Bürgermeister, Exzentriker und Romancier

28.06.2012
Darf man über islamistischen Terrorismus lachen? Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson meint: Ja, das geht. In seinem Debütroman "72 Jungfrauen" besticht er mit witzigen Formulierungen, ironischen Kommentaren - und gibt sich politisch durchaus unkorrekt.
London nach dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center. Eine Gruppe von islamistischen Terroristen macht sich daran, das englische Parlament zu besetzen, während der US-Präsident dort eine Rede hält. 72 schwarzäugige Jungfrauen sind den Selbstmordattentätern nach Vollzug versprochen. Das ist deren Perspektive. Der Roman "72 Jungfrauen" setzt sich jedoch aus vielen Perspektiven von Personen zusammen, die irgendwie an dem dramatischen Ereignis beteiligt oder von ihm betroffen sind, verschiedene ineinander geflochtene Erzählstränge, in kurze Absätze tranchiert, von denen jeder mit einem Cliffhanger endet. Da geht ein Erzähler absolut auf Nummer sicher, dass die Spannung nie abhanden kommt. Das tut sie auch nicht. Und das ist nicht wenig.

Außerdem ist das Buch voll von witzigen Formulierungen und für hiesige Verhältnisse politisch durchaus unkorrekt. So manche Pointe gerät in der deutschen Übersetzung etwas holprig, aber alles in allem liest sich das flott und süffig, und zunehmend nimmt die Geschichte trotz der dramatischen Ausgangslage angesichts ironischer Kommentare und eines eher tollpatschig agierenden Personals auf beiden Seiten heitere Züge an. Darf man über islamistischen Terrorismus lachen? Dieses Buch beantwortet die Frage 400 Seiten lang mit Ja.

Das Original ist 2004 erschienen, also noch unter dem Eindruck von 9/11 und der damals viel diskutierten Vasallentreue Englands zu den USA, dem eigentlichen politischen Thema des Romans. Es ist das belletristische Debüt von Boris Johnson, genannt "Bojo", der gerade in eine zweite Amtszeit als Bürgermeister von London gewählt worden ist. Damals war er einfacher Abgeordneter, ein Insider also eben jenes Milieus, das hier beschrieben wird. Und das macht den wahren Reiz dieses satirischen Thrillers aus: Die Zeichnung der Abgeordneten ist so bös und so nah dran an den schmutzigen Details, dass man sich kaum vorstellen kann (und nicht vorstellen will), dass sie ganz erfunden sind.

Das Wissen, dass jeder fensterlose Sitzungsraum und jedes Ritual hinter den Kulissen authentisch ist oder doch sein könnte, gibt der Story die besondere Würze. Neben dieser Authentizität, für die der Autor qua Amt bürgt, hält erzählerisches Handwerk den Plot zusammen. Da ist neben dem Feuerwerk an Cliffhangern jene typisch angelsächsische Ironie, die noch den schwärzesten Gedanken auf Distanz hält, ergänzt um einen fast schon exzessiven Hang zum stets nach einem Schmunzeln schielenden Vergleich, der bisweilen die tiefgründigere Routine eines hauptberuflichen Romanciers ersetzen mag. Da glänzt Kopfhaut "wie ein abgeholzter Gebirgswald", da liegt London "ausgebreitet in der Morgensonne wie eine schöne Frau, die man ohne Make-up im Bett überrascht hat".

Ein islamistischer Angriff auf die westliche Demokratie mag ein ungewöhnliches Thema für einen entspannenden Sommerthriller sein. "72 Jungfrauen" ist aber durchaus ein Buch fürs Feriengepäck, keineswegs nur für einen Flug zu den Olympischen Spielen.

Besprochen von Hans von Trotha

Boris Johnson: 72 Jungfrauen
Aus dem Englischen von Juliane Zaubitzer
Verlag Haffmanns & Tolkemitt, Berlin 2012
416 Seiten, 19,95 Euro


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