Bürger hilf!
Not macht erfinderisch - das gilt auch beim Geld. Und die Geldnot vergrößert sich vielerorts auch bei Deutschlands Kommunen. Die Stadtkämmerin Meike Wölfel im Schleswig-Holsteinischen Quickborn ist deshalb froh, eine neue Geldquelle - oder besser: Kreditgeber - gefunden zu haben: Den Bürger. Für nur drei Prozent Jahreskredit leihen Quickborner Bürger jetzt ihrer Kommune für ein Jahr Geld. 2,5 Millionen sind schon zugesagt.
Bürgermeister Thomas Köppl ist begeistert vom Engagement und Vertrauen seiner Bürger. Banken und Sparkassen sind es nicht - sollte das Qucikborner Beispiel Schule machen, könnte es ihr Geschäft gefährden. Derweil haben weitere Kommunen auch in anderen Bundesländern die Bürger als Alternative zu Bankern entdeckt.
"Würden Sie der Stadt Celle Geld leihen?"
Mann: "Ja also, wenn ein schriftlicher Vertrag gemacht würde, ich komme ja gerade von der Bank, und würde das auch zurückbekommen, ja gut, dann wäre das auch mal 'ne Möglichkeit, sag ich mal, doch durchaus, könnte man drüber sprechen."
Zehn Millionen Euro möchte sich die Stadt Celle leihen – nicht bei der Bank, sondern bei den Bürgern. Laufzeit: sieben Jahre, jährliche Verzinsung: 3,2 Prozent. Für Einlagen ab 100 Euro. Bei vielen Bürgern kommt die Idee gut an. Auch Gerd Landsberg vom Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes findet Bürgerdarlehen gut.
Landsberg: "Eigentlich ist das eine pfiffige Idee, die Bürger auch in der Kreditfinanzierung einer Stadt einzubinden. Als Bindung zwischen Kommunalpolitik und Bürger halte ich das für eine sehr gute Sache. Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Die Steuereinnahmen brechen weg, die Ausgaben explodieren. Und wie kann man das den Bürgern am besten klar machen? Wenn man es ihnen erklärt und sagt: helft!"
Doch nun droht der "pfiffigen Idee" schon wieder das Aus: Die Bafin, das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen, hat die Bürgerdarlehen gestoppt. Aber der Reihe nach ...
Celle in Niedersachsen. 70.000 Einwohner, ein malerischer Altstadtkern mit alten Fachwerkhäusern und einem prunkvollen Schloss. Vor dem Rathaus steht eine Bronzefigur: ein Ölarbeiter mit einem vergoldetem Helm. Die Ölquellen vor der Stadt sind zwar seit Jahrzehnten versiegt, geblieben ist aber eine moderne Industrie, die weltweit Erdöl- und Erdgas- und Erdwärmeförderer ausrüstet - und zum Wohlstand der Stadt beiträgt.
Zur Zeit allerdings bekommt man auch in Celle die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren. Bereits zweimal in diesem Jahr musste die Stadt einen Nachtragshaushalt beschließen. Zwar dürfe die Stadt noch 20 Millionen Euro an neuen Schulden aufnehmen, sagt Oberbürgermeister Ulrich Mende, aber:
Mende: "Das ändert nichts daran, dass wir als Stadt unsere Schuldenrisiken in den Griff bekommen müssen. Insgesamt ist der Schuldenstand so, dass die Kommunalaufsicht bereits gesagt hat, wir möchten bitte auch ein Konsolidierungsprogramm vorlegen, und von daher sind wir zum Handeln gezwungen."
Die Kommunalaufsicht des Landes-Niedersachsen fordert: Es muss gespart werden. Das betrifft nicht nur die Ausgaben im Bereich Personal und Soziales, auch beim Schuldenmachen selbst müssen die Kosten gesenkt werden. "Schuldenmanagement" ist dafür der Fachbegriff und das fällt in die Zuständigkeit der Finanzstadträtin Susanne Schmitt.
"Wir gehen im Schuldenmanagement bisher eher konservative Wege. Wir haben einen Mitarbeiter, der permanent damit beschäftigt ist, unsere Darlehen zu überprüfen, unsere Zinskonditionen zu überprüfen, ob wir unserer Konditionen optimieren können."
Zwar preisen die Banken auch nach dem Super-Gau auf den weltweiten Finanzmärkten wieder "neue Finanzprodukte" für das "moderne Schuldenmanagement" an, mit denen sich Kosten sparen ließen. Aber bereits vor der Finanzkrise waren etliche Städte in Deutschland damit auf die Nase gefallen und anschließend noch tiefer in den Schuldensumpf geraten. Und die konservative Stadträtin Schmitt beteuert:
"Wir gehen keine riskanten Geschäfte ein, wir kaufen keine undurchsichtigen Derivate oder Finanzprodukte. Wir gehen hier wirklich sehr solide seit Jahren mit unserem Geld um."
Statt auf "neue Finanzprodukte" zu setzen, regte die Finanzexpertin Schmitt einen anderen Weg an: Zumindest einen Teil der zusätzlich benötigten Haushaltsmittel könnte man sich auch direkt bei den Bürgern zu leihen. Mit Hilfe sogenannter Kommunalanleihen. Immerhin hat Celle dieses "Finanzierungsinstrument" schon mit Erfolg erprobt - vor über 130 Jahren.
Schmitt: "Wir haben festgestellt in unserem Archiv, dass es bereits 1875 eine Stadtanleihe damals gab, mit einem Zinssatz von 4,5 Prozent bei dem Betrag von 600.000 Reichsmark damals, also ein beträchtlicher Betrag. Und bereits damals hat die Stadt das Instrument der Kommunalanleihe genutzt, um sich Mittel zu beschaffen."
Warum also nicht auch in der jetzigen, prekären Finanzlage auf diese Möglichkeit zurückgreifen? Natürlich mit Zinsen, die niedriger sind als die Banken derzeit für einen klassischen Kommunalkredit verlangen. Auch der Bund nimmt mit Hilfe von Anleihen Geld direkt beim Bürger auf - so dachte man sich im Rathaus, machte sich auf die Suche nach einem Vertriebspartner für die geplanten Kommunalanleihen. Die Ernüchterung kam schnell.
Schmitt: "Es war sehr deutlich doch zu spüren, dass die Banken uns dort die Unterstützung nicht gegeben haben, die wir uns gewünscht hatten, gerade bei der Inhaberschuldverschreibung."
Für nur 10 Millionen Euro lohne sich der Aufwand nicht, ließen die Banker die Stadträtin wissen. Andere verlangten Gebühren in einer Höhe, die das Vorhaben viel zu teuer und damit sinnlos werden ließen. In der Celler Stadtkämmerei war man enttäuscht. Doch dann – im August – las und hörte man interessante Neuigkeiten aus der schleswig-holsteinischen Stadt Quickborn. Dort zeigte die Stadtverwaltung, wie man auch ohne die Hilfe der Banken auf direktem Wege neue Geldquellen in der Bürgerschaft zum Sprudeln bringen kann.
Quickborn hat rund 20.000 Einwohner und liegt im Speckgürtel von Hamburg oder - wie die Quickborner sagen - im "Muskelring". Erst 1974 bekam Quickborn die Stadtrechte. Seitdem hat es sich prächtig entwickelt. Aus dem Schlaf-Ort für wohlhabende Hamburger Unternehmer und Angestellte wurde eine Gemeinde mit einer potenten Wirtschaft. Es wird noch immer viel gebaut. Und das Schuldenmachen war in den vergangenen zehn Jahren kein Thema.
Doch auch im Hamburger Muskelring ist die Finanz- und Wirtschaftskrise angekommen. Und so prächtig wie die Wasserorgel vor der neu gebauten Stadtbibliothek sprudeln die Einnahmen der Stadt zur Zeit leider nicht, sagt Thomas Köppel, der junge Bürgermeister von Quickborn.
"Also nicht mehr so schön wie vorher. Banken und Fondsgesellschaften haben uns unseren Wohlstand auch mitgebracht, die haben ein bisschen Probleme, das heißt wir hatten einen deutlichen Einbruch in der Gewerbesteuer gehabt im letzten Jahr. Und wir haben erhebliche Einbußen auch bei der Einkommenssteuer und haben jetzt ein Finanzierungsproblem."
Gerade jetzt braucht die Stadt nämlich besonders viel Geld, denn es werden zwei neue Schulen gebaut. Über die aktuellen Geldsorgen kann sich jeder informieren auf der Homepage der Stadt. Es gibt dort auch einen Button zu "Haushaltslage".
Köppel: "Wenn man den anklickt, dann sieht man, dass wir Einsparungen gemeinsam mit den Bürgern erarbeiten möchten, dass wir sehen wollen, wie wir die Stadt zukunftsfähig aufstellen."
Erst kürzlich entschied der Stadtrat, angesichts des Geldbedarfes die Grundsteuer für die Hausbesitzer zu erhöhen: Um satte 50 Prozent! Natürlich gab es Proteste. Die Stadtverwaltung rief eine öffentliche Versammlung ein, um mit den Bürgern direkt über die aktuellen Geldsorgen zu diskutieren. Die Quickborner waren aufgefordert, eigene Vorschläge zu machen, wo gespart werden sollte und wo nicht. Der 68-jährige Werbefachmann Hans-Ulrich Plaschke erinnert sich noch gut an diese Bürgerversammlung im Juli.
Plaschke: "Ja, ich bin dagewesen. Ich bin der Einladung des Bürgermeisters Thomas Köppel gefolgt, der auf ungewöhnliche Art und Weise einfach mal den Blick in die Finanzen der Stadt Quickborn genehmigt hat: Welche Positionen dazu gehören, wie der Haushalt aufgebaut ist, welche Risiken dabei sind, welche Chancen dabei sind. Und dann ist 'ne offene Diskussion über Ausgaben und Einnahmen entstanden, da waren immerhin 250 Quickborner Bürger dabei. Das war 'ne lebhafte Diskussion. Und schon alleine die Tatsache, dass der Bürgermeister eine öffentliche Haushaltsdebatte angesetzt hat, ich hab's von anderen Kommunen noch nie gehört, das fand ich schon mal gut."
Bei der Diskussion zeigte sich: Abstriche bei den Schul- und Kindergarten-Investitionen lehnten die Bürger trotz der finanziellen Engpässe ab, ebenso eine personelle Ausdünnung in der Verwaltung. Die Erhöhung der Grundsteuern dagegen wurde nun akzeptiert. Und es gab eine Diskussion über die geplante Kreditaufnahme.
Plaschke: "Aber was wohl am Wichtigsten war, war, dass eine Bürgerin von Quickborn aufgestanden ist und hat dafür plädiert, dass die Bürger der Stadt Quickborn Geld leihen. Da waren wir alle völlig baff und haben gesagt, wie kann so was angehen?"
Das ließe sich machen, signalisierten der Bürgermeister und die Stadtkämmerin. Wenn die Stadt den Bürgern drei Prozent Zinsen gewähre für einen einjährigen Kredit, dann sei das billiger als sich das Geld von den Banken zu besorgen. Gleichzeitig wäre der Zinssatz von drei Prozent für eine einjährige Festgeld-Anlage auch für die Bürger attraktiv. Denn bei Banken und Sparkassen bekommen sie das derzeit nicht. Werbefachmann Plaschke fand die Idee eines Bürgerdarlehens bestechend. Auch weil damit den Bankern ein Schnippchen geschlagen wird.
Plaschke: "Wissen Sie, als Selbstständiger, ich bin seit über 25 Jahren selbstständig, dann hat man auch mal Engpässe. Und gehen Sie mal zu einer Bank, wenn Sie 'nen Engpass haben. Da werden Sie ganz schief angeguckt, da müssen Sie betteln gehen, da müssen Sie die Hosen runterlassen und müssen alle möglichen Formulare ausfüllen, damit man Ihnen überhaupt mal ein bisschen über die nächste Durststrecke hinweghilft. Jetzt, wo ich in der Situation bin, wo ich ein bisschen Geld habe, wo ich jetzt meine Rente habe und brauche meine Lebensversicherung nicht mehr zu bedienen, jetzt, wo ich ein bisschen Geld zu verteilen habe, da sind die Banken alle hinter mir her und sagen: Sie kriegen hier so und so viele Zinsen und weiß der Teufel. Da habe ich gesagt: Nee, ich gebe das Geld lieber der Stadt."
Herr Plaschke stand auf in der Bürgerversammlung und sagte, dass er bei einem Bürgerdarlehen mitmachen würde und gerne bereit sei, der Stadt eine Summe von seinem ersparten Geld zu borgen, natürlich nach Rücksprache mit seiner Frau. Danach ging alles weitere ganz schnell. Die Stadt Quickborn schickte ihm einen einseitigen Vertrag zu.
Plaschke: "Und dann haben wir unsere Kontonummer angegeben, wohin das Geld nach einem Jahr wieder überwiesen werden soll. Unten links hat Köppel, Bürgermeister von Quickborn, und unten rechts meine Frau und ich unterschrieben. Und das war alles – völlig unbürokratisch. Also das fand ich so toll, dass das eben so einfach gehandhabt wurde."
Das alles so unkompliziert lief, lag auch an Meike Wölfel, der Stadtkämmerin. Sie erinnert sich gerne an die aufregenden Tage im Hochsommer.
"Wir sind dann an die Presse gegangen, weil wir sehr überrascht waren von diesem einen Angebot, haben das dann publiziert. Das ist dann überregional aufgegriffen worden. Und danach standen die Telefone nicht mehr still und wir haben, ja, nur noch reagieren können."
Zunächst kamen nur Anrufe aus Quickborn und der näheren Umgebung, dann aber auch aus München und Frankfurt. Innerhalb von nur zwei Tagen waren Darlehens-Angebote in der Höhe von vier Millionen Euro zusammen, von insgesamt 80 Darlehensgebern. Fünftausend Euro betrug die Mindestsumme, aber die meisten Überweisungen auf das Konto der Stadt waren deutlich höher – Beträge bis eine Million Euro gingen als Bürgerdarlehen ein.
Der schnelle Erfolg mit den Quickborner-Bürgerdarlehen macht auch der Finanzstadträtin Susanne Schmitt in Celle neuen Mut. War doch ihre ursprüngliche Idee, sich per Kommunalanleihe neue Kreditquellen bei Bürgern zu erschließen, am Desinteresse der Banken gescheitert. Nun setzt man auch im Celler Rathaus auf den direkten Kreditweg zum Bürger. 10 Millionen möchte man sich borgen, auf sieben Jahre zu einem Zinssatz von 3,2 Prozent. Darlehen ab Beträgen schon ab 100 Euro sollen angeworben werden, damit möglichst viele Celler mitmachen können. Aber es winken auch größere Beträge, freut sich Finanzexpertin Schmitt.
"Wir haben etliche Anfragen schon von Bürgern, die Beträge zwischen 10.000 und 250.000 Euro anlegen möchten in diesem Bürgerdarlehen. Das heißt, es gibt einen Markt für diese Darlehen, es gibt Bürger, die der Kommune vertrauen."
Im Celler Rathaus hat man einen 20-seitigen Prospekt zum geplanten Bürgerdarlehen vorbereitet: Informationen über die Stadt, ihre "Potentiale" und "Zukunftschancen", ihren Haushalt und ihren Schuldenstand. Mit den "vertraglichen Eckdaten" für ein Bürgerdarlehen, also die Laufzeit und die Zinsen, sowie mit Hinweisen zur Chancen und Risiken. Die Chancen:
Schmitt: "Das Bürgerdarlehen bietet zur Zeit einen attraktiven Zinssatz, der über dem Zinssatz der Bundesschatzbriefe liegt, und das Bürgerdarlehen garantiert eine hundertprozentige Rückzahlung. Das heißt, kein Anleger braucht sich Sorgen zu machen, dass er sein Geld nicht mehr zurückbekommt oder nicht in voller Höhe zurückbekommt."
Zu Risiken heißt es nur: "Das Bürgerdarlehen ist kein handelbares Wertpapier.". Mit anderen Worten: Man kann es nicht weiterverkaufen oder verpfänden, wie zum Beispiel eine Bundesanleihe. Alles ganz einfach – so scheint es bis jetzt. Und beide Seiten gewinnen dabei – die Kommune und die Bürger.
Allerdings gibt es auch Kritiker. Die Bürgerdarlehen mit ihren 3 oder sogar 3,2 Prozent Zinsen kommen einer Kommune teurer zu stehen als ein Bank-Kredit, bemängeln manche Kämmerer-Kollegen. Jedenfalls, sofern man bei den Banken so gute Konditionen aushandelt wie der gewiefte Stadtkämmerer von Salzgitter, Eckhard Grunwald.
"Wir haben gerade heute eine Abfrage gemacht, um einen Kommunalkredit in Höhe von 9,1 Millionen aufzunehmen. Ich gebe zu, nicht für sieben Jahre, sondern nur für fünf Jahre. Aber der uns angebotene Bestzins war 2,61 Prozent. Das sind 0,6 Prozent weniger als für dieses angedachte Bürgerdarlehen aus Celle."
Grunwald gilt in Fachkreisen als erfahren im modernen Schuldenmanagement, arbeitet auch nach dem Finanzcrash vorwiegend mit billigen Kurzzeit-Krediten und Derivaten - und ist damit bisher gut gefahren. Allerdings, so räumt er ein, hat sich der Finanzmarkt durch die Bankenkrise sehr verändert.
"Bei uns ist es schon so, dass wir schon merken, dass Banken keine Angebote abgeben, obwohl sie gefragt werden, können oder wollen, das weiß ich nicht. Wir haben früher 15 Banken angeschrieben und 15 Angebote bekommen. Wir schreiben heute 15 Banken an und wir haben noch 5-6 Angebote."
Etliche Landesbanken seien durch die Krise als Kreditgeber ausgefallen oder könnten zumindest keine großen Kreditvolumen mehr anbieten.
Grunwald: "Es gibt eben keine Sachsen-LB mehr, es gibt keine Bayern-LB mehr oder LBBW oder HSH, diese Landesbanken, die hier zur Zeit aktiv versuchen, eben Volumina abzudecken."
Mit der Verknappung der Angebote steigt auch die Abhängigkeit der Kreditnehmer. Da, so stimmt auch der gelernte Banker Grunwald seinen Kämmerer-Kollegen aus Quickborn und Celle zu, könnten die Bürgerdarlehen interessant werden.
"Na, ja wenn man sich unabhängig machen kann von der Bankseite ... oder ein Stückchen unabhängiger, indem ich andere Geldgeber habe, ist das durchaus ein interessanter Aspekt. Dieser Aspekt könnte es rechtfertigen, ein Bürgerdarlehen zu begehen, was dann im Endeffekt vielleicht dann teurer ist als zur Zeit die klassische Bank - das kann sein."
Dass die Bürgerdarlehen schon bald immer populärer werden könnten, scheint man auch bei den Banken zu befürchten. Der Bundesverband Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken grummelte über angeblich unerlaubte Bankgeschäfte. Obwohl das schleswig-holsteinische Innenministerium der Stadt Quickborn im Juli grünes Licht für die Bürgerdarlehen gegeben hatte, wurde nun das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen eingeschaltet. Die Antwort kam Anfang Oktober – per Fax. Quickborns Bürgermeister Köppel hat es auf seinem Schreibtisch liegen.
(Köppel, blättert in Unterlagen) "Also die Bafin schreibt uns: Die Anbahnung und Durchführung der Darlehen ist Einlagegeschäft im Sinne des Paragraf eins, Absatz eins, Satz zwei, Nummer eins des Gesetzes über das Kreditwesen und damit ein Bankgeschäft. Punkt. Das wars."
Die maßlos riskanten und milliardenschweren Spekulationsgeschäfte der Banken, die schließlich in den Crash führten, ließ die Aufsichtsbehörde jahrelang unkontrolliert durchgehen. Die verheerenden Folgen bekommen nun auch die Kommunen und ihre Bürger zu spüren. Auch vor diesem Hintergrund hätte man sich in Quickborn, wo die Bürger ihrer Kommune nun vier Millionen Euro geliehen haben, eine andere oder zumindest eine ausführlichere Antwort der Bafin erwartet. "Unseren eigenen Ansprüchen würde so ein Schreiben jedenfalls nicht genügen", sagt der Quickborner Bürgermeister und legt das Schreiben kopfschütteln beiseite.
Köppel: "Also ich würde sagen, für 'nen Auszubildenden im 2. Lehrjahr, würde ich sagen, ist das als Entwurf ganz in Ordnung, für 'ne rechtliche Würdigung, würde ich sagen, ist das völlig unakzeptabel."
Immerhin: Die vier Millionen Euro ihrer Bürger, die die Stadt längst für die Finanzierung der Quickborner Schulen ausgegeben hat, muss sie nicht sofort zurückbezahlen, sondern vertragsgemäß erst in einem Jahr - inklusive der vereinbarten drei Prozent Zinsen.
Anders in der niedersächsischen Stadt Celle: Genau an dem Tag, an dem der Stadtrat die Aufnahme für Bürgerdarlehen in Höhe von zehn Millionen Euro beschließen will, kommt die Nachricht der Bafin, wonach das Vorhaben erst noch geprüft werden müsse. Die Finanzstadträtin Susanne Schmitt ist sauer:
"Ich war wahnsinnig enttäuscht, weil ich mir da eigentlich eine vorherige Reaktion der Bafin erwartet hätte."
Schließlich sei man schon seit Juli mit der Aufsichtsbehörde im Gespräch gewesen. Nun hat die klamme Stadt die Aktion Bürgerdarlehen gestoppt – zumindest vorerst. Der Quickborner Bürgermeister Thomas Köppel, dessen Stadt sich bereits vor einigen Wochen vier Millionen Euro bei ihren Bürger lieh, erwägt, die neu entdeckte Kreditquelle zu verteidigen
"Wir sind ja in einem Rechtsstaat, das heißt zur Not muss man da auch den juristischen Weg einschreiten."
Auch bei der Interessenvertretung der Kommunen, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, will man die Idee des Bürgerdarlehens noch nicht abschreiben.
Gerd Landsberg: "Ich bin auch ein bisschen enttäuscht. Eigentlich ist das eine pfiffige Idee, die Bürger auch in die Kreditfinanzierung einer Stadt einzubinden. Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Die Steuereinnahmen brechen weg und die Ausgaben steigen. Und wie kann man das den Bürgern am besten klarmachen? Wenn man es erklärt und sagt: helft! Und genau das ist der Ansatz, den ich gut finde. Und ich glaube auch nicht, dass das das letzte Wort ist."
Auch wenn die Bürgerdarlehen nicht die günstigste Variante zur Kreditfinanzierung der Kommunen sind, so könnten sie doch die Kommunen stärken. Denn Bürger, die ihrer Gemeinde oder Stadt Geld leihen, interessieren sich auch dafür, was damit passiert. Und je knapper das Geld in den Kommunen wird, desto wichtiger ist es, mit den Bürger darüber zu reden, was wirklich wichtig ist und was nicht.
"Würden Sie der Stadt Celle Geld leihen?"
Mann: "Ja also, wenn ein schriftlicher Vertrag gemacht würde, ich komme ja gerade von der Bank, und würde das auch zurückbekommen, ja gut, dann wäre das auch mal 'ne Möglichkeit, sag ich mal, doch durchaus, könnte man drüber sprechen."
Zehn Millionen Euro möchte sich die Stadt Celle leihen – nicht bei der Bank, sondern bei den Bürgern. Laufzeit: sieben Jahre, jährliche Verzinsung: 3,2 Prozent. Für Einlagen ab 100 Euro. Bei vielen Bürgern kommt die Idee gut an. Auch Gerd Landsberg vom Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes findet Bürgerdarlehen gut.
Landsberg: "Eigentlich ist das eine pfiffige Idee, die Bürger auch in der Kreditfinanzierung einer Stadt einzubinden. Als Bindung zwischen Kommunalpolitik und Bürger halte ich das für eine sehr gute Sache. Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Die Steuereinnahmen brechen weg, die Ausgaben explodieren. Und wie kann man das den Bürgern am besten klar machen? Wenn man es ihnen erklärt und sagt: helft!"
Doch nun droht der "pfiffigen Idee" schon wieder das Aus: Die Bafin, das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen, hat die Bürgerdarlehen gestoppt. Aber der Reihe nach ...
Celle in Niedersachsen. 70.000 Einwohner, ein malerischer Altstadtkern mit alten Fachwerkhäusern und einem prunkvollen Schloss. Vor dem Rathaus steht eine Bronzefigur: ein Ölarbeiter mit einem vergoldetem Helm. Die Ölquellen vor der Stadt sind zwar seit Jahrzehnten versiegt, geblieben ist aber eine moderne Industrie, die weltweit Erdöl- und Erdgas- und Erdwärmeförderer ausrüstet - und zum Wohlstand der Stadt beiträgt.
Zur Zeit allerdings bekommt man auch in Celle die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren. Bereits zweimal in diesem Jahr musste die Stadt einen Nachtragshaushalt beschließen. Zwar dürfe die Stadt noch 20 Millionen Euro an neuen Schulden aufnehmen, sagt Oberbürgermeister Ulrich Mende, aber:
Mende: "Das ändert nichts daran, dass wir als Stadt unsere Schuldenrisiken in den Griff bekommen müssen. Insgesamt ist der Schuldenstand so, dass die Kommunalaufsicht bereits gesagt hat, wir möchten bitte auch ein Konsolidierungsprogramm vorlegen, und von daher sind wir zum Handeln gezwungen."
Die Kommunalaufsicht des Landes-Niedersachsen fordert: Es muss gespart werden. Das betrifft nicht nur die Ausgaben im Bereich Personal und Soziales, auch beim Schuldenmachen selbst müssen die Kosten gesenkt werden. "Schuldenmanagement" ist dafür der Fachbegriff und das fällt in die Zuständigkeit der Finanzstadträtin Susanne Schmitt.
"Wir gehen im Schuldenmanagement bisher eher konservative Wege. Wir haben einen Mitarbeiter, der permanent damit beschäftigt ist, unsere Darlehen zu überprüfen, unsere Zinskonditionen zu überprüfen, ob wir unserer Konditionen optimieren können."
Zwar preisen die Banken auch nach dem Super-Gau auf den weltweiten Finanzmärkten wieder "neue Finanzprodukte" für das "moderne Schuldenmanagement" an, mit denen sich Kosten sparen ließen. Aber bereits vor der Finanzkrise waren etliche Städte in Deutschland damit auf die Nase gefallen und anschließend noch tiefer in den Schuldensumpf geraten. Und die konservative Stadträtin Schmitt beteuert:
"Wir gehen keine riskanten Geschäfte ein, wir kaufen keine undurchsichtigen Derivate oder Finanzprodukte. Wir gehen hier wirklich sehr solide seit Jahren mit unserem Geld um."
Statt auf "neue Finanzprodukte" zu setzen, regte die Finanzexpertin Schmitt einen anderen Weg an: Zumindest einen Teil der zusätzlich benötigten Haushaltsmittel könnte man sich auch direkt bei den Bürgern zu leihen. Mit Hilfe sogenannter Kommunalanleihen. Immerhin hat Celle dieses "Finanzierungsinstrument" schon mit Erfolg erprobt - vor über 130 Jahren.
Schmitt: "Wir haben festgestellt in unserem Archiv, dass es bereits 1875 eine Stadtanleihe damals gab, mit einem Zinssatz von 4,5 Prozent bei dem Betrag von 600.000 Reichsmark damals, also ein beträchtlicher Betrag. Und bereits damals hat die Stadt das Instrument der Kommunalanleihe genutzt, um sich Mittel zu beschaffen."
Warum also nicht auch in der jetzigen, prekären Finanzlage auf diese Möglichkeit zurückgreifen? Natürlich mit Zinsen, die niedriger sind als die Banken derzeit für einen klassischen Kommunalkredit verlangen. Auch der Bund nimmt mit Hilfe von Anleihen Geld direkt beim Bürger auf - so dachte man sich im Rathaus, machte sich auf die Suche nach einem Vertriebspartner für die geplanten Kommunalanleihen. Die Ernüchterung kam schnell.
Schmitt: "Es war sehr deutlich doch zu spüren, dass die Banken uns dort die Unterstützung nicht gegeben haben, die wir uns gewünscht hatten, gerade bei der Inhaberschuldverschreibung."
Für nur 10 Millionen Euro lohne sich der Aufwand nicht, ließen die Banker die Stadträtin wissen. Andere verlangten Gebühren in einer Höhe, die das Vorhaben viel zu teuer und damit sinnlos werden ließen. In der Celler Stadtkämmerei war man enttäuscht. Doch dann – im August – las und hörte man interessante Neuigkeiten aus der schleswig-holsteinischen Stadt Quickborn. Dort zeigte die Stadtverwaltung, wie man auch ohne die Hilfe der Banken auf direktem Wege neue Geldquellen in der Bürgerschaft zum Sprudeln bringen kann.
Quickborn hat rund 20.000 Einwohner und liegt im Speckgürtel von Hamburg oder - wie die Quickborner sagen - im "Muskelring". Erst 1974 bekam Quickborn die Stadtrechte. Seitdem hat es sich prächtig entwickelt. Aus dem Schlaf-Ort für wohlhabende Hamburger Unternehmer und Angestellte wurde eine Gemeinde mit einer potenten Wirtschaft. Es wird noch immer viel gebaut. Und das Schuldenmachen war in den vergangenen zehn Jahren kein Thema.
Doch auch im Hamburger Muskelring ist die Finanz- und Wirtschaftskrise angekommen. Und so prächtig wie die Wasserorgel vor der neu gebauten Stadtbibliothek sprudeln die Einnahmen der Stadt zur Zeit leider nicht, sagt Thomas Köppel, der junge Bürgermeister von Quickborn.
"Also nicht mehr so schön wie vorher. Banken und Fondsgesellschaften haben uns unseren Wohlstand auch mitgebracht, die haben ein bisschen Probleme, das heißt wir hatten einen deutlichen Einbruch in der Gewerbesteuer gehabt im letzten Jahr. Und wir haben erhebliche Einbußen auch bei der Einkommenssteuer und haben jetzt ein Finanzierungsproblem."
Gerade jetzt braucht die Stadt nämlich besonders viel Geld, denn es werden zwei neue Schulen gebaut. Über die aktuellen Geldsorgen kann sich jeder informieren auf der Homepage der Stadt. Es gibt dort auch einen Button zu "Haushaltslage".
Köppel: "Wenn man den anklickt, dann sieht man, dass wir Einsparungen gemeinsam mit den Bürgern erarbeiten möchten, dass wir sehen wollen, wie wir die Stadt zukunftsfähig aufstellen."
Erst kürzlich entschied der Stadtrat, angesichts des Geldbedarfes die Grundsteuer für die Hausbesitzer zu erhöhen: Um satte 50 Prozent! Natürlich gab es Proteste. Die Stadtverwaltung rief eine öffentliche Versammlung ein, um mit den Bürgern direkt über die aktuellen Geldsorgen zu diskutieren. Die Quickborner waren aufgefordert, eigene Vorschläge zu machen, wo gespart werden sollte und wo nicht. Der 68-jährige Werbefachmann Hans-Ulrich Plaschke erinnert sich noch gut an diese Bürgerversammlung im Juli.
Plaschke: "Ja, ich bin dagewesen. Ich bin der Einladung des Bürgermeisters Thomas Köppel gefolgt, der auf ungewöhnliche Art und Weise einfach mal den Blick in die Finanzen der Stadt Quickborn genehmigt hat: Welche Positionen dazu gehören, wie der Haushalt aufgebaut ist, welche Risiken dabei sind, welche Chancen dabei sind. Und dann ist 'ne offene Diskussion über Ausgaben und Einnahmen entstanden, da waren immerhin 250 Quickborner Bürger dabei. Das war 'ne lebhafte Diskussion. Und schon alleine die Tatsache, dass der Bürgermeister eine öffentliche Haushaltsdebatte angesetzt hat, ich hab's von anderen Kommunen noch nie gehört, das fand ich schon mal gut."
Bei der Diskussion zeigte sich: Abstriche bei den Schul- und Kindergarten-Investitionen lehnten die Bürger trotz der finanziellen Engpässe ab, ebenso eine personelle Ausdünnung in der Verwaltung. Die Erhöhung der Grundsteuern dagegen wurde nun akzeptiert. Und es gab eine Diskussion über die geplante Kreditaufnahme.
Plaschke: "Aber was wohl am Wichtigsten war, war, dass eine Bürgerin von Quickborn aufgestanden ist und hat dafür plädiert, dass die Bürger der Stadt Quickborn Geld leihen. Da waren wir alle völlig baff und haben gesagt, wie kann so was angehen?"
Das ließe sich machen, signalisierten der Bürgermeister und die Stadtkämmerin. Wenn die Stadt den Bürgern drei Prozent Zinsen gewähre für einen einjährigen Kredit, dann sei das billiger als sich das Geld von den Banken zu besorgen. Gleichzeitig wäre der Zinssatz von drei Prozent für eine einjährige Festgeld-Anlage auch für die Bürger attraktiv. Denn bei Banken und Sparkassen bekommen sie das derzeit nicht. Werbefachmann Plaschke fand die Idee eines Bürgerdarlehens bestechend. Auch weil damit den Bankern ein Schnippchen geschlagen wird.
Plaschke: "Wissen Sie, als Selbstständiger, ich bin seit über 25 Jahren selbstständig, dann hat man auch mal Engpässe. Und gehen Sie mal zu einer Bank, wenn Sie 'nen Engpass haben. Da werden Sie ganz schief angeguckt, da müssen Sie betteln gehen, da müssen Sie die Hosen runterlassen und müssen alle möglichen Formulare ausfüllen, damit man Ihnen überhaupt mal ein bisschen über die nächste Durststrecke hinweghilft. Jetzt, wo ich in der Situation bin, wo ich ein bisschen Geld habe, wo ich jetzt meine Rente habe und brauche meine Lebensversicherung nicht mehr zu bedienen, jetzt, wo ich ein bisschen Geld zu verteilen habe, da sind die Banken alle hinter mir her und sagen: Sie kriegen hier so und so viele Zinsen und weiß der Teufel. Da habe ich gesagt: Nee, ich gebe das Geld lieber der Stadt."
Herr Plaschke stand auf in der Bürgerversammlung und sagte, dass er bei einem Bürgerdarlehen mitmachen würde und gerne bereit sei, der Stadt eine Summe von seinem ersparten Geld zu borgen, natürlich nach Rücksprache mit seiner Frau. Danach ging alles weitere ganz schnell. Die Stadt Quickborn schickte ihm einen einseitigen Vertrag zu.
Plaschke: "Und dann haben wir unsere Kontonummer angegeben, wohin das Geld nach einem Jahr wieder überwiesen werden soll. Unten links hat Köppel, Bürgermeister von Quickborn, und unten rechts meine Frau und ich unterschrieben. Und das war alles – völlig unbürokratisch. Also das fand ich so toll, dass das eben so einfach gehandhabt wurde."
Das alles so unkompliziert lief, lag auch an Meike Wölfel, der Stadtkämmerin. Sie erinnert sich gerne an die aufregenden Tage im Hochsommer.
"Wir sind dann an die Presse gegangen, weil wir sehr überrascht waren von diesem einen Angebot, haben das dann publiziert. Das ist dann überregional aufgegriffen worden. Und danach standen die Telefone nicht mehr still und wir haben, ja, nur noch reagieren können."
Zunächst kamen nur Anrufe aus Quickborn und der näheren Umgebung, dann aber auch aus München und Frankfurt. Innerhalb von nur zwei Tagen waren Darlehens-Angebote in der Höhe von vier Millionen Euro zusammen, von insgesamt 80 Darlehensgebern. Fünftausend Euro betrug die Mindestsumme, aber die meisten Überweisungen auf das Konto der Stadt waren deutlich höher – Beträge bis eine Million Euro gingen als Bürgerdarlehen ein.
Der schnelle Erfolg mit den Quickborner-Bürgerdarlehen macht auch der Finanzstadträtin Susanne Schmitt in Celle neuen Mut. War doch ihre ursprüngliche Idee, sich per Kommunalanleihe neue Kreditquellen bei Bürgern zu erschließen, am Desinteresse der Banken gescheitert. Nun setzt man auch im Celler Rathaus auf den direkten Kreditweg zum Bürger. 10 Millionen möchte man sich borgen, auf sieben Jahre zu einem Zinssatz von 3,2 Prozent. Darlehen ab Beträgen schon ab 100 Euro sollen angeworben werden, damit möglichst viele Celler mitmachen können. Aber es winken auch größere Beträge, freut sich Finanzexpertin Schmitt.
"Wir haben etliche Anfragen schon von Bürgern, die Beträge zwischen 10.000 und 250.000 Euro anlegen möchten in diesem Bürgerdarlehen. Das heißt, es gibt einen Markt für diese Darlehen, es gibt Bürger, die der Kommune vertrauen."
Im Celler Rathaus hat man einen 20-seitigen Prospekt zum geplanten Bürgerdarlehen vorbereitet: Informationen über die Stadt, ihre "Potentiale" und "Zukunftschancen", ihren Haushalt und ihren Schuldenstand. Mit den "vertraglichen Eckdaten" für ein Bürgerdarlehen, also die Laufzeit und die Zinsen, sowie mit Hinweisen zur Chancen und Risiken. Die Chancen:
Schmitt: "Das Bürgerdarlehen bietet zur Zeit einen attraktiven Zinssatz, der über dem Zinssatz der Bundesschatzbriefe liegt, und das Bürgerdarlehen garantiert eine hundertprozentige Rückzahlung. Das heißt, kein Anleger braucht sich Sorgen zu machen, dass er sein Geld nicht mehr zurückbekommt oder nicht in voller Höhe zurückbekommt."
Zu Risiken heißt es nur: "Das Bürgerdarlehen ist kein handelbares Wertpapier.". Mit anderen Worten: Man kann es nicht weiterverkaufen oder verpfänden, wie zum Beispiel eine Bundesanleihe. Alles ganz einfach – so scheint es bis jetzt. Und beide Seiten gewinnen dabei – die Kommune und die Bürger.
Allerdings gibt es auch Kritiker. Die Bürgerdarlehen mit ihren 3 oder sogar 3,2 Prozent Zinsen kommen einer Kommune teurer zu stehen als ein Bank-Kredit, bemängeln manche Kämmerer-Kollegen. Jedenfalls, sofern man bei den Banken so gute Konditionen aushandelt wie der gewiefte Stadtkämmerer von Salzgitter, Eckhard Grunwald.
"Wir haben gerade heute eine Abfrage gemacht, um einen Kommunalkredit in Höhe von 9,1 Millionen aufzunehmen. Ich gebe zu, nicht für sieben Jahre, sondern nur für fünf Jahre. Aber der uns angebotene Bestzins war 2,61 Prozent. Das sind 0,6 Prozent weniger als für dieses angedachte Bürgerdarlehen aus Celle."
Grunwald gilt in Fachkreisen als erfahren im modernen Schuldenmanagement, arbeitet auch nach dem Finanzcrash vorwiegend mit billigen Kurzzeit-Krediten und Derivaten - und ist damit bisher gut gefahren. Allerdings, so räumt er ein, hat sich der Finanzmarkt durch die Bankenkrise sehr verändert.
"Bei uns ist es schon so, dass wir schon merken, dass Banken keine Angebote abgeben, obwohl sie gefragt werden, können oder wollen, das weiß ich nicht. Wir haben früher 15 Banken angeschrieben und 15 Angebote bekommen. Wir schreiben heute 15 Banken an und wir haben noch 5-6 Angebote."
Etliche Landesbanken seien durch die Krise als Kreditgeber ausgefallen oder könnten zumindest keine großen Kreditvolumen mehr anbieten.
Grunwald: "Es gibt eben keine Sachsen-LB mehr, es gibt keine Bayern-LB mehr oder LBBW oder HSH, diese Landesbanken, die hier zur Zeit aktiv versuchen, eben Volumina abzudecken."
Mit der Verknappung der Angebote steigt auch die Abhängigkeit der Kreditnehmer. Da, so stimmt auch der gelernte Banker Grunwald seinen Kämmerer-Kollegen aus Quickborn und Celle zu, könnten die Bürgerdarlehen interessant werden.
"Na, ja wenn man sich unabhängig machen kann von der Bankseite ... oder ein Stückchen unabhängiger, indem ich andere Geldgeber habe, ist das durchaus ein interessanter Aspekt. Dieser Aspekt könnte es rechtfertigen, ein Bürgerdarlehen zu begehen, was dann im Endeffekt vielleicht dann teurer ist als zur Zeit die klassische Bank - das kann sein."
Dass die Bürgerdarlehen schon bald immer populärer werden könnten, scheint man auch bei den Banken zu befürchten. Der Bundesverband Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken grummelte über angeblich unerlaubte Bankgeschäfte. Obwohl das schleswig-holsteinische Innenministerium der Stadt Quickborn im Juli grünes Licht für die Bürgerdarlehen gegeben hatte, wurde nun das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen eingeschaltet. Die Antwort kam Anfang Oktober – per Fax. Quickborns Bürgermeister Köppel hat es auf seinem Schreibtisch liegen.
(Köppel, blättert in Unterlagen) "Also die Bafin schreibt uns: Die Anbahnung und Durchführung der Darlehen ist Einlagegeschäft im Sinne des Paragraf eins, Absatz eins, Satz zwei, Nummer eins des Gesetzes über das Kreditwesen und damit ein Bankgeschäft. Punkt. Das wars."
Die maßlos riskanten und milliardenschweren Spekulationsgeschäfte der Banken, die schließlich in den Crash führten, ließ die Aufsichtsbehörde jahrelang unkontrolliert durchgehen. Die verheerenden Folgen bekommen nun auch die Kommunen und ihre Bürger zu spüren. Auch vor diesem Hintergrund hätte man sich in Quickborn, wo die Bürger ihrer Kommune nun vier Millionen Euro geliehen haben, eine andere oder zumindest eine ausführlichere Antwort der Bafin erwartet. "Unseren eigenen Ansprüchen würde so ein Schreiben jedenfalls nicht genügen", sagt der Quickborner Bürgermeister und legt das Schreiben kopfschütteln beiseite.
Köppel: "Also ich würde sagen, für 'nen Auszubildenden im 2. Lehrjahr, würde ich sagen, ist das als Entwurf ganz in Ordnung, für 'ne rechtliche Würdigung, würde ich sagen, ist das völlig unakzeptabel."
Immerhin: Die vier Millionen Euro ihrer Bürger, die die Stadt längst für die Finanzierung der Quickborner Schulen ausgegeben hat, muss sie nicht sofort zurückbezahlen, sondern vertragsgemäß erst in einem Jahr - inklusive der vereinbarten drei Prozent Zinsen.
Anders in der niedersächsischen Stadt Celle: Genau an dem Tag, an dem der Stadtrat die Aufnahme für Bürgerdarlehen in Höhe von zehn Millionen Euro beschließen will, kommt die Nachricht der Bafin, wonach das Vorhaben erst noch geprüft werden müsse. Die Finanzstadträtin Susanne Schmitt ist sauer:
"Ich war wahnsinnig enttäuscht, weil ich mir da eigentlich eine vorherige Reaktion der Bafin erwartet hätte."
Schließlich sei man schon seit Juli mit der Aufsichtsbehörde im Gespräch gewesen. Nun hat die klamme Stadt die Aktion Bürgerdarlehen gestoppt – zumindest vorerst. Der Quickborner Bürgermeister Thomas Köppel, dessen Stadt sich bereits vor einigen Wochen vier Millionen Euro bei ihren Bürger lieh, erwägt, die neu entdeckte Kreditquelle zu verteidigen
"Wir sind ja in einem Rechtsstaat, das heißt zur Not muss man da auch den juristischen Weg einschreiten."
Auch bei der Interessenvertretung der Kommunen, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, will man die Idee des Bürgerdarlehens noch nicht abschreiben.
Gerd Landsberg: "Ich bin auch ein bisschen enttäuscht. Eigentlich ist das eine pfiffige Idee, die Bürger auch in die Kreditfinanzierung einer Stadt einzubinden. Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Die Steuereinnahmen brechen weg und die Ausgaben steigen. Und wie kann man das den Bürgern am besten klarmachen? Wenn man es erklärt und sagt: helft! Und genau das ist der Ansatz, den ich gut finde. Und ich glaube auch nicht, dass das das letzte Wort ist."
Auch wenn die Bürgerdarlehen nicht die günstigste Variante zur Kreditfinanzierung der Kommunen sind, so könnten sie doch die Kommunen stärken. Denn Bürger, die ihrer Gemeinde oder Stadt Geld leihen, interessieren sich auch dafür, was damit passiert. Und je knapper das Geld in den Kommunen wird, desto wichtiger ist es, mit den Bürger darüber zu reden, was wirklich wichtig ist und was nicht.