Bühne

Gefangen im Loop

Am 11. März 2011 ereignete sich die Katastprophe
Am 11. März 2011 ereignete sich die Katastprophe © picture alliance / dpa
Von Gerd Brendel · 26.05.2014
Abgründe im Alltag aufzeigen, an Vergessenes erinnern, Verdrängtes zur Sprache bringen: Beim Theaterfestival "Japan Syndrom" im Berliner HAU zeigen Regisseure und Künstler, wie sie den Gau verarbeiten.
Auf der großen Leinwand im Hebbel-Theater verkündet Premierminister Shinzo Abe seine Beschwichtungsformel in Endlosschleife während Tori Kudo und seine Band auf der Bühne von ihren Erlebnissen auf Anti-Atom-Protesten erzählen. Der Anarchopunk Tori Kudo ist einer der Gäste beim Japan-Syndrome-Festival im Berliner Hau. Es geht um Kunst und Politik nach Fukushima. Politik nach Fukushima? Gerade hat Shinzo Abe angekündigt, zur Vor zurückzukehren und drei Jahre nach dem Gau die Atomkraftwerke wieder hochzufahren. Da bleibt der Kunst nichts übrig, als zu
"versuchen, den Finger auf die Nerven zu legen, wo man die Dinge wegmuffelt, worüber man nicht spricht",
wie es Hau-Chefin Annemie Vanackere formuliert. Dinge zur Sprache bringen, die offiziell verschwiegen werden: Das macht der Künstler Akira Takayama mit seinem "Referendum Project".
"Wir haben über 1000 Interviews mit Jugendlichen in Fukushima, Tokio, Hiroshima und Nagasaki gefilmt und 54 für die Installation ausgewählt."
Das Dilemma einer Generation
An den vier Seiten eines schwarz ausgeschlagenen Raums hängen Bildschirme, auf denen diese Jugendliche von Ihrer Familie erzählen, von ihren Freunden, ihren Spitznamen, von Schulstress und von ihren Träumen.
"Ein Junge aus Fukushima erzählte uns, dass er alle Atomkraftwerke abschaffen würde, wenn er Premierminister wäre, aber auf die letzte Frage nach seinem Traum antwortete er: eine Festanstellung beim Fukushima-Betreiber Tepco. Das zeigt, wie schwierig die Situation ist: Die Kinder haben ihre ganz eigene Meinung, aber sie stehen unter großem Druck von den Eltern und von der Schule. Es gibt keine Wahl."
Um die Antworten des Jungen aus Fukushima zu verstehen, muss man ganz nahe an den Bildschirm treten. In der Mitte des Raums vermischen sich die Stimmen zu einem einzigen Raunen.
Von No-Theater bis zu experimentellen Formen
Die Theaterszene Japans spricht in vielen Stimmen. Das Spektrum reicht vom traditionellen No-Theater bis zu experimentellen Formen irgendwo zwischen Performance und Doku-Theater. Einer der wichtigsten Regisseure der Gegenwart ist Toshiki Okada. Gerade hatte sein aktuelles Stück "Super Premium Soft Double Vanilla Rich" beim Theater-der-Welt-Festival in Mannheim Premiere. In Berlin ist neben dieser Produktion auch das zwei Jahre alte Stück "Current location" zu sehen, ein somnambules Katastrophentableau.
Sieben Frauen sitzen an Tischen, die an ein komfortables Warteziel oder eine Betriebskantine erinnern. Über ihnen sieht man den Sternenhimmel durch ein großes Fenster leuchten. Hin und wieder nähert sich ein Planet bedrohlich nahe. Die Frauen erzählen sich im Okada-typischen, beiläufigen Tonfall vom bevorstehenden Untergang ihres Dorfs. Was hat die leuchtende Wolke zu bedeuten? Warum sterben die Fische im See? Fliehen oder Bleiben? Die Figuren bewegen sich ungeschickt im Zeitlupentempo wie in einem Stück von Christoph Marthaler. Gefangen im Loop, Stillstand, Bewegungslosigkeit – so sehen sie aus, die Symptome des "Japan-Syndromes" auf der Bühne nach Fukushima
"Die Zuschauern sollten niemals ein Stück verlassen, denn ich denke, im Theater gibt es immer Zeiten, die langweilig sind, die uninteressant sind. Ich denke, dass das Theater eines der seltenen Medien ist, wo das überhaupt noch geht, wo man negative Erlebnisse haben kann, und deswegen sollten die Zuschauer nie ein Stück verlassen",
sagt der Regisseur Takuya Murakawa. Auch er hat sich mit der Katastrophe auseinandergesetzt. In Berlin allerdings zeigt er seine Arbeit "Zeitgeber". Der Titel – original in Deutsch – ist wörtlich zu verstehen. Es zeigt den Alltag eines Pflegers, der seinem vollständig gelähmten Patienten "Zeit gibt". Mühsam versucht er sich mit dem Behinderten über Augenzwinkern zu verständigen.
Theatermacher wollen Verdrängtes zur Sprache bringen
Intensität gewinnt die Performance dadurch, dass die Rolle des Patienten von einer Freiwilligen aus dem Publikum gespielt wird. Die Abgründe im Alltag aufzeigen, an Vergessenes erinnern, Verdrängtes zur Sprache bringen, darum geht es in den Arbeiten von Takayama, Okada oder Murakawa. Wer Antworten oder Lösungen sucht, muss woanders suchen. Wer sich auf die Suchbewegungen der Theatermacher und Künstler aus Japan einlässt, könnte sich in ihren Arbeiten der eigenen Ratlosigkeit begegnen.
Vanackere: "Für mich ist die ganze Energiefrage, Zukunftsfrage, Atomkraftfrage – is ein Spiegel für uns. Auch wir haben unsere Verdrängungsmechanism wenn es darum geht, wie wir uns verhalten, dem Wachstum gegenüber oder unserem Konsumverhalten gegenüber."