Bürgerliches Preußen

Von Erik von Grawert-May |
"Verehrt, verklärt, verdammt": Diesen Titel hat das Deutsche Historische Museum einer Ausstellung über Friedrich den Großen gegeben - aus Anlass des runden Geburtstages des Königs von Preußen. Mit Hilfe von 600 Exponaten soll sein Nachleben, der Umgang mit dem jungen und alten Fritz in diesen 300 Jahren dargestellt werden. Doch fixieren wir uns vielleicht zu sehr auf Könige, wenn wir von Preußen reden?
Friedrich II. in aller Munde! Zwei Beispiele: Der Schriftsteller Rolf Schneider wünschte sich, die Archivdeckel möchten doch bitte über dem Grand Roi de Prusse endlich geschlossen werden, wir brauchten ihn nicht mehr – bei aller Liebe. Der letzte Bundespräsident warnte vor einer Mythisierung des Geburtstagskindes. Schließlich habe er Tausende Landsleute für seine Kriege geopfert.

Schon recht! Aber sein königlicher Mut – war der nicht großartig? Seine Kühnheit hätten wir in Libyen gebraucht, als Franzosen, Briten und andere Europäer die Kastanien für uns aus dem Feuer holten. Und bezeichnete er sich nicht als ersten Diener seines Staates?

"Erster Diener": Das klingt irgendwie noch edel. Allerdings nicht ganz so edel, wie wenn unser aller Helmut Schmidt sich als Kanzler - hanseatisch zurückhaltend und mit Hamburger "st" - den ersten Angestellten des Staates nannte. Ein Angestellter ist schon was Besseres.

Friedrich sprach, wenn überhaupt, nur höchst gebrochen Deutsch. Meistens sprach er Französisch. Er sagte, er sei "le premier domestique de l’état". Das hört sich schon ganz anders an. Wenigstens viel weniger edel. Der Monarch scheute nicht davor zurück, die unterste Stufe eines Gehilfen einzunehmen. Ob das mit ein Grund dafür war, dass Preußen von einer Revolution wie der Französischen verschont blieb? Ein Figaro konnte hier keinen Aufstand auslösen, wo der erste Mann weniger war als ein Friseur.

Unlängst wurde ich Zeuge eines Gesprächs, in dem einer die Behauptung aufstellte, wir würden, wenn wir von Preußen redeten, viel zu viel an die Könige denken. Und nicht an die Bürger, die vielleicht viel mehr für ihren Staat getan hätten als die Monarchen. Er erinnerte beispielsweise an die Zeit nach den verlorenen Schlachten von Jena und Auerstedt. Die noch in friderizianischem Geist erzogenen Truppen waren besiegt, Berlin von napoleonischen Truppen besetzt, der König geflohen.

Wenn Preußen das gewesen wäre, was viele Kritiker ihm unterstellen, ein reiner Militärstaat, dann hätte es untergehen müssen. Es ging aber nicht unter, es ging auf, und zwar erfrischt an Haupt und Gliedern durch die berühmten Reformen in Verwaltung, Heer und Bildungswesen. Bürgerliche Eliten haben durch ihre entschiedene Unterstützung der Monarchie damals aus der Patsche geholfen. Der Adel allein hätte es nicht geschafft. So weit, so gut.

Aber man unterschätze auch die Könige nicht. Wahrscheinlich hat das Beispiel Friedrichs II. bei dem von Napoleon traumatisierten Friedrich Wilhelm III. noch nachgewirkt, weshalb er friedliche Gesinnung zeigte, aber auf einem ganz anderen Feld: dem der Kircheneinigung.

Er war es, der in bester Tradition seiner Vorfahren die Reformierten und die Lutheraner in der "Preußischen Union" zusammenführte. Nicht nur das. Am Reformationstag 1817 nahm er, für alle Gottesdienstbesucher sichtbar, das Abendmahl ein. Er empfahl den Gläubigen des ganzen Landes, seinem Beispiel zu folgen.

Als erster Kirchendiener seines Staates gab er der Figur des Herrschers von Gottes Gnaden eine nahezu volkstümliche Gestalt. Das dienende Element dürfte ihn fast zu einem König der Bürger gemacht haben, die sich ihrerseits zum Dienst am Staat animiert fühlten.

Das war zwei Jahre vor den Karlsbader Beschlüssen. Sie führten zu den unrühmlichen Demagogenverfolgungen, unter denen eine bürgerliche Oppositionsbewegung zu leiden hatte - und bis heute das Ansehen Friedrich Wilhelms III. Aber sehen wir nicht die nationalen Bestrebungen, gegen die sich der König zur Wehr setzte, inzwischen mit anderen Augen? Jetzt, da wir als Europäer vor einer Welle der Renationalisierung stehen? Brauchten wir nicht ein Gegengift?

Wo es suchen, wenn nicht wenigstens auch in einer Zeit, die transnationale Bündnisse bevorzugte und den Bürgern, wenn sie nicht gerade national gesinnt waren, einen bedeutenden Spielraum ließ? Es müssen ja nicht wieder heilige Allianzen sein.

Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen: "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011).

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Erik von Grawert-May© privat