Bündnis auf begrenzte Zeit

Von Agnes Steinbauer · 01.12.2006
Vor 40 Jahren erlebte die Bundesrepublik Deutschland eine politische Zeitenwende. Der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger wurde zum Bundeskanzler gewählt, die erste Große Koalition in der Geschichte des Landes übernahm die Verantwortung für die Bundesregierung.
"Herr Ministerpräsident, ich frage Sie, ob Sie diese Wahl annehmen?"

"Ich nehme die Wahl an."

1. Dezember 1966 - Das war der Tag, an dem die größte innenpolitische Umwälzung seit Kriegsende besiegelt wurde: die erste Große Koalition mit Kurt Georg Kiesinger als neuem Bundeskanzler.

"Ich bin zufrieden mit der Abstimmung nach der Unruhe, dem Für und Wider, und jetzt habe ich nur das Bedürfnis, einmal seit Wochen wieder auszuschlafen."

Kiesinger, der rhetorisch begabte baden-württembergische Ministerpräsident der CDU, der in Bonn "König Silberzunge" genannt wurde, schien geeignet, zwischen den ungleichen Partnern zu vermitteln. Im alten Regierungsbündnis hatte es schon seit Jahren gekriselt. Endgültig war der Bruch im Oktober 1966, als die vier FDP-Minister aus dem Kabinett von Ludwig Erhard ihr Amt niederlegten - offiziell wegen Meinungsverschiedenheiten beim Thema Bundeshaushalt und in der Steuerpolitik. Tatsächlich war es ein für die FDP politisch notwendiger Befreiungsschlag. In der Regierung mit der CDU/CSU hatte sie massiv an Wählerstimmen verloren. Dafür verantwortlich war nach Meinung der Liberalen, der - wie es allgemein hieß - "konzeptlose", Kanzler Ludwig Erhard, der schließlich am 10. November 1966 mehr oder weniger freiwillig zurücktrat.

Die fetten Jahre des Aufschwungs waren Mitte der 60er erst einmal vorbei. Die zuvor traumhaft niedrige Arbeitslosenquote von 0,7 Prozent stieg ab 1965 wieder steil an und lag 1967 bei knapp über zwei Prozent - im Vergleich zu heute, verschwindend gering, aber die Wirtschaftswunder verwöhnte Nachkriegsnation verunsicherte eine drohende Rezession. Das Bündnis zwischen Union und SPD von 1966 versprach Stabilität. Sozialdemokraten und Liberale wären mit einer hauchdünnen Mehrheit von drei Mandaten kaum regierungsfähig gewesen. Außerdem gab es zwischen SPD-Linken und der "Kapitalisten-FDP" zu dieser Zeit noch unüberwindbare politische Meinungsverschiedenheiten. Die Große Koalition war - pragmatisch gesehen - eine notwendige Lösung; mit Einschränkungen:

"Wir sehen klar, dass die Große Koalition nur eine vorübergehende Sache sein kann. Sie kann nicht dauern","

betonte der CDU-Kanzler Kiesinger von Anfang an. Willy Brandt wurde sein Außenminister und Vizekanzler. In der Sache funktionierte das Bündnis gut, so gut, dass über 80 Prozent der Deutschen die Regierungsarbeit nach zwei Jahren positiv beurteilten. Schließlich war es gelungen, die Rezession abzuwenden und Arbeitsplätze zu schaffen. Mit klarer Mehrheit wurde ein Stabilitätsgesetz verabschiedet, mit Hilfe zahlreicher Finanzreformen das Loch im Bundeshaushalt gestopft. Der CSU-Finanzminister Franz-Josef Strauß und SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller - alias Plisch und Plum - arbeiteten über Parteigrenzen hinweg gut zusammen ebenso wie die beiden Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel und Helmut Schmidt:

Schmidt: ""Wenn der Zwang zu Koalitionen gegeben ist, dann halte ich die Fortsetzung der Großen Koalition für nicht sehr unwahrscheinlich."

Kiesinger: "Wir wünschen, dass wir nach der Wahl von 1969 gar nicht mehr in Verlegenheit kommen, über die Koalitionsfrage nachzudenken ."

Dieser Wunsch Kiesingers beim CDU-Parteitag im November 1968 sollte sich erfüllen; allerdings anders, als er dachte, denn eine zweite Amtszeit als Bundeskanzler gab es für ihn nicht mehr. Kiesinger war mittlerweile zwischen alle Fronten geraten. Er galt zwar als guter Moderator, aber auch als entscheidungsschwacher Kanzler und wurde als "wandelnder Vermittlungsausschuss" bespöttelt. Außerdem war er als ehemaliges NSDAP-Mitglied immer mehr in Misskredit geraten. Getrübt hatte sich die Stimmung in der Koalition auch, weil sich Kiesingers Beziehung zu seinem Außenminister Willy Brandt immer mehr verschlechterte,

"Ich will nicht mehr mit Kiesinger","

sagte Brandt in SPD-Kreisen ,und auch bei Interviews ließ er zwischen den Zeilen durchblicken, dass es um sein Verhältnis zum Kanzler nicht gerade zum Besten stand:

""Unstimmigkeiten? Ja, das hab ich auch gelesen, das habe ich auch gelesen, das eignet sich jetzt aber nicht zur öffentlichen Erörterung."

Brandts Ostpolitik und sein Bestreben, die DDR als Staat anzuerkennen, gingen Kiesinger viel zu weit. Trotzdem glaubte er an eine Fortsetzung der Zusammenarbeit. Brandt hatte jedoch vor der Bundestagswahl im September '69 schon längst mit dem FDP-Chef Walter Scheel die Wende zum sozialliberalen Bündnis vorbereitet und damit den Sturz Kiesingers. Er wurde erster Bundeskanzler einer rot-gelben Regierung, die die Union 13 Jahre lang in die Opposition verbannen sollte.