Bürokratie des Vernichtens

Von Blanka Weber |
Ein Landtag ist meist ein Prestigebau. Der in Erfurt ist weniger schön, dafür aber praktisch. Im Nationalsozialismus wurden vom Landtagsgebäude aus die Deportationen der Juden geplant und organisiert. Im Keller folterte die Gestapo.
"Da sehen Sie, dass hier ein Raum im Raum ist, nämlich die Zelle im eigentlichen Sinne. Hier sieht man noch die Zellentür mit dem Schloss."

Rainer Kipper ist der Sprecher des Landtages.

"Hier sind Telekommunikationsanlagen, dieser Raum wird für die Kommunikationstechnik des Landtages genutzt und hier finden sich auch verschiedene alte Apparate."

Die alten Apparate sind aus den 20er und 30er Jahren, museale Stücke, gut erhalten, unbeachtet und unentdeckt. Wer sie einst genutzt hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Warum sich bislang keiner dafür interessierte, auch nicht:

"Darüber kann ich jetzt keine Auskunft geben. Es ist ja so, dass das Gebäude nach 1945 als Sitz genutzt wurde des Rates, des Kreises von DDR-Behörden und es mag sein, dass man bestimmte Dinge aufbewahrt hat, die hier immer noch stehen."

Es ist ein unangenehmes Thema, auch für einen Landtagssprecher. Seine Chefin Birgit Diezel, seit vergangenem Jahr neu im Amt, weiß um das Problem und will es lösen, versichert er. Eine Gedenkstätte soll geschaffen werden nur mit dem "Wie" ist man sich noch nicht einig.

Das öffentliche Nachdenken über diesen Ort haben übrigens die Grünen angeschoben, auch neu im Landtag, so wie Carsten Meyer:

"Wir sitzen ja hier als Grüne nun direkt in diesen Räumen, in denen die Gestapo war, und nicht ein Stockwerk zu hoch oder links davon oder rechts davon. Die Banalität des Bösen. Es sind praktische Räume, die sind wunderbar geeignet zum Verwalten von allem möglichen. Und genau das nehme ich wahr. Man kann hier drin Demokratie verwalten. Man kann hier auch Diktatur verwalten. Und hier drin haben Täter gesessen, ja klar."

Genau das ist der wunde Punkt. Von hier aus wurden ab 1940 Juden gezielt in die Vernichtungslager geschickt. Die Deportationen wurden geplant, organisiert und von hier aus logistisch verwaltet zum Leidwesen tausender Menschen. Ein Fakt, der fast schwerer wiegt als die Tatsache der vorhandenen Folterräume im Keller, heute noch zu sehen mit Gitter und schwerer Türe.

Rüdiger Bender setzt sich seit Jahren für das Aufarbeiten der NS-Geschichtsorte in Erfurt ein. Er plädiert für einen offenen Umgang, klare Fakten, um daraus Verantwortung für die heutige Demokratie zu ziehen:

"Wenn wir wollen, dass unsere Landtagsabgeordneten sich wirklich im Bewusstsein dieser Geschichte an ihr politisches Tagwerk machen und das ist ja gut, ich finde es ja sehr gut, dass wir den Landtag dort haben. Man könnte auch sagen, ist dieser Ort nicht zu grauenhaft? Ich würde sagen, gerade das zeigt die Bedeutung demokratischer, menschenwürdeorientierter Politik hier und heute nach 1945 an. Wir müssen uns ja klar machen, dass wir ein Grundgesetz haben, in denen der zentrale Satz lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Genau diese Würde wurde zwölf Jahre lang radikal angetastet, sagt Bender, genau das sei für heute die Verpflichtung:

"Es versteht sich nicht von selbst! Und wenn man seine politische Arbeit macht und weiß, irgendwo in diesem Raum stand ein anderer Schreibtisch und da wurde für die Vernichtung, systematische Vernichtung von Menschen gearbeitet, die man selber laut Rassegesetz als Juden definiert hatte. Und wenn man das weiß, glaube ich, macht man verantwortungsvoller Politik."

Bis Jahresende soll es eine Entscheidung geben, wie der Landtag mit diesem Erbe umgeht.
"Wir brauchen eine ordentliche Markierung dieses Ortes als Täter-Ort."

Für den Philosophen und Lehrbeauftragten der Universität Erfurt, Rüdiger Bender, stellt sich neben der Markierung als Täter-Ort die Frage nach dem menschlichen Handeln von damals:

"Was waren die Schritte dahin, also Schritte über welche Grenzen waren notwendig, um Menschen soweit zu bringen, also da mitzumachen, geflissentlich, wohl organisiert mit ganz moderner Logistik. Das musste erstmal ins Werk gesetzt werden, dieses Verbrechen und für den NS-Gau Thüringen ins Werk gesetzt – hat man es hier."

Der Landtag in Erfurt ist übrigens nur ein Beispiel für ehemalige NS-Täter-Orte in Thüringen.