
An die Stelle von Wehr- und Zivildienst tritt der Bundesfreiwilligendienst
An die Stelle von Wehr- und Zivildienst tritt der Bundesfreiwilligendienst© picture alliance / dpa
Ralf Reichelt arbeitet in der Hauswirtschaft des Erfurter Pflegeheims. So gesehen ein typischer Fall, sagt die Leiterin, Sabine Blask. In der Pflege gebe es kaum noch Freiwillige:
"Die können das machen beim Bundesfreiwilligendienst, aber da ist oftmals keine Bereitschaft mehr. Das geht dann mehr in die anderen Bereiche. Also, an der Pflege ist keiner mehr so nah dran wie die Zivildienstleistenden. Das heißt für unsere Bewohner, dass unsere Pflegekräfte mehr Aufgaben übernehmen müssen, die sonst über den Zivildienst abgedeckt werden konnten, dass wiederum für die Bewohner oftmals sehr wenig Zeit bleibt noch für zusätzliche Betreuung."
Hinzu kommt, dass in Thüringen und überhaupt im Osten neun von zehn Freiwilligen älter als 27 sind, viele um die 50, 60 Jahre.
"Und wenn man gleichzeitig die Arbeitsmarktstatistiken bei uns kennt, weiß man: Das sind diejenigen, die teilweise seit fünf Jahren, seit zehn Jahren keine Chance mehr auf dem normalen Arbeitsmarkt haben, vermutlich auch, trotz veränderter Arbeitsmarktbedingungen, in den nächsten paar Jahren nicht wieder auf den regulären Arbeitsmarkt zurückfinden, es sei denn, man baut ihnen eine Brücke und schafft sie sozusagen nah an Träger ran, dass sie bei den Trägern auch wieder sich beweisen können und dass dann auch die einzelne Einrichtung sagt, 'Oh, der kann was! Der hat sich bei uns engagiert ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst, hat dafür ein Taschengeld bekommen, der wäre auch jemand, um zumindest halbtags wieder in Beschäftigung zurückzubringen.' Diese Brücke gibt es bei uns."
Ralf Reichelt tauscht eine defekte Leuchtstofflampe aus. Sechs Stunden arbeitet er am Tag, 30 in der Woche. Dafür bekommt er ein Taschengeld von 225 €. 25 € werden davon abgezogen, 200 darf er zusätzlich zum Hartz IV-Satz behalten. Er kommt klar damit, arbeitet auch sehr gern hier im Altersheim, aber eigentlich will er eine richtige, bezahlte Arbeit:
"Ja, also gelernt habe ich Instandhaltungsmechaniker zu DDR-Zeiten; das gab's ja dann nicht mehr. Also, es wurden ja keine Maschinen mehr repariert, es wird ja alles neu gekauft heute, es wird ja nichts mehr ganz gemacht. So, dann hatte ich noch mal umgeschult auf Trockenbauer. Ich hab's nur ausgelernt - die Neubaublocks waren alle saniert worden, und das war dann auch vorbei. Und dann war ich alleinerziehender Vater, und dadurch war's dann mit arbeiten auch schlecht. Da bin ich dann von einer Maßnahme zur anderen. Jetzt ist er groß. So, das Geld, das ich mir für eine Fahrerlaubnis gespart hatte, ist für den Jungen auch mit draufgegangen, sie hat ja keinen Unterhalt bezahlt und so. Ja, und von einer Maßnahme zur anderen eben. Bist dann wie in einer Zwickmühle! Arbeit würde ich kriegen, aber es ist eben Fahrerlaubnis jetzt! Und das geht eben nur mit 'nem Job. Das ist ne Zwickmühle, wo sie eben ..."
Ralf Reichelt am Telefon: "Hausservice! Nein!"
Seit 16 Jahren ist er ohne reguläre Arbeit. Auf der Agentur für Arbeit gelten solche Menschen in Thüringen, auch wenn sie fit und arbeitswillig sind, als kaum noch vermittelbar. Ein Leben zwischen Hartz IV, Umschulungen, Bewerbungstrainings, 1€-Jobs, "Maßnahmen" der Agentur für Arbeit.
"Ich versuche eben irgendwie, dass ich einen festen Job kriege! Und wenn es erst einmal ein Minijob. Ich sage: Hier würde ich sofort bleiben jetzt, ne!"
Das Positive am Bundesfreiwilligendienst ist sein Image: Es ist deutlich besser als das von ABM und von 1€-Jobs. Dadurch fühlen sich die Freiwilligen gewertschätzt und gut aufgehoben. Wichtig ist jedoch, dass die 12 oder 18 Monate für die "Bufdis" keine Sackgasse bleibt, meint Michael Panse, der Generationenbeauftragte:
"Ich frage, wenn ich in den Seminaren bin mit den Bundesfreiwilligen, immer nach zwei Dingen: Zu Beginn immer, 'Was ist ihre Motivation, warum machen sie das?' Und dann sage ich als zweites, 'Sehen sie zu, dass sie in dem Jahr auch für sich etwas tun in ihrer Entwicklung, in ihrer Perspektive!', Bildungsanteil im Bundesfreiwilligendienst ist was Wichtiges. Und als zweites frage ich, wenn die Abschiedsrunde ist nach zwölf Monaten, 'Für wen von ihnen gibt es jetzt eine Perspektive?' Da sagt mir ein großer Teil der Bundesfreiwilligen, 'Es wäre schön, wenn ich jetzt gleich ein zweites Jahr dranhängen könnte; es hat mir Spaß gemacht, ich will's weiter machen! Ich brauch's auch eigentlich, dass ich was Verbindliches hab.' Es sagen mir inzwischen auch mehr und mehr, 'Ich habe ein Übernahmeangebot von meinem Träger gekriegt, der gesagt hat, 'Ich weiß, was ich an dir hab, bleib doch bei mir, mach einen Halbtagsjob, mach einen 450€-Job!', oder in wenigen Fällen auch 'Mach einen festen Job!' Das gibt's inzwischen zunehmend."
Auch Ralf Reichelt will nicht vom Altersheim lassen. Er will auf jeden Fall 18 Monate voll machen.
"Na ja, mir liegt das ein bisschen so, die alten Leute. Deswegen habe ich mich ja auch mal beworben, wenn das mal vorbei sein sollte. Und ich wollte dann eigentlich als Pfleger. Und auf dem Arbeitsamt hat man mir gesagt, ich wäre zu alt. Da habe ich gesagt: 'Mit 50 zu alt? Ich muss bis 67 noch los!' Und das lohnt sich ja!"
Immerhin wird sein Fall nun beim Jobcenter 50+ bearbeitet. Noch ist nicht klar, ob seine Ausbildung zum Pfleger finanziert würde. Angesichts der Tatsache, dass Thüringen Chinesen zu Pflegekräften ausbilden will, erscheint es aber durchaus vernünftig. Solche Fälle, die in einer Ausbildung münden, sind aber relativ selten.
Heike Jakobi vom ehrenamtlichen Kranken-Lotsendienst schiebt einen Patienten zur Therapie im Albertinen-Haus in Hamburg.
Ehrenamtliche arbeiten etwa im Hamburger Albertinen-Haus im Besuchsdienst, betreuen Demenzkranke und begleiten Sterbende.© dpa / Christian Charisius
"Also, ich glaube, wir werden in Thüringen, in den neuen Bundesländern insgesamt, auch für die nächsten vielen Jahre eine große Nachfrage von älteren Menschen im Bundesfreiwilligendienst haben, aus zwei Gründen: Erstens, wir haben diese ganze Generation der 50+, wo sie Arbeitsmarksituation so ist, wie ich sie auch geschildert habe. Zweitens: Wir müssen auch akzeptieren, dass wir in Thüringen auch in ein paar Jahren, auch jetzt schon zunehmend, uns mit dem Thema Altersarmut beschäftigen. Es gibt ne ganze Menge Menschen, die auch 65 und älter sind und immer noch nach einer Perspektive suchen, wo sie etwas verbindlich machen können und auch ein Stückchen Geld dafür bekommen. Das wird auf Dauer uns beschäftigen in Thüringen."
Niedriglohnsektor durch die Hintertür?
Das wiederum wirft die Frage auf, ob der Bundesfreiwilligendienst die richtige Antwort auf Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut ist. Gedacht war er jedenfalls nicht so. Kritiker bemängeln, dass er durch die Hintertür einen Niedrigstlohnsektor eingeführt hat. So sieht es auch Ina Leukefeld von den LINKEN im Thüringer Landtag:
"Es ist ein Ersatzprogramm für Arbeit! Das wiederum auf ehrenamtlicher Basis halte ich nicht besonders für gut. Aber es ist schon eine wichtige Sache, denn Arbeit ist da. Und die Tatsache, dass Menschen arbeiten wollen, zeigt ja, dass man hier Schlange steht im Osten! Insofern ist es ein verkappter Arbeitsmarkt, Ersatzvariante, eine halbherzige, und es ist aus meiner Sicht an der Zeit, dass wir tatsächlich einen öffentlichen Sektor schaffen, jenseits von Staat, also öffentlichem Dienst, und Markt, sprich Wirtschaft, wo diese Arbeit, die da ist, eben auch geleistet wird, und zwar in Würde."
Vertreter der Arbeitsagenturen sehen dies durchaus ähnlich. Auch sie plädieren für eine öffentlich geförderte, angemessen bezahlte Beschäftigung. So lange es die nicht gibt, wird der Bundesfreiwilligendienst zumindest im Osten Auffangbecken für die sein, die schon lange keine Chance mehr auf eine reguläre Arbeit haben.
Der Bufti als Programmchef
Moritz Biba ist 20 Jahre alt - Abiturient und seit fast einem Jahr Bufdi. In Jeans und T-Shirt, mit Lockenkopf und wachen Augen wirkt er jungenhaft. Ihm gegenüber am Computer sitzt Tanja Becker, 23, Studentin und Praktikantin. In 20 Minuten moderieren die beiden live den zweistündigen "Stadtreport" im Wiesbadener "Radio Klinikfunk". Schnell noch die letzten Moderationstexte schreiben. Kurzer Austausch über die Bildschirme hinweg.
Becker: "Was fehlt n jetzt noch?"
Biba: "Wetter."
Becker: "Dann hast du alles?"
Biba: "Ja. Gut, ne?!"
Becker: "Was sind wir denn so in der Zeit heute! Was ist 'n da los?"
Dass die Sendung mit Wetter, Fußball-Interview, Reisetipp und Promi-Klatsch ganz ohne Hektik schon eine Viertelstunde vor Beginn steht - eher die Ausnahme im ehrenamtlich betriebenen Radio Klinikfunk. Schließlich sind der Freiwillige und die Praktikantin nicht nur für Redaktion, Moderation und die technische Sende-Vorbereitung zuständig. Der Bufdi fährt außerdem die Sendung aus dem voll digitalisierten Container-Studio auf dem Klinik-Dach selbst, hört noch eben die ersten Musiktitel vor.
"Ja, kann natürlich immer sein, dass die Technik nicht geht. Neulich war so ne Sendung, da ging fast gar nichts. Das ist natürlich nicht so einfach."
Zumal Biba das Radiomachen beim Klinikfunk im Schnelldurchgang lernte.
"Also, er wurde bei uns, als er den Bufdi angefangen hat, in die Technik eingewiesen und hat das Studio erklärt bekommen, und so das Rüstzeug, was man zum Fahren einer Radiosendung braucht, wurde ihm vermittelt, und jetzt macht er täglich oder dreimal in der Woche selbstständig eine Sendung, die er betreut und auch redaktionell füllt. Ich denke mal, dass er so nach vier Wochen alleine on air gegangen ist. Da gerade das Studio schon sehr umfangreich ist, haben wir ne Checkliste angelegt: Wie fahre ich das Studio hoch, was ist zu beachten, was ist zu tun, wenn auf einmal der Bildschirm schwarz wird. Also, da gibt's auf jeden Fall Nachschlagewerke, wo man nachschauen kann, wenn wirklich auf einmal was ausfallen sollte oder wenn Fragen zur Technik sind",
erklären der Bufdi-Beauftragte Kai Simon und Klinikfunk-Sprecher Christopher Schenk. Für den Bufdi sind die beiden im Notfall per Mail und Handy erreichbar, den Klinikfunk moderieren sie ehrenamtlich neben einem Vollzeit-Job. Gesendet und gehört wird das Wohlfühl- und Genesungsprogramm auf Kanal 1 in den Zimmern der Horst-Schmidt-Klinik, Krankenhaus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Früher war ein Zivildienstleistender der einzige Festangestellte des Unterhaltungsprogramms für Patienten, heute ist das der Bufdi. Der Freiwillige ist damit zu den üblichen Bürozeiten auch Ansprechpartner für Fragen zum Programm und zu dem Verein, der es betreibt.
Der Bufdi Moritz Biba moderiert den Klinikfunk.
Der Bufdi Moritz Biba moderiert den Klinikfunk.© Deutschlandradio
"Er hat da auch ne hohe eigenständige Kompetenz, die er da wahrnehmen darf", sagt Kai Simon über Moritz Biba. Der Bufdi hört schnell noch einen Song von Deep Purple vor, erklärt dabei, wie das Krankenhaus-Radio organisiert ist.
"Also, die Klinik hat mit uns eigentlich auch nicht so viel zu tun. Die dulden uns hier nur sozusagen und zahlen uns nur Strom und Wasser sozusagen."
Moritz Biba setzt ein Plastikfläschchen Mineralwasser an den Mund. Im Container-Büro auf dem Klinik-Dach ist es heiß. Im angrenzenden Sendestudio macht Biba gleich die Klima-Anlage an. Noch ein Schluck krankenhausfinanziertes Wasser,
"... ansonsten ist das halt alles von uns. Also, die Technik usw., die ganze Einrichtung ist von uns",
also dem Verein Radio Klinikfunk. Hochmoderne Rundfunktechnik in einem 20 Jahre alten Container-Komplex. Die Studiotür quietscht, den Schall dämpft vergilbter Noppenschaumstoff an Wänden und Decke. Aber die Mikrofone sind vom Feinsten.
"Das ist halt alles von Mitgliedsbeiträgen oder Spenden finanziert. Also, da stehen wir komplett auf eigenen Füßen. Ohne die ganzen Mitglieder, ohne den Verein gäb's das nicht."
Einsatz für 200 € Taschengeld und 200 € Verpflegungszuschuss
Bufdi Biba nimmt also keinem Journalisten den Arbeitsplatz weg, denn ohne den Verein und dessen Ehrenamtliche gäbe es gar kein Patientenradio. Und ohne Sponsoren und Preisgelder könnte Radio Klinikfunk das Taschengeld und den Verpflegungszuschuss von monatlich je 200 Euro für den Bundesfreiwilligendienst nicht aufbringen. Die Kosten für die tägliche Autofahrt nach Wiesbaden muss der junge Darmstädter allerdings selbst zahlen, das gibt die Vereinskasse nicht her:
"Das sind am Tag halt 130 Kilometer, und den Sprit gibt's ja leider nicht umsonst. Deswegen frisst das eigentlich mein gesamtes Taschengeld auf, so dass am Ende eigentlich nichts mehr übrig bleibt, weil der Sprit halt einfach so teuer ist."
Moritz Biba zuckt die Schultern: Eine nötige Investition in die Zukunft, findet er. Zehn-Stunden-Tage gegen ein Taschengeld - für seinen Traum-Job nimmt er das in Kauf.
"Gut - dafür hat man hier Radio. Und wenn ich ins Radio oder Fernsehen will - da muss man halt Opfer bringen. Und da lohnt es sich vielleicht auch, andere Interessen mal zurückzustellen und dann halt Einsatz zu bringen, damit man im Leben weiterkommt. Man kriegt ja nichts geschenkt."
Bibas Freiwilligendienst endet im August. Danach will er Politikwissenschaften studieren und sich um ein Volontariat beim Rundfunk bewerben. Geahnt hatte er, dass ihm das Moderieren liegen würde. Deshalb schlug er im Spätsommer vergangenen Jahres Angebote von Kindergärten und Tafeln rund um seinen Wohnort Darmstadt aus und entschied sich für den stressigen Radio-Job in Wiesbaden. Jetzt, fast ein Jahr später, hat er die Gewissheit: Das ist sein Ding, das soll sein Beruf werden. Kurz nach 15 Uhr. Der Nachwuchsmoderator setzt den Kopfhörer auf, zieht den Mikrofonregler am Mischpult hoch, sagt den Stadtreport für Kranke und Genesende an.
"Wir sind Ihre Gute-Laune-Garantie und versorgen Sie in den kommenden zwei Stunden mit spannenden Themen und natürlich wieder mit guter Musik. Fahren Sie denn gerne ans Meer?"
Ein Reisebeitrag kommt als nächstes. Gerade angespielt, klingelt draußen das Telefon. Co-Moderatorin Tanja Becker nimmt ab. Der Karlsruher Sänger Sebastian Niklaus ist dran, er bietet an, nach einem Auftritt im Südwestrundfunk auch beim Wiesbadener Klinikfunk zu gastieren. Darüber kann die Praktikantin nicht entscheiden.
"Moment mal, ich gebe Sie gerade mal an den Chef weiter."
Moritz Biba gibt in diesem Fall auch den Programmchef. Und entscheidet: Der Sänger bekommt die Gelegenheit, sich dem Patientenradio vorzustellen.
"Bitte - Tschüs."
Gut gemacht, meint im Nachhinein Klinikfunk-Sprecher Christopher Schenk.
"Wir haben da großes Vertrauen in unseren Bufdi, und er ist dann doch schon so selbstständig, dass er das entscheiden kann. Und wir sagen, wenn so was kommt, entscheide das ruhig, du kannst uns bei Fragen jederzeit erreichen. Aber klar, wenn ein Studiogast sich ankündigt, und es ist auch noch ein Musiker aus der Gegend, ist das natürlich interessant für die Hörerinnen und Hörer, da sagen wir: klar, warum nicht."
Moderator, Redakteur, zeitweiliger Programm- und Praktikanten-Chef - Moritz Biba hätte Anlass, sich überfordert zu fühlen. Stattdessen ist er dankbar, dass er fürs Patientenradio ausgewählt wurde.
"Es haben sich so viele Leute beworben - so viele, die das hier unbedingt machen wollten. Und wenn man dann unter so vielen genommen wird, dann kann man's schlecht ausschlagen, dieses Angebot, weil es ziemlich einzigartig ist, dass man Radio machen kann."
In größtmöglicher Eigenverantwortung, weil die anderen ehrenamtlichen Radiomacher alle voll berufstätig sind und den Freiwilligen nur punktuell coachen können. Praktikantin Tanja Becker hat von ihrem Bufdi-"Chef" viel gelernt. Abschreckend findet die 23-jährige Studentin nicht, im Freiwilligendienst einfach ins kalte Wasser geworfen zu werden. Im Gegenteil.
"Also besser, man wird hier ins Wasser geworfen als dann irgendwo in 'nem richtigen Job, wo man am Ende noch was falsch machen kann und dann noch gefeuert wird. Also es ist eigentlich hier ne ganz gute Umgebung. Klar, es war auf jeden Fall direkt der zweite Tag: 'Geh raus auf die Straße, hol' mal n paar O-Töne.' Und ich so: 'O.k.' Oh Gott, das ganz alleine, mit dem Mikro bewaffnet, keine Ahnung, wie irgendwas funktioniert. Aber im Prinzip lernt man es so vielleicht besser, wenn man selber direkt alles selbst machen muss. Klar, es ist immer blöd, wenn man kleine Fehler macht. Aber hier wird es einem wenigstens verziehen."
Und deshalb würde die Nachwuchs-Filmwissenschaftlerin nach dem Studium die Zeit bis zum Berufseinstieg durchaus mit einem Freiwilligenjahr überbrücken. Moritz Biba hofft, dass ihm nach dem Politik-Studium ein glänzendes Bufdi-Zeugnis den Weg ins erhoffte Rundfunk-Volontariat ebnet. Da will er alles von der Pike auf lernen, was er jetzt ausprobiert hat.
"Ja, es soll ja weitergehen. Es wäre ja schade, wenn die Radiokarriere nach einem Jahr schon beendet wäre."
Bei Radio Klinikfunk ging die Bewerber-Auswahl für die Bufdi-Stelle soeben zu Ende. "Wir haben uns entschieden", sagt Christopher Schenk, "und dann geht es ab September quasi nahtlos über oder nahtlos weiter mit einem neuen Bufdi, und wir sind da sehr guter Dinge, dass das wieder so erfolgreich wird wie im vergangenen Jahr."