"Bücher verkaufen sich heute nicht mehr von selbst"

Klaus Farin im Gespräch mit Ulrike Timm · 14.12.2012
Wir machen keine Bücher, um reich zu werden, erklärt der Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin. Trotzdem könne auch ein kleiner Verlag durchaus von seinen Produkten leben - mit viel ehrenamtlichem Engagement und subversiven PR-Strategien.
Ulrike Timm: Für den besten Platz in der Buchhandlung muss man zahlen: Die Verlage müssen dafür zahlen, dass wir, die Kunden, über den Tisch mit den Bestsellern geradezu stolpern – große PR-Leistungen großer Verlage und großer Buchketten. Was machen da eigentlich die kleineren Verlage? Was macht der Verleger, der Gedichte publiziert und sperrig formulierte, aber wegweisende Literatur, oder aber ein Buch wie "Jugend in Neukölln"? Auch das frage ich jetzt Klaus Farin, den Leiter des Verlags Archiv der Jugendkulturen, der ganz eigene Konsequenzen daraus zieht. Schönen guten Tag, Herr Farin!

Klaus Farin: Guten Tag!

Timm: Spinnen wir mal: "Cool Aussehen" oder "Jugend in Neukölln", zwei Titel Ihres Verlages, direkt neben dem Stapel der Eragon-Reihe oder den neuesten Plaudereien zwischen Giovanni de Lorenzo und Helmut Schmidt – wäre das Ihr Verlegertraum vom Glück?

Farin: Verkaufstechnisch ja, weil dann würden sich die Kunden wahrscheinlich für das bessere Buch entscheiden.

Timm: Sind Sie sicher? So viel PR können Sie nicht machen.

Farin: Ach, na ja, das Problem ist ja nur, dass die Bücher überhaupt in den Buchhandel kommen und die Leser und Leserinnen die Möglichkeit haben, darin rumzublättern. Dann entscheiden viele ja, die jetzt nicht nur Bestseller sammeln wollen, durchaus schon, welches Buch gefällt mir, was ist ansprechend und so weiter. Aber das Problem ist ja, dass viele aus kleinen Verlagen gar nicht mehr im Buchhandel landen.

Timm: Wie ist denn überhaupt PR so wichtig geworden, welchen Stellenwert nimmt sie generell ein im Verlagswesen?

Farin: Es wird immer wichtiger, weil natürlich ... Bücher verkaufen sich heute nicht mehr selbst sozusagen, es gibt zu viele Bücher, und dadurch sind solche PR-Geschichten, Pressegespräche, Marketingaktionen immer bedeutender für kleine wie große Verlage, um überhaupt potenzielle Leser und Leserinnen darauf aufmerksam zu machen. Also selbst große Verlage dampfen inzwischen ihre Neuerscheinungen ein, produzieren weniger, um mehr Geld in den Bereich PR-Marketing zu stecken.

Timm: Was tun Sie denn als ganz kleiner Verlag, um dieses Prozedere, ja, so kunstvoll zu unterwandern, dass Sie auch was verkaufen?

Farin: Wir müssen das mit mehr Ausdauer und Kraft und Power sozusagen ausgleichen. Ich kann mir meine 60-Stunden-Woche sozusagen selbst einteilen. Wir müssen kleinteilige Werbung machen. Wir müssen im Internet präsent sein, wir machen viel, eine Facebook-Seite, alle die Sachen, die nichts kosten, weil wir eben die großen Flächen in Zeitungen und Illustrierten nicht kaufen können.

Timm: Internet, großes Thema für Sie, aber gehen Sie zu jedem Buchhändler persönlich und zeigen Ihre Bücher vor, oder wie muss ich mir das vorstellen?

Farin: In Berlin versuchen wir, möglichst viele Buchhandlungen auch persönlich zu besuchen, denen das vorzustellen, das ist ganz wichtig, weil letztendlich ja der einzelne Buchhändler und die einzelne Buchhändlerin entscheidet, welches Buch sie ankauft, wie es platziert wird, ob es einfach ins Regal gestellt wird oder zehn Stück hingelegt werden und so weiter. Wir versuchen es schon.

Timm: Und wie genau erhöhen Sie dann Ihre Chancen? Also eine Facebook-Seite wird, glaube ich, nicht reichen.

Farin: Also es ist immer wichtiger, dass über das Buch gesprochen wird, da kann Facebook ein Moment sein, das können Blogs sein, das können auch viele andere Foren sein, die es gibt. Vor allen Dingen, wir machen ja Jugendkultur und -literatur, es geht um Szenen, das heißt, in den Szenen muss darüber diskutiert werden, zum Beispiel zu "Cool Aussehen", ein Buch über Mode und Jugendkulturen – in den Modeblogs muss darüber diskutiert werden. Wenn in den Modeblogs viel und eifrig diskutiert wird, ist das wichtiger fast, muss man sagen, als eine Besprechung im Spiegel.

Timm: Es gibt ja auch so die Konzentration auf wenige Spitzentitel, und diese wenigen Spitzentitel sollen dann die große Masse anderer Titel mitziehen. Bei einem ganz großen Verlag funktioniert das wirtschaftlich unter Garantie. Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie einen Spitzentitel und Titel, die im Beiwasser mitlaufen mit Ihrem Programm, das sich ja auf Jugendkultur soziologisch auch bezieht, oder haben Sie da nur Spitzentitel oder wie machen Sie das?

Farin: Na ja, die Frage – von welchen Zahlen reden wir? Also wir drucken in der Regel ... wir fangen mit 1000, 1500, 2000 Exemplaren an, unsere Spitzentitel haben dann 15.000, 18.000, 20.000 Auflage. Das ist es schon. Wenn wir nur solche Titel hätten, könnten wir eigentlich gut davon leben, weil wir ja keine große Struktur zu finanzieren haben. Ein Großteil unserer Leute sind zum Beispiel ehrenamtlich tätig. Wir haben also nicht da zwei Dutzend Angestellte, eben über das Archiv der Jugendkulturen auch. Also es ginge schon. Man kann auch als kleiner Verlag durchaus von seinen Produktionen leben, aber man muss sehr, sehr viel mehr Energie reinstecken.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen, das, eben ein Archiv, Beiträge, Bücher und Platten der Jugendkultur sammelt und eben auch noch ein Sachbuchprogramm auflegt. Und dieser kleine Verlag soll jetzt verkauft werden. Ist das die Konsequenz aus dem Dilemma, über das wir gerade sprachen?

Farin: Eigentlich geht es darum, dass wir Gesellschafter brauchen, um uns zu professionalisieren. Das muss man heutzutage. Man muss eben wirklich auch Hauptamtliche haben, die Buchhandlungen aufsuchen und so weiter. Also um das alles zu professionalisieren, müssen wir Leute bezahlen können, und um das Geld dafür zu bekommen, suchen wir neue Gesellschafter, die also schlicht 5000 Euro investieren, das können sie auch noch von der Steuer abschreiben, und mit diesem Geld sozusagen, was nicht über den Buchhandel erst verdient werden muss, wollen wir zwei Stellen finanzieren im nächsten Jahr und sind sicher, wenn das gelingt, vier bis sechs weitere Gesellschafter zu finden, dass wir ab Oktober nächsten Jahres mit dem Verlag in den schwarzen Zahlen sind.

Timm: Das heißt, sozusagen ein genossenschaftliches Modell: Jeder, der Ihnen ein paar Tausend Euro gibt, dem gehört dann ein Krümel Verlag – oder wie muss man sich das vorstellen?

Farin: Es ist schon eine KG, also ganz traditionell, und wer eben diese 5000 Euro zahlt, ist Kommanditist, Gesellschafter, dem gehört dann ein Stück des Verlages, klar. Aber es ist eben nicht ein Verkauf. Also wir wollen nicht an einen Großkonzern verkaufen, weil die Erfahrung zeigt: Wenn ein kleiner Verlag zu einem Großkonzern geht, bleibt nach zwei Jahren von dem Profil des kleinen Verlages nichts mehr übrig.

Timm: Warum? Ich meine, Sie haben Bücher, die sind im weitesten Sinne wissenschaftlich, aus dem sozialpädagogischen Metier, dafür gibt es auch große Verlage, dafür gibt es auch erfolgreiche Verlage. Warum wollen Sie ausdrücklich nicht an einen Großen andocken und von dessen PR-Power, ja, ich sage jetzt bewusst PR-Power, mit profitieren, um dann auch mal neben "Shades of Grey" zu liegen?

Farin: Weil wir in erster Linie keine Bücher machen, um reich zu werden – hätte ich zwar auch nichts dagegen –, sondern weil wir ja bestimmte inhaltliche Wünsche und Ansprüche haben, weil wir decken ... Bestimmte Bereiche von Jugendkultur, von jugendlichen Freizeitwelten, von Subkultur, von Musik werden nicht bearbeitet. Bei einem großen Verlag haben wir nur die Chancen, die Themen dann zu bearbeiten irgendwann, die wirklich laufen.

Also als Autor habe ich ja auch bei großen Verlagen veröffentlicht und viel höhere Auflagen, und selbst da habe ich gemerkt, dass zum Beispiel ... Ich könnte jedes Jahr ein Buch über Neonazis veröffentlichen, aber zum Beispiel über Cosplayer oder Emos oder Gothics, also über Jugendkulturen, die nicht so spektakulär sind, die werde ich auch selbst bei meinen Auflagen bei großen Verlagen nicht los. Und wir wollen uns auch um die kümmern, die nicht so spektakulär sind und auch solchen Themen Foren geben, und das geht kontinuierlich nicht bei großen Verlagen.

Timm: Geben Sie uns doch mal ein Beispiel, ein konkretes Beispiel über ein Buch, wie das bei Ihnen im Kleinstverlag zum großen Teil mit ehrenamtlichen oder nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern geboren wird, so ein Buch.

Farin: Zum Teil überlegen wir uns selber Themen, oft kommen Rückmeldungen aus Szenen, zum Beispiel gerade haben wir sehr viel Rückmeldung von Ultras, also von diesen Fußballfans, die offenbar das Bedürfnis haben, dass mal ein Buch veröffentlicht wird, wo sie selber zu Wort kommen – alle Welt redet ja im Augenblick über Ultras.

Bei anderen Büchern ist es so, dass Ideen kommen, bei "Cool Aussehen", was gerade erschienen ist zum Beispiel, das ist im Prinzip von Diana Weis, die ist Dozentin an einer Hochschule und wollte das Thema bearbeiten, wir haben uns zusammengesetzt und überlegt: Wie können wir das Thema stemmen? Das ist ein sehr teures Buch, aufwändiges Buch, gut gestaltet, großformatig. Also haben wir eine Startnext-Campagne gestartet, das ist so ein Onlineforum, wo man Leute bewegen kann, Geld zu spenden, die bekommen dann zum Beispiel ein signiertes Buch als Dankeschön und so weiter.

So haben wir schon mal ein Viertel unserer Druckkosten drin, und das läuft jetzt auch ganz gut. Also wir haben noch keine Rezension in einem großen Magazin, aber schon in über zehn Blogs. Und da merken wir schon: Da kommen jeden Tag doch einige Dutzend Bestellungen rein. Also solche, ich sage mal, subversive Geschichten oder kleinteilige Geschichten können durchaus was bewirken.

Timm: Das Archiv der Jugendkulturen ist unter den kleinen Verlagen ein Kleinstverlag, darf ich, glaube ich, sagen. Ist es immer eine Mischung, ein Balanceakt zwischen Idealismus und Selbstausbeutung, was Sie da machen?

Farin: Ja, natürlich schon. Also ich selbst bekomme ja auch nichts für meine Arbeit dort, aber immerhin kann ich sagen, die Arbeit macht mir Spaß. Also insofern ist das durchaus eine andere Art von Belohnung, die man hat. Unsere Autoren werden natürlich genauso bezahlt wie bei allen anderen Verlagen auch, und der Drucker, und Layout und so weiter.

Timm: Wenn Sie denn auch in Zukunft ganz bewusst nicht neben "Shades of Grey" und "Eragon" stehen wollen im Laden – was ist denn Ihr tatsächlicher Verlegertraum vom Glück?

Farin: Oh, ich habe wirklich gar nichts dagegen, neben denen zu stehen, also ich denke, gute Literatur muss auch die Chance haben, sich durchzusetzen, und wir haben Titel, die sind in der Tat besser, glaube ich, als die beiden genannten. Was wir eigentlich nur wollen, ist eben, oder hoffen, dass eben wirklich Interessierte überall die Chance haben, unsere Titel eben wahrzunehmen, das heißt, dass Buchhändler wieder ein bisschen experimentierfreudiger werden, nicht eben sich hundert Exemplare eines Bestsellers hinlegen, sondern vielleicht zehn Exemplare von zehn Titeln, und damit auch wieder ihren Lesern und Leserinnen ein bisschen mehr zutrauen.

Timm: Und wie weit sind Sie mit Ihrem ganz speziellen Verkauf des Verlages mit diesen genossenschaftlichen Anteilen schon gediehen? Geben Sie uns doch mal eine Duftmarke.

Farin: Vier Kommanditisten hätte ich gerne noch bis Ende März, dann wären wir bis Ende kommenden Jahres voll ausfinanziert, was unsere Stellen angeht. Bis jetzt, mit den Leuten, die ich schon gewonnen habe, reicht das Geld leider nur noch für die Löhne und Honorare bis Ende März.

Timm: Klaus Farin vom Verlag Archiv der Jugendkulturen war das – wie man ohne Geld trotzdem Bücher macht. Vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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