Behördenkommunikation

Ein Albtraum wie bei Kafka

04:17 Minuten
Illustration: Eine weisse Fahne winkt von einer Hand gehalten aus einem Berg von Akten.
Uwe Bork verzweifelt bei der Kommunikation mit Ämtern und Behörden. © Getty Images / iStockphoto / Gorbachlena
Überlegungen von Uwe Bork · 15.07.2022
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Statt bürgernah und effizient verbinden viele Menschen mit Behörden frustrierende Wartezeiten, bis man endlich einen Termin bekommt. Für den Autor Uwe Bork ist Deutschland von der Servicewüste zur Kommunikationssteppe mutiert – mit kafkaesken Dimensionen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich der Weltliteratur anzunähern: Man kann sie bereits in der Schule als quasi natürliches Sedativum inhalieren und komatös auf die nächste Pause warten. Man kann ihre Hauptwerke später so niedrig überfliegen, dass die erreichte Flughöhe eben noch ausreicht, um beim nächsten Small Talk nicht peinlichst abzustürzen. Man kann in die Sphäre der Dichtkunst aber auch mit seiner ganzen Persönlichkeit eintauchen, - ein 'immersiver Ansatz', wenn Sie es etwas intellektueller mögen.
Ich persönlich bin seit einiger Zeit auf diesem totalen Weg der Annäherung unterwegs. Als wäre ich einer der schuldlos Schuldigen seines düsteren Universums, begegne ich dabei fast täglich Kafka. Allein schon der Versuch, mit einer beliebigen Behörde in Verbindung zu treten, versetzt mich in sein schonungsloses Schattenreich. Aus Uwe B. wird binnen weniger Minuten K., dem es nicht gelingt, ins schäbige Schloss der Bürokratie vorgelassen zu werden.

Flure, das Elend moderner Zweckbauten

In der Tat geht auch meine Kommunikation mit Ämtern und Behörden schon lange gegen null. Fast würde es mich erschrecken, erhielte ich plötzlich einen Termin in einem der Amtszimmer an einem jener ewiggleichen Flure, die das Elend moderner Zweckbauten ausmachen. Sind die Damen und Herren hinter ihren Schreibtischen und vor ihren Computern doch bereits seit den Tagen der ersten Corona-Wellen persönlich unerreichbar geworden.
Ich könnte auch einfach anrufen? Vergessen Sie's. Entweder ist der entsprechende Anschluss belegt oder es nimmt niemand ab und ich drohe irgendwann in der Anonymität einer Warteschleife zu verenden. Wenn mich deren digitales Dudeln nicht vorher barmherzig in den Wahnsinn getrieben hat.

E-Mail und Brief als letzte Hoffnung

Letzte Möglichkeit: Kontakt per E-Mail oder klassischem Brief. Jetzt erscheint wenigstens eine Antwort auf meinem Bildschirm: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aufgrund der vielen Zuschriften und E-Mails, die uns täglich erreichen, nicht alle Angelegenheiten innerhalb weniger Tage beantworten können.“
Nicht alle Angelegenheiten? Wenige Tage? Ich wäre ja schon froh, wenn sich mir eine Perspektive von wenigen Wochen eröffnete! Doch darüber kein Wort. Würde ich mich direkt an Gott wenden, hätte ich sicher schneller eine Offenbarung. Irgendwie fühle ich mich wie auf einer Zeitreise. Rückwärts. In die Zeit der Obrigkeit und ihrer gnadenreichen Zuwendung an die in der Regel störenden Untertanen.
War es lange Zeit so, dass der Servicegedanke auch in der öffentlichen Verwaltung angekommen zu sein schien, haben Pandemie, Personalmangel und die Entscheidungen der Politik diesen Fortschritt weitgehend wieder zunichtegemacht. Sicher, bei Bund, Ländern und Kommunen arbeiten inzwischen rund fünf Millionen Beschäftigte, Tendenz steigend.
Viele Menschen, fürwahr, aber wo sind sie eigentlich? Wo werden sie spürbar? Bei der Polizei? In den Schulen? Das wäre immerhin sinnvoll.

Kafkas Schloss ist in Sichtweite

In Bürgerämtern und Jobcentern scheinen die neuen Mitarbeitenden allerdings offenbar noch nicht angekommen zu sein. Dabei geht es gerade dort doch nicht nur um ein paar Formulare, die man sich notfalls online herunterladen könnte, dort geht es sehr direkt auch um die gerechtere Verteilung von Lebenschancen und den Schutz vor dem Absturz ins soziale Nichts.
Zugegeben: Noch stehen wir nicht ganz dicht vor Kafkas Schloss, aber der dunkle Bau ist schon in Sichtweite und er wirft – zumindest bei ungünstigen Lichtverhältnissen – bereits seine Schatten über unsere Gemeinwesen.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Uwe Bork, geboren 1951, ist seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Außer seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht. In ihnen setzt er sich humorvoll-ironisch mit dem Alltag in deutschen Familien auseinander ("Väter, Söhne und andere Irre"; "Endlich Platz im Nest: Wenn Eltern flügge werden") oder räumt ebenso sachlich wie locker mit Urteilen und Vorurteilen über Religion auf ("Wer soll das alles glauben? Und andere schlaue Fragen an die Bibel"; "Die Christen: Expedition zu einem unbekannten Volk").
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