Buchmessen-Gastland Rumänien

"Die junge Generation ist am Westen orientiert"

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Der Schriftsteller Norman Manea gehört zu den bekanntesten rumänischen Schrifstellern. © Foto: imago / gezett, Kombo: Deutschlandfunk Kultur
Norman Manea im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.03.2018
Die Literatur Rumäniens, dem Gastland der diesjährigen Leipziger Buchmesse, ist hierzulande wenig bekannt - von einigen Ausnahmen abgesehen. Eine dieser Ausnahmen ist der Schriftsteller Norman Manea. Mit ihm haben wir über die Situation der Literatur in Rumänien gesprochen.
Dieter Kassel: Mit der Verleihung des Preises für europäische Verständigung wird heute Abend die Leipziger Buchmesse eröffnet. Der Preis geht an eine schwedische Autorin, aber eigentlich stehen Autorinnen, Autoren und Bücher aus Rumänien im Mittelpunkt dieser Messe, Rumänien ist das offizielle Gastland.
Allerdings gibt es ja bisher kaum Schriftsteller aus Rumänien, die in Deutschland und überhaupt international bekannt sind. Wenn man in Deutschland fragt, dann fällt neben dem Namen Herta Müller vielleicht noch der Name Norman Manea, ein aus Rumänien stammender Schriftsteller, der seit einer ganzen Weile allerdings schon in den USA lebt, der sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird und von dem zuletzt der Essayband "Wir sind alle im Exil" erschienen ist.
Ich habe mich vor dieser Sendung mit Norman Manea unterhalten und habe ihn gefragt, was eigentlich seine Erklärung dafür ist, dass Literatur aus Rumänien international so wenig wahrgenommen wird.
Norman Manea: Wahrscheinlich, weil das Land nicht so bekannt ist. Ich habe nicht wirklich eine Erklärung, aber es war immer so, und es ist noch so. Die rumänische Literatur und auch die rumänischen Schriftsteller sind nach meiner Meinung sehr talentiert und sehr interessant, aber es hat nicht geklappt, man hat wenig übersetzt, das ist die Geschichte. Ich bin 1986 hier angekommen, und daher bin ich bekannter. In Deutschland wurde das erste Buch von mir ein Jahr danach übersetzt, das war 1987, und das heißt, ich bin ein bisschen bekannter.
Herta Müller schreibt auf Deutsch, und sie hat auch diesen großen Preis. Es ist also auf eine Weise normal. Ich glaube leider, es ist schade, dass man diese Literatur nicht kennt. Aber wahrscheinlich ist Rumänien nicht das einzige Land, das in dieser Situation ist. Die polnische Literatur, stelle ich mir vor, oder die ungarische, ist wahrscheinlich hier bekannter. Es ist spät, das zu korrigieren, aber wir sind hier, wir sprechen miteinander, und vielleicht wird das eine kleine Änderung bringen.

Christlich-orthodoxes Land mit lateinischen Sprachwurzeln

Kassel: Könnte es auch etwas damit zu tun haben, dass für viele Menschen gerade in Deutschland Rumänien kulturell ein bisschen schwer einzuordnen ist. Es ist ein Land mit einer romanischen Sprache, also mit einer Sprache, die auch vom Lateinischen aus entstanden ist. Es ist aber ein Land, das in einem Gebiet liegt in Europa, umgeben von Staaten, in denen ganz andere Sprachen gesprochen werden, slawische Sprachen, Griechisch…
Die rumänische Sprache, als gebildeter Mensch weiß man es, ist eine romanische. Und doch bringt man sie ja eigentlich nicht mit, sagen wir mal, Französisch oder Italienisch in Verbindung. Ist diese merkwürdige Zwischenlage des Landes vielleicht auch ein Grund?
Manea: Ja, es gibt auch eine ganz große Differenz: Rumänien ist ein Land mit einer Sprache, die ist lateinisch, wenigstens die alten Wurzeln. Aber es ist eine christlich-orthodoxe. Also hier gibt es eine Spaltung, und es ist eine grandiose und ganz wichtige und eine vielleicht auch sehr überraschende. Also ich stelle mir vor, dass das ein Grund sein kann.
Trotzdem, in Rumänien lebte eine große Minderheit, die Deutsch gesprochen hat. Ich bin aus einer Gegend, der Bukowina, die eine österreichische Gegend war für fast hundert Jahre – dasselbe in Siebenbürgen. Aber es ist, wie es ist, und wir sollen das annehmen als die Wirklichkeit. Ich bin überzeugt, dass Polen oder Ungarn hier besser bekannt sind, aber die Ukraine wahrscheinlich nicht oder Bulgarien.

Die neue Generation orientiert sich am Westen

Kassel: Sie haben selbst mal gesagt, es ist noch gar nicht so lange her, in einem Interview, dass die rumänische Sprache für Sie, der Sie jetzt schon so lange auch in den USA leben, immer noch Heimat ist. Sie schreiben ja auch in dieser Sprache. Aber ist die rumänische Sprache, ich stelle mir das so vor, heutzutage das moderne Rumänisch auch etwas sehr Internationales? Es gibt doch bestimmt sehr viele Einflüsse aus dem Russischen, dem Bulgarischen, dem Griechischen und anderen Sprachen.
Manea: Ja, und auch aus dem Französischen oder dem Italienischen. Ja, es ist eine moderne und eine heutige Sprache, aber sie ist doch verschieden von anderen Sprachen. Die Sache ist so: Auch wenn wir nicht Italienisch oder Französisch gelernt haben, können wir etwas von diesen Sprachen verstehen. Die Italiener oder die Franzosen können nur ein paar Worte verstehen, und danach sind sie verloren, weil es in der rumänischen Sprache eine Mischung gibt mit vielen anderen Sprachen der Nachbarschaft. Ich meine slawische, griechische, auch türkische Worte. Das macht den Hörer ganz konfus. Das ist vielleicht eine Erklärung.
Kassel: Gibt es eigentlich, soweit Sie das überhaupt beurteilen können, wenn Sie sich selbst mit der heutigen rumänischen Literatur beschäftigen, gibt es eigentlich diese eine rumänische Literatur, gibt es aktuell klare Tendenzen, oder gibt es da ganz viel?
Manea: Es sind sehr viele, und die Talente sind sehr unterschiedlich. Die neue Generation ist sehr am Westen geknappt, und die sind ähnlich wie die neue Generation überall, sind aber doch Rumänen, und sie haben diese exotische balkanische und östliche Erfahrung. Ich stelle mir vor, die sind auch für den Westen sehr interessant. Für mich sind sie es, und ich glaube, die rumänische Literatur war immer und ist auch heute sehr interessant und originell. In Rumänien war die Situation immer so, die Kultur war sehr kreativ und originell, und die Politik war furchtbar. Das war so, und ich glaube, es ist auch so.

"Es wird viel Literatur aus dem Ausland übersetzt"

Kassel: Ich hab das Gefühl, heute ganz aktuell, wenn – und wir sehen das in Deutschland ja im Fernsehen manchmal, wenn in Rumänien Menschen auf die Straße gehen, um gegen die heutigen politischen Verhältnisse zu demonstrieren, gegen Korruption und andere Dinge, da habe ich oft das Gefühl, dass auch Intellektuelle, dass auch Schriftsteller mit auf der Straße sind und da eine Rolle spielen bei diesen Protesten. Ist das so? Ist Literatur in Rumänien auch heutzutage eine oft politische Angelegenheit?
Manea: Nicht die ganze Literatur, aber die Schriftsteller und Intellektuellen sind engagiert, glaube ich. Und weil es jetzt doch ein freies Land ist, auch wenn es nur halb frei ist, doch demokratisch, und man kann sagen, was man will, und man erlaubt das mehr oder weniger …
Kassel: Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass sehr wenig aus dem Rumänischen in andere Sprachen übersetzt wird. Wie ist das umgekehrt? Werden Bücher aus Deutschland, vielleicht aber aus England, Amerika, Frankreich ins Rumänische viel übersetzt?
Manea: Sehr viel, besonders nach 1989, aber auch zuvor. Die Literatur aus dem Ausland wird viel übersetzt. Die französische, aber auch die deutsche, und in diesem letzten Jahrhundert auch die englische und amerikanische.

Rumänisch ist seine literarische Sprache geblieben

Kassel: Sie haben, wie erwähnt, einmal gesagt, die rumänische Sprache sei Ihre Heimat. Haben Sie über die Sprache hinaus eine Heimat? Würden Sie selbst sagen, inzwischen ist New York meine Heimat oder irgendein anderer Ort dieser Welt?
Manea: Ja, aber nie die Sprache. Als ich Rumänien verließ, war ich schon 50. Es ist nicht leicht mit 50, und jetzt bin ich schon 80, die Sprache und besonders die literarische Sprache zu verändern. Die rumänische Sprache ist meine literarische Sprache geblieben. Die rumänische Sprache war eine Sprache, die ich gelebt und geliebt habe, schon als ich ein Kind war. Also, es ist ein Unterschied hier. Und das ist mein Vaterland geblieben und meine wirklich echte Sprache für Literatur. Jetzt bin ich ein Amerikaner, der kein Amerikaner ist. Ich meine, ich habe die Staatsbürgerschaft, aber ich bin nicht dort geboren. Das Gute ist, dass Amerika ein Land von Exilanten ist. Und wenn man auf die Straße geht, sieht man dort den ganzen Planeten.
Kassel: Herr Manea, herzlichen Dank für Ihre Zeit, Danke für das Gespräche und alles Gute für Sie!
Manea: Für Sie auch, Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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