Bullshit-Shopping

Blinde Konsumverklärung lässt sich heilen

04:30 Minuten
Warteschlange vor einem Kleidungsgeschäft in der Wiener Favoritenstraße, ein Security Mitarbeiter steht im Eingangsbereich, aufgenommen am 7. Dezember 2020.
Steht das Weihnachtsfest vor der Tür, feiert der Kapitalismus als Kaufrauschreligion ganz besonders seine Versilberungskunst, meint Philip Kovce. © imago images/photosteinmaurer.com
Überlegungen von Philip Kovce · 10.12.2020
Audio herunterladen
Vorweihnachtszeit ist Geschenke-Shoppingzeit. Auch die Pandemie scheint nur wenige davon abzuhalten. Geldausgeben wird dabei als Tugend missverstanden. Der Ökonom und Philosoph Philip Kovce wünscht sich ein Ende dieser Konsumreligion.
Singles Day, Black Friday, verkaufsoffener Sonntag: So heißen profane Feiertage, die den Konsum befeuern sollen. "Kaufen, kaufen, kaufen" lautet dann die Devise – um die Konjunktur als shoppingbewusster Konsumbürger anzukurbeln oder um sich selbst und anderen endlich mal etwas zu gönnen.
Steht das Weihnachtsfest vor der Tür, feiert der Kapitalismus als Kaufrauschreligion ganz besonders seine Versilberungskunst. Dabei ist sinnloser Konsum inzwischen ein ähnlich großes Ärgernis wie sinnlose Arbeit. Wir haben heute nicht nur ein Problem mit Bullshit-Jobs, sondern auch mit Bullshit-Shopping.
Was Bullshit-Jobs anbelangt, so hat der kürzlich verstorbene Anarchist und Anthropologe David Graeber in seinem gleichnamigen Bestseller erschütternde Geschichten über sinnlose Arbeit gesammelt, die nicht zuletzt aus Sicht der Betroffenen keinerlei individuellen oder gesellschaftlichen Nutzen bringt.
Bullshit-Jobs werden dennoch getan und bezahlt, genauer gesagt: vor allem deshalb getan, weil sie bezahlt werden und Menschen ein Einkommen zum Leben benötigen.

Konsum ohne Nutzen

Ganz ähnlich, wie Graeber die Existenz von Bullshit-Jobs dokumentiert, lässt sich auch dem Bullshit-Shopping auf die Spur kommen. Bullshit-Shopping ist sinnloser Konsum, der nicht zuletzt aus Sicht der Betroffenen keinerlei individuellen oder gesellschaftlichen Nutzen bringt.
Das neue Smartphone, das ich kaufe, obwohl das alte noch intakt ist; den neuen Schmöker, den ich kaufe, bloß um ihn ungelesen ins Regal zu stellen; die neuen Kleider, die ich kaufe, ohne sie je zu tragen – sie alle stehen beispielhaft für Kaufentscheidungen, deren Sinn und Zweck im Dunkeln bleibt.
Bleibt zu fragen, warum wir immer wieder ohne Sinn und Verstand auf Shoppingtour gehen. Ich vermute, erstens, weil wir es einfach nicht lassen können, etwas zu kaufen, selbst dann, wenn wir eigentlich nichts mehr benötigen. Zweitens, weil es uns schwerfällt, anderen etwas zu schenken, ohne ihnen dafür etwas zu kaufen. Drittens, weil wir nicht nur so tun, als ob Geldverdienen, sondern auch, als ob Geldausgeben an sich bereits eine Tugend wäre.
Vor diesem Hintergrund erweist sich Bullshit-Shopping als Symptom blinder Konsumverklärung, während Bullshit-Jobs Anzeichen blinder Arbeitsverherrlichung sind.

Müllberge und seelische Abgründe

Freilich sind die Folgen von Bullshit-Jobs und Bullshit-Shopping für Mensch und Umwelt verheerend. Auf der einen Seite türmen sich die Müllberge, auf der anderen klaffen seelische Abgründe. Der Planet heizt auf und wir brennen aus. Was ließe sich dagegen unternehmen?
David Graeber schlägt als eine Art Anti-Bullshit-Versicherung ein bedingungsloses Grundeinkommen vor. Wenn ein universelles Grundeinkommen die individuelle Streikkasse fülle, dann könnten uns Bullshit-Jobs gestohlen bleiben, so Graeber. Vielmehr könnten wir endlich aus freien Stücken sinnvoll tätig sein.
Tatsächlich spricht nichts dafür, dass Menschen mit einem Grundeinkommen faul würden, aber vieles dafür, dass dann weniger Bullshit produziert würde. Und nicht nur das: Wo weniger Bullshit produziert wird, da wird auch weniger Bullshit konsumiert. Wer sinnvoll jobbt, der muss nicht länger sinnlos shoppen. Es gibt keinen Grund mehr, Sinndefizite der Arbeit mittels Hyperkonsum zu verdrängen.
In diesem Sinne gilt: Bullshit-Jobs und Bullshit-Shopping sind keine getrennten Phänomene. Im Gegenteil: Sie bilden einen Teufelskreis, der schleunigst zu durchbrechen ist. Es ist höchste Zeit, die Bullshit-Pandemie einzudämmen. Es ist Zeit für ein Anti-Bullshit-Grundeinkommen.

Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg im Breisgau sowie am Basler Philosophicum. Gemeinsam mit Birger P. Priddat gab er im Suhrkamp Verlag den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte" heraus. Jüngst erschienen im Verlag am Goetheanum seine Anthroposophie-Kolumnen "Ich schaue in die Welt. Einsichten und Aussichten".

© Stefan Pangritz
Mehr zum Thema