Bühne

Shakespeare, Sozialismus und Folklore

Das Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU)
Das Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) © dpa/picture alliance/Paul Zinken
Von Gerd Brendel · 16.03.2014
Ein restriktives Mediengesetz, Förderung nur für Staatskunst: Die Fidesz-Partei macht es Kulturschaffenden in Ungarn schwer. Beim Festival "Leaving is not an option?" zeigen Theatergruppen, wie sie die Lage im Land verarbeiten.
Manchmal begegnet einem im Theater das richtige Leben. Am Vortag hatten Freunde von einem Obdachlosen in ihrem Treppenhaus berichtet, da begegnet einem am Abend in Pèter Kárpatis "acts of pittbull" die gleiche Situation. "Pittbull" ist ein geheimnisvoller Obdachloser, der von sich behauptet ein Prophet zu sein. Im Stück klingelt er bei einem Budapester Kleinbürgerpaar und nistet sich in ihr Leben. Das Publikum sitzt mit im ärmlichen Wohnzimmer und erlebt wie der Gottesmann seine Gastgeber mit ihren ureigensten Ängsten konfrontiert. Dem richtigen Leben in Ungarn begegnen die Zuschauer in jeder Produktion des Festvials im Berliner HAU.
"Inhaltlich ist es eine Auseinandersetzung mit einer Gesellschaft, die vom Sozialismus mal geprägt war und die sich nach wie vor umbaut und nach ner Identität sucht."
Festivalkuratorin Aenne Quinones.
"Und diese politischen Prozesse werden abgebildet im Theater und bekommt eine Aktualität für die Zuschauer, weil das in der Öffentlichkeit nicht so vorkommt, weil da ne andere Ideologie um sich greift."
Die Demagogie der Regierung wirkt sehr stark. Die Medien sind gleichgeschaltet, und die Menge hört nur diesen Rundfunk, diese TV-Programme, und dann denken sie, es gibt keine Alternative. Und zweitens ist die Opposition sehr schwach.
Systemkritische Folklore
Béla Pinter erzählt in seinem Stück "Titkaing – Unsere Geheimnisse" eine Geschichte aus den letzten Sozialismusjahren. Wir sind in den Achtzigern. In den sogenannten Tanzhäusern singen und tanzen systemkritische Intellektuelle Folklore. Ein Rest Nischenfreiheit, misstrauisch beäugt von der Partei. Vom Geheimdienst erpresst, verrät ein pädophiler Folklorespezialist seinen Mitmusiker. Pinter musste nur wenig dazu erfinden. Das gilt für die Rolle der linientreuen Kommunistin, die am Ende als Staatssekretärin der konservativen Fidesz Partei vor das Publikum tritt.
"Die gibt es wirklich. Früher war sie Kommunistin und heute ist sie Staatssekretärin und verantwortlich für das ganze Bildungswesen und eine erbitterte Gegnerin der Kommunisten."
Dem realen Ungarn begegnen die Zuschauer auch, wenn Shakespeare auf dem Programm steht. Der Coriolanus der Hoppart Company unter Csaba Polgar spielt in Berlin im leergeräumten Zuschauersaal des alten Hebbel-Theaters. Es herrscht Nachwende-Tristesse. Das römische Volk tritt als Trio in Trainingshosen und Sandalen auf und lässt sich nach belieben manipulieren: Den Protest für subventioniertes Getreide lässt es sich von den Volksvertretern schnell ausreden, Den siegreichen Kriegsheld Coriolanus begrüßt es erst mit Faschingströten, um ihn dann später in die Verbannung und in die Arme des Kriegsgegners zu treiben. In dieser Shakespeare-Inszenierung gibt es nur Idioten oder Zyniker. Wie man es in dieser Gesellschaft aushalten kann? "Leaving is not an option?" Ist da Auswandern nicht doch eine Wahl, fragt das Festival. Die meisten Festivalteilnehmer haben sich zum Bleiben entschieden. Viele Künstler allerdings haben mittlerweile anderenorts einen Koffer stehen.
Geschichten, so ungeheuerlich wie das richtige Leben
Kornél Mundruczós Stück "Dementia – Or: The day of my great happiness" zum Beispiel ist wie viele Arbeiten des Regisseurs eine internationale Koproduktion und auch dieses Stück erzählt ein Kapitel aus dem Ungarn von heute. Vor ein paar Jahren wurde das größte psychiatrische Krankenhaus Budapests nach Verkauf an einen privaten Investor geschlossen. Im Stück erscheint der als schmieriger Operettentenor, als der Chefarzt mit seinen Demenzpatienten aus therapeutischen Zwecken Strauß-Walzer probt.
Die rührseligen Operettenmelodien des Fin de Siècle passen zur runtergekommenen Anstalt. Abgeplatzte Kacheln, bröckelnder Putz: eine Kulisse wie in den Stücken von Christoph Marthaler oder Alvis Hermanis. Nur leise melancholisch wie bei seinen Kollegen geht es bei Regisseur Kornél Mundruczo´ nicht zu, sondern zupackend und spannend wie ein Thriller, wenn sich der Chefarzt wie sein reales Vorbild vom Investor bestechen lässt.
Regisseur Kornél Mundruczó Demenzstück ist eine Parabel auf ein Land, dass seine Geschichte zugunsten nationalistischer Mythen vergessen hat und in dem die Zukunft immer schwieriger wird. Wahrheit gibt es nur in der Operette, so die Botschaft von Cornél Mundruczó:
"Die Operette spiegelt die Gesellschaft mit Superreichen auf der einen, und Armen auf der anderen Seite. Aber sie bringt auch die Sehnsüchte beider Klassen zum Klingen."
Regisseure wie Péter Kárpati , Csaba Polgar, Cornél Mundruczó und Béla Pintér holen den alten Sozialismus-Sperrmüll aus den Kellern des kollektiven Unterbewusstseins ihrer Landsleute und stellen ihn auf die Bühnen ihrer Off-Theater. Woanders wird sicherlich experimenteller und innovativer inszeniert. Aber dafür bebt dieses Theater aus Budapest vor Leben und bietet Geschichten, so ungeheuerlich wie das richtige Leben, gespielt von großartigen Schauspielern, die nicht selten ihr Geld beim Fernsehen oder beim Film verdienen, aber sich hier ein Stück künstlerische Freiheit bewahren. Wie singen die gewendeten I.M.s und Parteisekretäre in schenkelklopfenden Komödienstadl-Folklore am Ende von Pintérs Stück ?
Hat es Euch denn auch gefallen,
dafür danken wir Euch allen.
Das Lied ist aus.
Es war kein Stuss.
Es hatte wirklich Hand und Fuß.
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