Bürgermeister in Frankfurt/Oder

Jung, links, unkonventionell

René Wilke (Die Linke), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder)
René Wilke, seit Mai Oberbürgermeister in Frankfurt/Oder, soll nun alles anders und besser machen. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 10.09.2018
René Wilke ist Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder und gilt als großes politisches Talent. Doch ohne, dass die Bürger zusammenrücken, lassen sich viele Probleme nicht bewältigen, meint der 34-jährige Linke. Die Armutsquote in seiner Stadt liegt bei 30 Prozent.
"Hallo, schönen guten Tag."
"Sie sind sehr sympathisch."
"Danke."
"Ich freu mich, dass Sie gewählt worden sind."
Es ist eine bezeichnende Begegnung mit dem neuen Oberbürgermeister: Die Wählerinnen wollen, dass er alles anders macht und die komplette Verwaltungsspitze auswechselt. René Wilke erklärt, dass er auch ein paar alte Hasen brauche.
"Das Paket wird ja eins sein: Wir haben ja ganz viele junge Leute, die reinkommen. Aus verschiedenen Parteien, die da zusammenkommen, damit das ein bisschen mehr zusammenwächst, das Ganze hier, und nicht mehr so viel Gegeneinander ist, und da braucht man auch jemand, der ein bisschen Erfahrung hat."

Motivation hoch, Umsetzung schwierig

Die drei Frauen mit Hündchen an der Leine gucken etwas skeptisch.
"Die Alten, das war alles so altbewährt, ist nicht viel passiert in Frankfurt, und von daher haben wir gedacht, dass die ganze Alten ... die sind ja wirklich lange drinne gewesen, die ganzen Beigeordneten."
"Die im Amt sind, meint sie."
"Die im Amt waren, er krempelt ja jetzt um, Gott sei Dank, und das ist von daher mal notwendig. Vor allen Dingen ist er noch schön jung."
34 Jahre alt ist der neue Oberbürgermeister, seit Mai im Amt. Er soll nun alles anders und besser machen, am besten sofort: Die Wirtschaft beleben, das Kulturleben ankurbeln, Freiräume für Jugendliche schaffen, so lauten Forderungen, wenn man sich in Frankfurt/Oder umhört. Doch die Umsetzung wird schwierig werden, auch wenn Wilke als eines der großen politischen Talente in Brandenburg gilt.

"Angewiesen darauf, dass die Frankfurter zusammenrücken"

Wilke steigt vor der Familienberatungsstelle der Caritas aus dem Auto, begrüßt freundlich und zugewandt alle einzeln mit Handschlag. Heute ist "Wirtschaft in Aktion": Unternehmer aus der Stadt kümmern sich um soziale Belange. Hier bei der Caritas zum Beispiel hat eine Firma auf eigene Kosten den PVC-Boden neu verlegt und frisch gestrichen.
"In anderen Städten gibt's dann eben auch mal einen Zuschuss von der Stadt für solche Sachen, in Frankfurt haben wir 120 Millionen Schulden und 90 Millionen Reparaturrückstau. Deswegen sind wir so angewiesen darauf, dass die Frankfurter ein bisschen zusammenrücken, dass es genau so ein Engagement gibt hier und die Frankfurter sich gegenseitig helfen. Anders kriegen wir manche Dinge leider erst mal nicht hin."
In der "Kita Kunterbunt" zum Beispiel: Hier baggern Bauarbeiter einen Kabelschacht aus, weil die Kinder sich eine Lichterkette für die große Tanne gewünscht haben. René Wilke wurde 1984 in Frankfurt/Oder geboren, er hat eine russische Mutter und als Kind mit seinen Eltern ein paar Jahre in Moskau gelebt.

Für mehr Chancengleichheit

"Es gab viel Armut, viel Elend, gab auch tote Menschen auf der Straße, verhungerte, erfrorene Menschen. Es war schon eine dramatische Situation, auch gerade diese Umbruchszeit damals in Russland. Und das mit anzusehen als Kind, prägt natürlich auch mit. Man versteht da nicht alles, aber was man sich auf jeden Fall fragt, die Frage hat mich auch bis heute nicht losgelassen, ist: Wie kann es sein, dass es den einen so gut geht und den anderen so viel schlechter. Und diese Frage begleitet mich auch politisch und treibt mich auch an, für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu sorgen."
Als Stadtoberhaupt wolle er zum Beispiel die hohe Kinderarmut bekämpfen, erzählt Wilke, während er schnell eine Suppe löffelt, bevor es zur nächsten Termin weiter geht.
"Wir haben hier 30 Prozent Armutsquote in Frankfurt/Oder, da müssen wir ran, mit einem runden Tisch zum Beispiel, den wir jetzt initiieren werden."

629-Punkte-Plan

In den sozialen Medien gibt Wilke offen Auskunft über seine Arbeit. Er sagt, er wolle Mitarbeiter in Entscheidungen einbeziehen, statt sie aufzuzwingen. Die Verwaltung wird er auch auf seiner Seite brauchen: René Wilke hat sich viel vorgenommen:
"Ich habe tatsächlich einen 629-Punkte-Plan erarbeitet und habe eine Art To-Do-Liste für meine Verwaltung geschrieben, die jeden Fachbereich betrifft, jedes Dezernat und jeder weiß, was zu tun ist und welche Themen und Aufgaben wir demnächst anpacken wollen."
Seine Zusatzqualifikation als Mediator wird der Politikwissenschaftler dabei gut gebrauchen können. Und die Ausdauer, die er bei langen Touren auf dem Rennrad trainiert. So freundlich und verbindlich Wilke auch auftritt: Er kann auch anders und schert sich dann wenig um die Parteilinie: Nachdem eine rund 20-köpfige Gruppe syrischer Männer Ende August einen Club mit Eisenstangen, Messern und Steinen angegriffen hat, prüft Wilke nun, ob er die Haupttäter ausweisen lassen kann. Bis Ende der Woche soll die Entscheidung fallen. Wilke sagt, er wolle mit dem drastischen Schritt auch rechter Hetze wie in Chemnitz den Boden entziehen.
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