Bürgerkrieg in Österreich

Geschichte in Geschichten verpackt

Rauch steigt während eines Straßenkampfes in Wien Anfang 1934 auf.
Straßenkampf in Wien. © picture-alliance/ dpa
Von Stefan May · 19.02.2014
Insgesamt 40 Erzählungen und Romanausschnitte dokumentieren den österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934. Was der Geschichtsunterricht in den vergangenen Jahrzehnten peinlich ausgespart hat, holen die Herausgeber mit diesem Buch nach.
Ein Bild, das in mehreren Erzählungen der Anthologie wiederkehrt: Wintergraue, leere Wiener Straßen, in denen verlassene Straßenbahnen stehen, Armeelastwagen rumpeln dahin, vereinzelt fallen Schüsse. 12. Februar 1934: Bürgerkrieg in Österreich, sozialdemokratische Schutzbündler haben sich in Arbeiterheimen und Gemeindebauten verbarrikadiert und schießen auf Heimwehr und Bundesheer des autoritären Staates unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuss, um ihre Entwaffnung zu verhindern.
Noch etwas kehrt in den überraschend zahlreichen Erzählungen über die drei Bürgerkriegstage in Österreich wieder: Die Verzweiflung und Enttäuschung der sozialdemokratischen Basis mit ihren Vertretern an der Spitze, mit deren Zuwarten und Lavieren. Während die oben entschlusslos sind, reißt denen unten die Geduld. Doch nicht allen: Viele wollen weiter auf Weisungen warten, zögern genauso wie die Führung. Der Generalstreik bricht zusammen, der Widerstand ist am 15. Februar gebrochen.
Jene Zeit erscheint uns heute auf bestimmte Weise nahe, weil sich zwei Lager feindlich gegenüberstanden, deren Nachfolger sich die Republik Österreich seit Jahrzehnten einvernehmlich und geräuschlos aufteilen. Je nach Lager empfindet man auch heute noch die Gemeindebauten der 20er- und 30er-Jahre als zukunftsweisenden Wurf für soziales, menschenwürdiges Wohnen, oder folgt der alten Behauptung, sie seien erkennbar als Festungen errichtet worden, um im Fall der Fälle aus Schießscharten und Beobachtungsluken feuern zu können.
Frustrierter Adel sehnt sich nach Genugtuung
Dennoch hat 1934 weniger Verbindung zum heute als Prägung durch dessen jüngste Vergangenheit: der Erste Weltkrieg ist erst 15 Jahre vorüber, die Traumatisierung noch frisch: Frustrierter Adel sehnt sich nach Genugtuung, untätig gewordene Offiziere warten auf Revanche für erlittene Schmach, Revolutionäre träumen von einer anderen Gesellschaft, Demokratie ist ein Vokabel ohne Klang, der Griff zur Waffe zwecks Konfliktlösung und Positionsbestimmung ein noch vertrauter Reflex und nicht so gedankenfern wie unserer Gesellschaft heute.
Dominanz der katholischen Kirche auf der einen Seite, die "umstürzlerische" Masse der Arbeiter auf der anderen: Eine Zeit der Bewegungen rechts und links, wo das Individuum lediglich Subjekt der Philosophie und nicht des Diskurses im Alltag ist, wo Autoritätsgläubigkeit, Subordination unter höhere Ideen und vorgegebene Ideologien herrschen.
Dieser Konflikt vor genau 80 Jahren, in dem Österreicher gegen Österreicher kämpften, blieb stets am Rand des Blickfelds, von den Schlagschatten zweier Weltkriege bedeckt. Was der Geschichtsunterricht in all den Jahrzehnten peinlich ausgespart hat, kann mit diesem Buch nachgeholt werden: Geschichte in Geschichten verpackt ist allemal spannender und einprägsamer als Jahreszahlen und Todeslisten. Individualisierte Schicksale mitten im Brand, dessen Zunder Ideologie, Armut und Lagerdenken sind, werden durch die Tage des Bürgerkriegs begleitet.
Oft sind es Lehrlinge, einfache Arbeiter, deren heute vergessenes Werk sicheres Gespür für Sprache und Dramatik erkennen lässt. Vielfach bieten schon die Biografien der Autoren selbst Romanvorlagen, ausgelöst durch die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die vielen Neuanfänge, den Zwang die eigene Person immer wieder neu zu erfinden. Es sind aber auch bekannte Namen unter den Autoren der 40 Erzählungen und Romanausschnitte: Von Jura Soyfer bis Anna Seghers, von Oskar Maria Graf bis Ilja Ehrenburg.

Erich Hackl, Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): "Im Kältefieber. Februargeschichten 1934"
Anthologie, Picus Verlag, Wien, 2014
328 Seiten, 22,90 Euro