Bühne

Drei Schwestern am Küchentisch

Von Peter Kessen |
"There is no Orchestra. Ein Schwesternprojekt" ist ein einzigartiges Theaterprojekt, spielen hier doch die drei Schwestern Elisabeth, Christina und Theresa Szenen aus ihrem eigenen Leben. Alle drei sind um die 30 Jahre alt, Theresa lebt mit dem Down-Syndrom.
Elisabeth: "Die sind am Sonntag angekommen, die Kleinen...."
Christina: "Wir waren beim No Limitfestival und haben uns ein Stück angeschaut. Und dann Theresa, was haben wir noch gemacht?"
Theresa: "In der Stadt gebummelt! Handy geholt!"
Elisabeth: "Theresa hat ein neues Handy bekommen."
Journalist: "Und wie gefällt dir Berlin?"
Theresa: "Gut, schön groß!"

Die drei Schwestern Elisabeth, Christina und Theresa sitzen am rustikalen Küchentisch in einer weitläufigen Altbauwohnung im Berliner Stadtteil Neukölln. Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth lebt hier in einer Wohngemeinschaft, die Regieassistentin Christina ist mit Theresa aus Bonn angereist. Heute Abend werden die drei Schwestern ihr Theaterstück beim Berliner Theaterfestival No Limits aufführen: Eine wilde Montage aus Szenen des Familienlebens. Ein besonderes Leben, denn Theresa hat ihren Alltag mit dem Down Syndrom gemeistert, vom Besuch der Gesamtschule bis zur ihrer Arbeit als Küchenhilfe. In vier anstrengenden Wochen haben die Drei das Stück entwickelt, erzählt Christina:

"Und dann haben wir angefangen, uns mit der Frage auseinander zusetzen, wer bin ich im Verhältnis auch zur Familie (....) Und es gab auch viele Konflikte, auch innerhalb, es war manchmal hart an der Grenze zu einer Therapiestunde....Es war auch notwendig, erst mal tief reinzugehen, alle Wunden aufzureißen, bevor man daraus wieder eine Form finden kann..."

Aber ein trauriges Theaterstück haben sie nicht geschrieben. Das Stück erinnert an das Gespräch der drei Schwestern am Küchentisch, der tiefe Ernst verwandelt sich schnell in hellen Witz, der auch Schwierigkeiten offen anspricht:

"Es war natürlich auch für uns das Risiko, dass wir Angst hatten, dass Theresa quasi nur benutzt wird aufgrund ihrer Behinderung. Aber du fühlst dich nicht benutzt, Theresa?"
Theresa: "Nein!"
Christina (lacht): "Fühlst du dich von uns benutzt als theatrales Mittel?"
Theresa: "Nein!" (lachen)

Nun müssen die Schwestern aufbrechen, zu den Proben im Theater Ramba Zamba in der Berliner Kulturbrauerei. Sie scheinen entspannt, das erfolgreiche Stück wird bereits zum sechsten Mal aufgeführt.

Elisabeth: "Bist du aufgeregt, Theresa…"
Theresa: "Jo, es geht…"
Christina: "Ich bin gespannt, wir sehen heute zum ersten Mal den Probenraum, wir wissen nicht, wie die Bühne ausschaut….und holen gleich noch Esteban ab, der die gute Seele ist…Das ist die Ruhe vor dem Sturm...Drei Tage Probe wieder...Los geht's...."

Auf der kargen Probebühne des Theaters beginnen die Drei sich einzuspielen, am Anfang steht ihr sogenanntes Theatermanifest.

"Unser Theatermanifest... Punkt eins wir verhandeln nicht, unsere privaten Probleme und keine Abgründe der Familie. Wir wollen unsere Familie nicht beschmutzen."
Theresa: "Wir lieben sie!"
"Punkt zwei: Eifersucht und Neid sind Probleme unter uns Schwestern, die wir nicht verhandeln, denn es gibt sie einfach nicht..... Punkt drei: Wir verhandeln nicht das Thema Behinderung, nur weil Theresa mitspielt."

Gespielt wird auf einer Bühne, die an ein wildes Kinderzimmer erinnert. Mit originalen Kindermöbeln und liegen gelassenem Spielzeug. Anton Tschechows Stück "Drei Schwestern" hat sie inspiriert, die drei Themen Arbeit, Liebe und Selbstbestimmung zu behandeln. Elisabeth berichtet auf der Bühne mit böser Komik von Ihrer Odyssee durchs Berliner Kulturleben, Christina versucht herauszufinden, was die wahre Liebe sein könnte, und Theresa spielt ihre Lieblingsrolle, die Polizistin. Dabei denkt sie über Ihre Weiblichkeit nach, als erwachsene Frau mit Down Syndrom, die gegen zu viel Behütung kämpft:

"Alle sagen mir was ich machen soll,...dusch dich...wasch dich...räum dein Zimmer auf...komm nicht so spät nach Hause...."

Und so rollt sie ab, die rasante Montage aus vier Akten, die Schwestern streiten sich, umarmen sich und singen Popsongs miteinander. Dann beginnen Christina und Theresa über ihre behinderte Schwester Theresa nachzudenken:

"Ohne dich würde ich nicht so bewundert werden....Ohne Dich würde ich nicht so schnell aus der Haut fahren....Ohne dich wäre ich nicht so schrecklich mütterlich belehrend...ohne dich wüsste ich nicht, was unsere Mutter für eine Löwin ist....ohne dich wäre das Leben einfacher...Ohne dich wären wir nicht aus Freiburg weggezogen....ohne dich wäre das Leben langweiliger Ohne dich hätte ich mehr Aufmerksamkeit von meinem Vater bekommen... ohne dich wüsste ich nicht, was bedingungslos lieben heißt."

Die Art, wie die drei Schwestern miteinander proben, spiegelt auch ihre Beziehung. Sie sind gegeneinander liebevoll, witzig, ehrlich - und auch mal vorlaut und gemein. Wie Geschwister eben, etwas andere Geschwister. Fast am Schluss des Stückes steht das Lieblingslied von Theresa, zu dem auch Elisabeth und Christina mittanzen:

Christina: "Sonst kannst du auch für dich Tanzen, als wenn du alleine in deinem Zimmer tanzt morgens früh...Gibst du mir das Kommando..."
Theresa: "Eins zwei drei.... Du kannst nicht alles haben, manches kann dir dieses Leben nicht geben."