Bürgerschaftliches Netzwerk: Einen Lerndienst anbieten
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Reform der Wehrpflicht wird auch über die des Zivildienstes diskutiert. So hat sich der Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), Ansgar Klein, dafür ausgesprochen, Programme wie das freiwillige soziale Jahr attraktiver zu gestalten.
Christopher Ricke: Wer hilft eigentlich in Zukunft in Altenheimen, Krankenhäusern, Kinderläden, Jugendherbergen, wer tut das, wenn einmal die Wehrpflicht möglicherweise ausgesetzt ist und damit auch der Zivildienst? Die Wohlfahrtsverbände fordern baldige Klarheit, sie wollen wissen, wie es weitergeht. Mit Wehrdienstreformen kann man umgehen, mit denen hat man gelernt zu leben. Die Zahl der Zivis ist in den vergangenen Jahren ohnehin deutlich gesunken, ihre Dienstdauer hat sich zudem immer weiter verkürzt: Neben den Zivildienst ist längst das freiwillige soziale Jahr getreten. Ich habe nun mit Ansgar Klein gesprochen, er ist der Geschäftsführer des Bürgernetzwerks Bürgerschaftliches Engagement. Hier sind Organisationen vertreten von der Arbeiterwohlfahrt bis zum Zweiten Deutschen Fernsehen, und unter diesen Organisationen sind auch viele Gruppen, in denen Zivildienstleistende arbeiten. Ich habe Herrn Klein gefragt: Ist denn der Zivildienst auch aus Ihrer Sicht ein Auslaufmodell?
Ansgar Klein: Also nach all dem, was man jetzt sehen kann aus der politischen Debatte, scheint ja das zu sein. Es gibt natürlich in den Parteien noch Kontroversen, es ist eine sehr grundsätzliche Frage, ob man ihn erhält. Aber wenn er erhalten würde, dann sowieso nur in einer Dauer von sechs Monaten. Und da muss man im Grunde jetzt schon überlegen, was tut man.
Ricke: Es gibt ja die Alternative, das freiwillige soziale Jahr. Kann das ausgebaut werden?
Klein: Absolut, und es ist so, dass wir nach Auskunft der Träger des freiwilligen sozialen Jahres, des freiwilligen ökologischen Jahres und anderer Angebote – es gibt da ja eine breite Palette –, die sagen, wir haben dreimal so viele Nachfragen, wie wir anbieten können. Das heißt, auf dieser Basis könnte man und müsste man ausbauen, da müsste man noch Geld in die Hand nehmen, und das wäre insofern auch sinnvoll, weil man dort ja auch eine erhebliche pädagogische Begleitung hat und einen Lerndienst hat.
Ricke: Das Wort "freiwillig" ist da aber ganz wichtig, und mit Freiwilligkeit kann man nur begrenzt kalkulieren. Oder kann man es doch?
Klein: Ja in der Tat, man kann mit freiwillig in der Tat, wie Sie gesagt haben, nur begrenzt kalkulieren. Aber man kann sagen, 23 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich freiwillig und im freiwilligen Jahr haben wir ein Dreifaches der Nachfrage zu den bestehenden über 30.000 Plätzen. Das heißt, man kann da einiges tun. Und jetzt kommen wir natürlich in eine Grundsatzdebatte, ist ja jetzt auch die Debatte entstanden, ein neues allgemeines Pflichtjahr zu machen. Das ist vor diesem Hintergrund eine ziemlich vergiftete Debatte, die von den Wohlfahrtsverbänden und den Trägern der Freiwilligen Dienste weitgehend abgelehnt wird. Die sagen, wir haben genügend Möglichkeiten, freiwillig etwas zu tun, und außerdem muss man ja eh drauf achten, dass man, wenn man Freiwilligendienste anbietet, im Grunde nicht normale Arbeit verdrängt und jetzt hier nicht im Grunde eine Art Billiglohnbereich, sondern einen Lerndienst anbietet. Das ist das, was die jungen Menschen brauchen, was die Zivilgesellschaft braucht.
Ricke: Was ist so falsch daran, etwas Verpflichtendes zu tun? Junge Männer haben sich über Jahrzehnte in den Dienst des Vaterlands gestellt, das können doch jetzt junge Frauen im sozialen, im ökologischen Bereich auch tun?
Klein: Ja, diese Debatte könnte man so führen. Ich würde gerne drei Argumente aber dagegen anbieten. Das erste Argument ist natürlich das rechtliche. Wir haben von europäischen Rechtsprechungen bis zur grundgesetzlichen Rechtsprechung keinerlei Chance aus meiner Sicht, einen neuen Pflichtdienst zu begründen. Da gibt es Gutachten aus dem Bundestag und anderen, die sagen, dass ein Pflichtdienst jenseits der Wehrpflicht nicht begründet werden kann. Das ist das erste Argument. Das zweite Argument ist, dass, wenn Sie schauen, was so ein Pflichtdienst kosten würde – Sie müssten ungefähr 500.000 junge Menschen reinholen in den Pflichtdienst. Wenn Sie das á 15.000 Euro quasi wie ein Zivildienstplatz rechnen, kommen Sie auf ganz hohe Kosten, die bis zu 20 Milliarden im Jahr sein können, so ist die höchste Schätzung. Das, also die Ökonomen sagen, ist ein unsinniges Verfahren. Weil wenn Sie einen Pflichtdienst anbieten, müssen Sie es für Männer und Frauen dann machen, und dann brauchen Sie 500.000 Plätze und die Wohlfahrtsverbände selber sagen, das können sie gar nicht aufbauen. Und dann kommen wir im Grunde noch zu einem dritten Argument: Die Politik hat seit Jahren – ohne dass ich das jetzt unterstützen möchte – mit G8 und B.A. eine Verkürzung der Lernjahre gemacht mit dem Ziel, junge Leute schneller in Arbeit zu bringen. Das hat zu der verheerenden Folge geführt, dass das Lernen für die Gesellschaft in Schule und Universität immer seltener gemacht werden kann. Jetzt sind wir dabei, darauf zu reagieren. Jetzt kommt plötzlich eine Pflichtdienstdebatte und will genau das Gegenteil, nämlich den jungen Leuten ein Jahr dranhängen. Das vor dem Hintergrund eines demographischen Wandels, der im Grunde die jungen Menschen immer seltener macht und sozusagen den Bedarf vom Arbeitsmarkt immer stärker - also ich halte das vor dem Hintergrund dieser drei Argumente für den falschen Weg, wir brauchen Freiwilligendienste und die müssen gestärkt und ausgebaut werden.
Ricke: In diesem Zusammenhang haben Sie den Begriff des Lerndienstes begriffen. Ich verstehe Sie so, dass das das Lernen fürs soziale Miteinander, für die Gesellschaft ist. Wenn man das aber freiwillig auslegt, dann erreicht man doch nur die, die ohnehin schon engagiert sind. Wir brauchen doch viel mehr?
Klein: Da haben Sie völlig recht, würde ich sagen. Da brauchen wir sozusagen eine aufsuchende Strategie, die genau diejenigen auch anspricht, die derzeit kaum in Freiwilligendienste gehen. Da haben wir auch schon Modellprojekte, die auch die Bundesregierung unterstützt, etwa Menschen mit Migrationshintergrund stärker ansprechen, Menschen mit formal geringeren Ausbildungen ansprechen, dafür Tätigkeitsprofile mit Lerncharakter machen, entwickeln, stärken und fördern und dort attraktive Plätze schaffen. Und dann kommen die Leute auch. Aber ich sag es andersrum: Im Zivildienst hat sich doch längst eine Kultur entwickelt, die dazu geführt hat, dass ein großer Teil der Menschen Fahrer und Pförtner sind. Das heißt, die substituieren Arbeitsplätze und gelernt wird im Grunde wenig. Das gilt nicht für alle, aber leider für viel zu viele. Und das muss bei einem Freiwilligendienst ganz anders sein, und nur unter der Marke Freiwilligendienst und unter der Trägerschaft der freien Träger kann man da wirklich weiterkommen.
Ricke: Wir führen die Debatte im Augenblick im Windschatten der Wehrdienstdebatte, die Diskussion über die Aussetzung des Wehrdienstes, damit das Grundgesetz nicht geändert werden muss. Diese ganze Debatte über Freiwilligkeit, über Zivildienst ist also eine Nebendebatte, dennoch ist sie wichtig. Haben Sie den Eindruck, dass Sie politisch ausreichend gehört werden?
Klein: Also ich stelle gerade fest, dass die Bundesregierung derzeit im Grunde Vorschläge macht, die sie nicht mit der Zivilgesellschaft abstimmt, obwohl sie das Gegenteil behauptet. Wir selber haben mit dem Bundesfamilienministerium ein nationales Forum für Engagement und Partizipation, in dem die zivilgesellschaftlichen Akteure versuchen, eine nationale Engagementstrategie mit zu entwickeln. Der Vorschlag, der jetzt von der Ministerin gekommen ist, ist dort noch niemals von der Bundesregierung eingebracht worden. Wir sind alle komplett überrascht, und das ist ein Ausdruck davon, dass man sozusagen Alleingänge von staatlicher Seite da sozusagen nicht machen sollte, wenn man im Grunde schon dabei ist, über die Zivilgesellschaft abzustimmen, muss man das auch ernst nehmen.
Ricke: Ansgar Klein, der Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, vielen Dank, Herr Klein!
Klein: Ja, gerne!
Ansgar Klein: Also nach all dem, was man jetzt sehen kann aus der politischen Debatte, scheint ja das zu sein. Es gibt natürlich in den Parteien noch Kontroversen, es ist eine sehr grundsätzliche Frage, ob man ihn erhält. Aber wenn er erhalten würde, dann sowieso nur in einer Dauer von sechs Monaten. Und da muss man im Grunde jetzt schon überlegen, was tut man.
Ricke: Es gibt ja die Alternative, das freiwillige soziale Jahr. Kann das ausgebaut werden?
Klein: Absolut, und es ist so, dass wir nach Auskunft der Träger des freiwilligen sozialen Jahres, des freiwilligen ökologischen Jahres und anderer Angebote – es gibt da ja eine breite Palette –, die sagen, wir haben dreimal so viele Nachfragen, wie wir anbieten können. Das heißt, auf dieser Basis könnte man und müsste man ausbauen, da müsste man noch Geld in die Hand nehmen, und das wäre insofern auch sinnvoll, weil man dort ja auch eine erhebliche pädagogische Begleitung hat und einen Lerndienst hat.
Ricke: Das Wort "freiwillig" ist da aber ganz wichtig, und mit Freiwilligkeit kann man nur begrenzt kalkulieren. Oder kann man es doch?
Klein: Ja in der Tat, man kann mit freiwillig in der Tat, wie Sie gesagt haben, nur begrenzt kalkulieren. Aber man kann sagen, 23 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich freiwillig und im freiwilligen Jahr haben wir ein Dreifaches der Nachfrage zu den bestehenden über 30.000 Plätzen. Das heißt, man kann da einiges tun. Und jetzt kommen wir natürlich in eine Grundsatzdebatte, ist ja jetzt auch die Debatte entstanden, ein neues allgemeines Pflichtjahr zu machen. Das ist vor diesem Hintergrund eine ziemlich vergiftete Debatte, die von den Wohlfahrtsverbänden und den Trägern der Freiwilligen Dienste weitgehend abgelehnt wird. Die sagen, wir haben genügend Möglichkeiten, freiwillig etwas zu tun, und außerdem muss man ja eh drauf achten, dass man, wenn man Freiwilligendienste anbietet, im Grunde nicht normale Arbeit verdrängt und jetzt hier nicht im Grunde eine Art Billiglohnbereich, sondern einen Lerndienst anbietet. Das ist das, was die jungen Menschen brauchen, was die Zivilgesellschaft braucht.
Ricke: Was ist so falsch daran, etwas Verpflichtendes zu tun? Junge Männer haben sich über Jahrzehnte in den Dienst des Vaterlands gestellt, das können doch jetzt junge Frauen im sozialen, im ökologischen Bereich auch tun?
Klein: Ja, diese Debatte könnte man so führen. Ich würde gerne drei Argumente aber dagegen anbieten. Das erste Argument ist natürlich das rechtliche. Wir haben von europäischen Rechtsprechungen bis zur grundgesetzlichen Rechtsprechung keinerlei Chance aus meiner Sicht, einen neuen Pflichtdienst zu begründen. Da gibt es Gutachten aus dem Bundestag und anderen, die sagen, dass ein Pflichtdienst jenseits der Wehrpflicht nicht begründet werden kann. Das ist das erste Argument. Das zweite Argument ist, dass, wenn Sie schauen, was so ein Pflichtdienst kosten würde – Sie müssten ungefähr 500.000 junge Menschen reinholen in den Pflichtdienst. Wenn Sie das á 15.000 Euro quasi wie ein Zivildienstplatz rechnen, kommen Sie auf ganz hohe Kosten, die bis zu 20 Milliarden im Jahr sein können, so ist die höchste Schätzung. Das, also die Ökonomen sagen, ist ein unsinniges Verfahren. Weil wenn Sie einen Pflichtdienst anbieten, müssen Sie es für Männer und Frauen dann machen, und dann brauchen Sie 500.000 Plätze und die Wohlfahrtsverbände selber sagen, das können sie gar nicht aufbauen. Und dann kommen wir im Grunde noch zu einem dritten Argument: Die Politik hat seit Jahren – ohne dass ich das jetzt unterstützen möchte – mit G8 und B.A. eine Verkürzung der Lernjahre gemacht mit dem Ziel, junge Leute schneller in Arbeit zu bringen. Das hat zu der verheerenden Folge geführt, dass das Lernen für die Gesellschaft in Schule und Universität immer seltener gemacht werden kann. Jetzt sind wir dabei, darauf zu reagieren. Jetzt kommt plötzlich eine Pflichtdienstdebatte und will genau das Gegenteil, nämlich den jungen Leuten ein Jahr dranhängen. Das vor dem Hintergrund eines demographischen Wandels, der im Grunde die jungen Menschen immer seltener macht und sozusagen den Bedarf vom Arbeitsmarkt immer stärker - also ich halte das vor dem Hintergrund dieser drei Argumente für den falschen Weg, wir brauchen Freiwilligendienste und die müssen gestärkt und ausgebaut werden.
Ricke: In diesem Zusammenhang haben Sie den Begriff des Lerndienstes begriffen. Ich verstehe Sie so, dass das das Lernen fürs soziale Miteinander, für die Gesellschaft ist. Wenn man das aber freiwillig auslegt, dann erreicht man doch nur die, die ohnehin schon engagiert sind. Wir brauchen doch viel mehr?
Klein: Da haben Sie völlig recht, würde ich sagen. Da brauchen wir sozusagen eine aufsuchende Strategie, die genau diejenigen auch anspricht, die derzeit kaum in Freiwilligendienste gehen. Da haben wir auch schon Modellprojekte, die auch die Bundesregierung unterstützt, etwa Menschen mit Migrationshintergrund stärker ansprechen, Menschen mit formal geringeren Ausbildungen ansprechen, dafür Tätigkeitsprofile mit Lerncharakter machen, entwickeln, stärken und fördern und dort attraktive Plätze schaffen. Und dann kommen die Leute auch. Aber ich sag es andersrum: Im Zivildienst hat sich doch längst eine Kultur entwickelt, die dazu geführt hat, dass ein großer Teil der Menschen Fahrer und Pförtner sind. Das heißt, die substituieren Arbeitsplätze und gelernt wird im Grunde wenig. Das gilt nicht für alle, aber leider für viel zu viele. Und das muss bei einem Freiwilligendienst ganz anders sein, und nur unter der Marke Freiwilligendienst und unter der Trägerschaft der freien Träger kann man da wirklich weiterkommen.
Ricke: Wir führen die Debatte im Augenblick im Windschatten der Wehrdienstdebatte, die Diskussion über die Aussetzung des Wehrdienstes, damit das Grundgesetz nicht geändert werden muss. Diese ganze Debatte über Freiwilligkeit, über Zivildienst ist also eine Nebendebatte, dennoch ist sie wichtig. Haben Sie den Eindruck, dass Sie politisch ausreichend gehört werden?
Klein: Also ich stelle gerade fest, dass die Bundesregierung derzeit im Grunde Vorschläge macht, die sie nicht mit der Zivilgesellschaft abstimmt, obwohl sie das Gegenteil behauptet. Wir selber haben mit dem Bundesfamilienministerium ein nationales Forum für Engagement und Partizipation, in dem die zivilgesellschaftlichen Akteure versuchen, eine nationale Engagementstrategie mit zu entwickeln. Der Vorschlag, der jetzt von der Ministerin gekommen ist, ist dort noch niemals von der Bundesregierung eingebracht worden. Wir sind alle komplett überrascht, und das ist ein Ausdruck davon, dass man sozusagen Alleingänge von staatlicher Seite da sozusagen nicht machen sollte, wenn man im Grunde schon dabei ist, über die Zivilgesellschaft abzustimmen, muss man das auch ernst nehmen.
Ricke: Ansgar Klein, der Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, vielen Dank, Herr Klein!
Klein: Ja, gerne!