Bürgergeld

Neue Jobchancen für Langzeitarbeitslose?

07:54 Minuten
Ein Mann in Anzug: Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales.
"Arbeiten ist mehr als Geld verdienen, Teilhabe an der Gesellschaft, am Leben", sagt Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Manfred Götzke |
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Hartz-4 wird im kommenden Jahr durch das Bürgergeld ersetzt. Für die Betroffenen heißt das: etwas mehr Geld und hoffentlich bessere Chancen auf einen Job. Das verspricht zumindest die Bundesregierung.
Hubertus Heil steht im Foyer des Start-ups Facturee in Berlin-Wedding, lässt sich vom Co-Geschäftsführer Moritz König erklären, was das Unternehmen so macht. Aber deswegen ist er nicht hier. Das junge Start-up, das Bauteile jeglicher Art fertigen lässt, ist Teil eines Programms, das dem Arbeitsminister besonders am Herzen liegt: der Soziale Arbeitsmarkt, auch „16I Programm“ genannt.

Lohnkosten übernimmt zuerst der Staat

„Wir haben insgesamt fünf Langzeitarbeitslose hier beschäftigt“, erklärt König. „Ich muss ganz ehrlich sein, am Anfang war ich kein Fan dieses Programms.“ 2019 hat die damalige große Koalition das Programm eingeführt, damals noch befristet. Durch das neue Bürgergeld wird es verstetigt. Wenn Unternehmen oder soziale Träger über das Programm Langzeitarbeitslose einstellen, bekommen sie anfangs 100 Prozent der Lohnkosten vom Staat. Nach und nach übernimmt der Arbeitgeber mehr Anteile. Ziel ist es, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin schließlich ganz regulär beschäftigt werden.
Das Berliner Start-up gehörte zu den Ersten, die das Programm genutzt haben, obwohl es anfangs durchaus Bedenken gegeben habe, wie König einräumt. „Was waren ihre Befürchtungen?“, will der Arbeitsminister wissen. „Sie kriegen Leute, die nicht leistungsfähig sind?“ König nickt. „Ich hatte das Stereotyp vor Augen: der Langzeitarbeitslose, der deswegen langzeitarbeitslos ist, weil er kein Interesse hat. Wir haben es trotzdem ausprobiert, weil das Programm viele Vorteile bietet und risikolos ist, und ich muss sagen, ich habe mich getäuscht.“

Chance, wieder Fuß zu fassen

Hubertus Heil lässt sich durch die Hallen der Firma führen, kommt ins Gespräch mit einem der ehemals Langzeitarbeitslosen. „Ich war lange Zeit gesundheitsbedingt raus aus dem ersten Arbeitsmarkt“, sagt Andreas Rau. Er ist seit sechs Jahren ohne Arbeit. „Dann ist es schwer, wieder Fuß zu fassen, wenn man einmal in dem Hartz-4-System drin ist. Ich habe immer nur irgendwelche Maßnahmen gemacht. Aber das hat nie dazu geführt, dass ich irgendwie weitergekommen bin.“
Für ihn sei das Programm eine Riesenchance, sagt Rau. „Durch die 16I-Maßnahme ist mir zum Glück die Chance geboten worden, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hier bei Facturee. Mir bringt es auch etwas, dass ich auf dem ersten Arbeitsmarkt untergekommen bin, nicht bei irgendeinem Verein oder so.“ Das freut auch den Arbeitsminister. „Das habe ich gelernt bei Ihnen: Arbeiten ist mehr als Geld verdienen, Teilhabe an der Gesellschaft, am Leben.“

Kein befristetes Programm mehr

Durch das Programm haben bislang 50.000 Arbeitslose wieder einen festen Arbeitsplatz gefunden. Die Jobcenter haben sich mit dem Instrument zurückgehalten, weil es befristet war. Das dürfte sich jetzt mit dem Bürgergeld ändern, sagt Heil. „Das ist jetzt ein Regelinstrument, kein befristetes Programm.“ Allerdings werde das Programm nie etwas für alle Arbeitslosen sein und beispielsweise nach ein, zwei Jahren Arbeitslosigkeit automatisch greifen. „Sonst kommen Arbeitgeber auf die Idee und sagen: Es gibt immer Lohnkostenzuschüsse, wenn ich Leute einstelle. Da muss man auch aufpassen, dass das nur für Leute ist, die ganz lange draußen waren. Für die anderen müssen wir Weiterbildung machen.“
Der Arbeitsminister kommt bei seinem Rundgang durch das Start-up in die Buchhaltungsabteilung. Hier arbeitet seit gut drei Jahren auch Liane Burisch mit. Auch sie war sehr lange arbeitslos und hat nun einen Job als Buchhalterin. „Ich finde diese Variante auch sehr schön, weil auch den Arbeitgebern geholfen wird – weil wir ja keine Arbeitskräfte sind, die sofort 100 Prozent leisten können, und wir so auch Zeit für eine lange Einarbeitungszeit haben.“
Heil ist sichtlich erfreut über das, was ihm die Menschen hier erzählen. Anders als so manche andere Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit, scheint dieses Programm gut zu funktionieren. „Ich freu mich immer, wenn was funktioniert, was wir machen“, so Heil.

Viele positive Effekte

Auch die CDU-Opposition im Bundestag hält das Programm „sozialer Arbeitsmarkt“ grundsätzlich für sinnvoll. Es müsse sich allerdings noch zeigen, ob damit wirklich viele Menschen dauerhaft in echte Jobs kommen, sagt der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Kai Whittaker. „Der unausgesprochene Konflikt beim Thema sozialer Arbeitsmarkt ist der: Ist es eine echte Brücke in einen echten Job mit einem Gehalt, von dem man Leben kann, oder wird das eher missbraucht, um die Statistik zu schönen und Menschen an einen Arbeitgeber anzudocken, wo man aber weiß, das wird nie dauerhaft tragen.“
Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, hat mit einer ersten Evaluation des Programms begonnen. Vieles funktioniere gut. Dass es mit dem Bürgergeld verstetigt wird, hält auch er für sinnvoll. „Wir sehen, dass es viele positive Effekte gibt, auch, was das Teilhabegefühl, Gesundheit oder Lebensstandard angeht.“ Denn die Menschen würden auch etwas verdienen. „Das Einzige, was wir sehen, ist, dass Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Geringqualifizierte unterrepräsentiert sind.“ 

Bessere Weiterbildung notwendig

Mehr Weiterbildung, mehr Qualifizierung – auch dieser Leitgedanke soll mit dem Bürgergeld gestärkt werden. Der sogenannte Vermittlungsvorrang fällt weg. Heißt konkret: Arbeitslose müssen künftig nicht mehr irgendeinen Hilfsjob annehmen. Sie bekommen bis zu 150 Euro im Monat zusätzlich, wenn sie sich weiterbilden.
IAB-Forscher Walwei hält auch das für eine gute Neuerung. „Wir wissen aus Befragungen, dass drei Aspekte wichtig sind“, sagt er. „Das Erste ist, dass sie sagen, wir können uns eine Weiterbildung nicht leisten. Da finde ich das Weiterbildungsgeld einen guten Anreiz. Man kann Leute in Weiterbildung nicht schlechter stellen als Leute in den 1-Euro-Jobs. Dann gibt es ein zweites Argument, wo Menschen sagen, ich weiß nicht, ob mir das was bringt. Da müssen wir Leute besser beraten. Das Dritte sind: Lernvorbehalte.“
Tatsächlich kommen viele Maßnahmen der Arbeitsagenturen bei Langzeitarbeitslosen nicht gut an, was auch an der Qualität liegen dürfte, sagt der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Whittaker. „Wir müssen an die Qualität ran. Der Revisionsbericht der Bundesagentur für Arbeit hat neulich gesagt, dass die Hälfte aller Angebote qualitativ nicht auf dem Niveau ist, dass die Menschen eine reale Chance haben, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. Da ändert dieses Gesetz gar nichts dran.“
Whittaker hat zudem die Befürchtung, dass mit dem Weiterbildungsgeld falsche Anreize gesetzt werden. Beispielsweise, „dass junge Menschen nach der Schule nicht direkt in die Berufsausbildung gehen, wie das der normale Weg ist, sondern versuchen, über das Bürgergeld einen Umweg zu machen. Das kann auch nach hinten losgehen.“
Nach einer guten Stunde beendet Hubertus Heil sichtlich zufrieden seinen Besuch beim Berliner Start-up Facturee. Das Programm für Langzeitarbeitslose scheint hier zu wirken. „Sie übernehmen die Leute mit einem Arbeitsvertrag?“, fragt er. „Wir werden alle, die jetzt an Bord sind, übernehmen, ganz sicher“, bestätigt Geschäftsführer König. Der Arbeitsminister strahlt.

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