Büchner-Preisträger sieht sich als "Gescheiterter"

Walter Kappacher im Gespräch mit Frank Meyer · 26.05.2009
Der österreichische Autor Walter Kappacher sieht sich als "Gescheiterter" - daran ändere auch der Georg-Büchner-Preis nichts, den er in diesem Jahr erhält. "Mir scheint, als Künstler hat man immer oder oft das Gefühl, dass man gescheitert ist", erläuterte der österreichische Schriftsteller. Sein Schreiben entstehe "zur Hälfte im Gehen", sagte der 70-Jährige weiter. Ansonsten arbeite er "sehr aus dem Unbewussten".
Frank Meyer: Es heißt über Ihre Bücher, Sie würden über Durchschnittsbürger schreiben, über Versicherungsangestellte, Lehrer, Sekretärinnen, Mechaniker - warum sind diese Menschen Ihre Helden, diese Durchschnittsbürger?

Kappacher: Ja, weil ich selber einer bin wahrscheinlich. Es spielt ja eigentlich keine Rolle, über welche Menschen man schreibt, ob das ein Mechaniker ist oder ein Universitätsprofessor. Es geht ja um andere Dinge, um innere Dinge bei Menschen für mich.

Meyer: Um welche Dinge geht es Ihnen in Ihrem Schreiben?

Kappacher: Tja, das ist jetzt schwer, so auf Anhieb zu sagen. Ich denke ja nicht drüber nach, um welche Dinge es geht. Mein Schreiben entsteht zur Hälfte im Gehen, also ich muss immer nachmittags gehen, in der Natur, damit ich am nächsten Tag dann schreiben kann. Was ich mir dann notiere beim Gehen, das verwende ich nicht mehr am nächsten Tag. Aber es wird wohl irgendwie auf irgendeine Weise wirken. Wenn ich tagelang nicht gegangen bin, würde ich schwerlich am Schreibtisch anfangen können, Sätze zu schreiben.

Meyer: Sie haben ja selbst zum Teil in solchen Berufen gearbeitet, wie ich sie gerade angesprochen habe. Sie haben Kfz-Mechaniker gelernt, als Reisebüro-Kaufmann gearbeitet. Das heißt, wenn Sie über Menschen schreiben, die in solchen Berufen stecken, schreiben Sie auch über Ihre eigenen Erfahrungswelten, Ihre Vergangenheit?

Kappacher: Ja natürlich. Auch wenn ich jetzt ein Buch über Hofmannsthal geschrieben habe, steckt da sehr viel von mir selber drin. Also das Älterwerden, das Gefühl des Gescheitertseins, die Angst, mit seiner Arbeit nicht mehr fertig zu werden, über Krankheit, über Einsamkeit. All das bin auch ich.

Meyer: Und wenn Sie sagen, das Gefühl des Gescheitertseins, inwiefern ist das Ihres?

Kappacher: Mir scheint, als Künstler hat man immer oder oft das Gefühl, dass man gescheitert ist. Ich lass ja in meinem letzten Buch jetzt da den alten Tizian auftreten, der mit 90 gesagt hat, alle seine bisherigen Arbeiten seien nichts wert, aber jetzt, dieses Pan-Gemälde, dass er jetzt fertigstellen wird in Kürze, das wird vielleicht etwas sein. Und das ist eine Haltung, die ich sehr gut verstehen kann.

Meyer: Und hilft eine öffentliche Ehrung wie zum Beispiel der Büchner-Preis, so eine öffentliche Anerkennung, hilft der gegen dieses Gefühl des Gescheitertseins oder spielt das für Sie eigentlich keine Rolle?

Kappacher: Ich glaube nicht wirklich, dass das hilft. Ich habe ja immer gesagt, dass ich in meinem Leben mehrere Berufe ausgeübt habe. Immer, wenn ich das Gefühl hatte, "das kannst du jetzt", dann hat es mich nicht mehr interessiert und ich habe mir irgendeine andere Herausforderung gesucht. Und ich habe immer gesagt, beim Schreiben wird das nie der Fall sein, dass ich sage, das kann ich jetzt. Und deswegen werde ich wahrscheinlich immer schreiben.

Meyer: Ich habe eben schon aus der Begründung der Akademie zitiert, in der steht, Ihre Prosa sei voll melancholischer Unerbittlichkeit, stets traurig, aber nie trostlos. Können Sie denn selbst sagen, woher diese Traurigkeit, die Melancholie kommt in Ihrem Schreiben?

Kappacher: Also mit der Traurigkeit verstehe ich nicht so gut. Ich bin sicher nicht trauriger als der Durchschnitt der Menschen. Melancholie, die allerdings kommt immer häufiger, je älter ich werde, das stimmt. Aber woher es kommt, weiß ich eigentlich nicht, weil ich als Autor eigentlich nie nach Erfolg geschielt habe. Es kann nicht sein, dass ich darunter gelitten hätte, dass ich zu wenig bemerkt worden wäre.

Meyer: Es wird immer, wenn über Ihre Bücher geschrieben wird, wird die Stille in Ihren Büchern hervorgehoben oder auch der Sog dieser Stille, wie das die Akademie jetzt geschrieben hat, das eigene Zeitmaß, in dem Sie schreiben, die eigene Welt, in die Sie Ihre Leser hineinziehen. Ist das etwas, was Sie auch anstreben im Schreiben, so einen ganz eigenen Raum zu schaffen, in dem eigene Maßstäbe gelten, in der Tat so eine eigene Zeit herrscht?

Kappacher: Nein, also von Anstreben kann keine Rede sein. Das bin ich halt ich wahrscheinlich, ich schreibe so und nicht anders, und nachdem ich nicht auf Bestsellerzahlen schiele oder geschielt habe, spielt es ja keine Rolle. Ich kann also ganz so schreiben, wie es aus mir herauskommt. Eigentlich arbeite ich ja sehr aus dem Unbewussten. Ich weiß jetzt am nächsten Tag nicht, wie das vom Vortag entstanden ist.

Meyer: Weil Sie die Bestsellerlisten gerade angesprochen haben: Sie mit Ihrer sehr stillen Literatur, wenn man auf die Bestsellerlisten schaut, da steht oft sehr Lautes sehr weit oben. Wenn man zum Beispiel an Charlotte Roche und ihre "Feuchtgebiete" denkt, das war ein ziemlich greller Roman, der da lange die deutschsprachigen Bestsellerlisten angeführt hat. Ficht Sie so was dann gar nicht an, so eine ganz andere Art Literatur, die solche Erfolge feiert?

Kappacher: Nein, das war schon in Goethes Zeiten so. Die Bestseller hat nicht Goethe geschrieben, sondern das waren andere. Das war der Vulpius und ähnliche. Nein, daran hat sich nie etwas geändert, und es wird auch immer sein. Schauen Sie, der Arno Schmidt hat doch diese Rechnung aufgestellt, dass in Deutschland nicht einmal 0,5 Prozent an Literatur interessiert seien, und diese Zahl halte ich für realistisch.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Büchner-Preisträger 2009, dem österreichischen Schriftsteller und Fotografen Walter Kappacher. Die Fotografie ist Ihre andere große Leidenschaft, und ich habe gelesen, Sie würden seit Langem immer wieder die gleiche Stelle in einem See fotografieren, zu verschiedenen Jahreszeiten, Uhrzeiten. Warum tun Sie das?

Kappacher: Es war eigentlich ein Zufall. Wir sind auf dem Weg zu unseren Wanderwegen über dem See - wir wohnen ja hier an drei Seen, Mattsee, Obertrumer See und Grabensee -, und als wir über dem Grabensee da fuhren, da sah ich so eine Linie quer über den See. Das war im März. Und ich habe meine Frau gebeten, mich doch aussteigen zu lassen, und ich bin ein paar Schritte da hinunter den Graben. Und dann ist mir klargeworden, der See hat noch eine dünne Eisschicht und das ist der Beginn des Bruches. Und das war eine unglaublich schöne, eine Schönheitslinie war das, so à la William Hogarth. Von da an habe ich versucht, öfter zu schauen, was da los ist am See und am Ufer des Sees. Und gerade im Winter oder im Frühjahr, wenn irgendein Sturm das Eis zum Bersten bringt und in Trümmern ans Ufer schwemmt, sind da die fantastischsten Bilder zu sehen und zu fotografieren.

Meyer: Ich habe den Eindruck, wenn Sie das so beschreiben und auch all das, was ich jetzt über Ihre Bücher gelesen habe: Sie sind jemand, der denkt in einer ganz kleinen Welt, in einem kleinen Ausschnitt unserer Welt ist so viel zu entdecken, dass das eigentlich ausreicht für ein Werk und für ein Leben. Ist das so bei Ihnen?

Kappacher: Ja, das haben Sie schön gesagt, das ist die Nussschale, die Shakespeare'sche Nussschale. Ja, ich empfinde es genauso. Es ist alles im Kleinen enthalten, und die frühen Meister mit ihren Stillleben haben das ja auch gewusst.

Meyer: Wenn wir noch einmal auf Ihre Bücher schauen, ein gutes Dutzend haben Sie jetzt in 30 Jahren als freier Autor veröffentlicht, und viele Kritiker haben Ihren Roman "Selina" aus dem Jahr 2005 zu Ihrem Meisterwerk erklärt. Man findet wirklich hymnische Kritiken zu diesem Roman. Ist das auch für Sie Ihr Meisterwerk, dieser Roman?

Kappacher: Zu dem Zeitpunkt, wie noch keine Kritiken erschienen waren, war ich mir durchaus nicht sicher, ob es wirklich ein gutes Buch sei. Ich habe selber, ich kann das erst aus großer Distanz beurteilen. Andererseits schaue ich ja später in meine Bücher nicht mehr hinein, wenn sie einmal geschrieben sind.

Meyer: Das heißt, Sie nehmen die gar nicht mehr zur Hand?

Kappacher: Die nehme ich gar nicht mehr zur Hand, außer ich muss einmal vorlesen, dann muss ich sie wieder in die Hand nehmen. Aber sonst nicht, nein. Gerade vorhin war ein Herr hier vom österreichischen Rundfunk, der hat gesagt, im Wohnzimmer, da ist eine Bücherwand, warum meine eigenen Bücher hier nicht stehen. Da habe ich natürlich lachen müssen.

Meyer: Was steckt dahinter? Bringt das Unglück oder möchten Sie mit diesen abgelegten Häuten nichts mehr zu tun haben?

Kappacher: Ja, so ist es wohl, ja. Sie sind da, wer als Leser sucht, der findet sie, so wie ich seit meinen frühen Jahren also die Bücher auch gefunden habe, die ich gebraucht habe, und so soll es sein.

Meyer: Nun bekommen Sie den Georg-Büchner-Preis, Herr Kappacher. Bei den Preisreden auf die Büchner-Preisträger, das ist so inzwischen ein gewohnter Brauch, da werden immer Verbindungen hergestellt zwischen dem Preisträger und Georg Büchner, dem Namensgeber selbst. Gibt es denn Verbindungen zwischen Ihnen und dem Autor von "Dantons Tod", "Woyzeck", "Leonce und Lena" und so weiter, gibt es die?

Kappacher: Nein, also auf Anhieb kann ich da nichts feststellen. Obwohl, entschuldigen Sie, dieser kleine Prosatext "Lenz", der hat mir immer sehr viel bedeutet, war auch für mich so eine Art Vorbild von Prosaschreiben.

Meyer: Können Sie sagen, was Ihnen daran etwas bedeutet hat, an diesem Text?

Kappacher: Die Musikalität, der Tonfall der Sprache, der irgendwie verrückte Inhalt dieser Figur, der wünscht, auf dem Kopf stehend gehen zu können. Es ist schon eine Zeit her, dass ich das zuletzt gelesen habe. Aber es ist für mich ein absolutes Wunderwerk deutscher Prosa.

Meyer: Walter Kappacher bekommt den Büchner-Preis 2009. Herr Kappacher, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Kappacher: Ich danke Ihnen auch, Herr Meyer!