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Was für ein Theater!

Von Rolf Schneider |
Die Leipziger Buchmesse feiert das geschriebene Wort. Aber auch auch auf den Theaterbühnen werden immer häufiger Romane adaptiert und inszeniert. Der Autor Rolf Schneider hält das für opportunistisch.
Das Theater in Hannover spielt ein Stück mit dem Titel "Adams Äpfel". Bei dem Text handelt es sich nicht um die Originalarbeit eines Dramatikers, sondern um die szenische Adaption eines dänischen Spielfilms. In Frankfurt am Main spielt man die hauseigene Dramatisierung des Fellini-Films "La Strada". Die Dramatisierung des gleichfalls berühmten Hollywoodfilms "Die zwölf Geschworenen" wurde und wird gleich in mehreren Häusern gegeben. Selbst die alberne Filmkomödie "Der Schuh des Manitu" fand ihren Weg auf die Bühne.
Diese neueste Mode deutschsprachiger Staats- und Stadttheater folgt der schon etwas älteren Übung, erzählende Bücher auf die Schauspielbühne zu bringen. Der Ertrag ist – die Menge betreffend – inzwischen üppig.
Da gibt es gleich mehreren Dramatisierungen des Döblin-Romans "Berlin Alexanderplatz". Es gibt die mehreren Dramatisierungen von Thomas Manns Roman "Buddenbrooks". Rekordhalter bei Adaptionen ist der Intendant und Regisseur Frank Castorf. Er hat fast sämtliche Romane von Fjodor Dostojewski dramatisiert, dazu zwei Romane von Louis-Ferdinand Céline, dazu Pitigrillis "Kokain", dazu Michail Bulgakows "Der Meister und Margerita", dazu Franz Kafkas "Amerika", dazu Michel Houllebecqs "Elementarteilchen", dazu Jeremias Gotthelfs "Die schwarze Spinne" und Friedrich von Gagerns "Der Marterpfahl".
Andersorts spielt man eine Dramatisierung der Romantetralogie "Joseph und seine Brüder". Was aber bleibt, wenn man diese Fabel ihres üppigen narratorischen Beiwerks entkleidet und mehr als 1300 Seiten in ein paar Stunden presst? Es bleibt die bekannte Geschichte aus dem Pentateuch, die längst schon dramatisiert worden ist, so von Nâzım Hikmet. Aber den spielt man nicht.
Es gibt eine deutsche Dramatisierung von Ernest Hemingways Erzählung "Der alte Mann und das Meer". Die handelt von einem betagten Fischer, der auf hoher See den größten Fang seines Lebens macht und ihn erfolglos gegen Haie verteidigt. Ich versuche mir vorzustellen, wie dies alles auf einer Schauspielbühne vorgezeigt wird.
Dialoge werden vernuschelt
Gewiss, das Dramatisieren von Erzählbüchern hat es auch früher und anderswo schon gegeben. "Gefährliche Liebschaften" von Choderlos des Laclos erfuhren gleich mehrere Theaterfassungen, doch dieser Stoff ist thematisch ein Solitär. Thomas Manns "Buddenbrooks" erzählt vom Untergang einer Großbürgerfamilie. Genau dies ist das Thema in Stücken von Henrik Ibsen, Maxim Gorki, Arthur Schnitzler, Eugene O'Neill und vielen anderen. Die Auswahl ist also groß. Man verzichtet auf sie. Man dramatisiert lieber Thomas Manns "Buddenbrooks".
Warum aber geschieht dergleichen? Erst einmal folgt man einer Mischung aus Mode und Opportunismus. Man tut, was andere tun, was alle tun, man ist doch nicht altfränkisch. Ein weiteres Motiv sind Publizitätsgier und Feigheit. Die Uraufführung völlig neuer Stücke stiftet überregionale Beachtung, doch ist sie mit dem Risiko des Scheiterns belastet. Die Uraufführung eines dramatisierten Romans oder Films minimiert das Risiko.
Entscheidend jedoch sind Misstrauen und Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Branche. Die zeigt sich auch sonst. In Klassikerinszenierungen an deutschen Spitzenhäusern werden Verse kaum noch artikuliert und Prosadialoge manchmal bis zur Unverständlichkeit vernuschelt. Schauspieler verlernen das Sprechen. Historische Stoffe kommen in zeitgenössischem Gewand, entstehende Anachronismen werden ignoriert oder mit verwackelten Videos überspielt. Es geht bloß noch um Performance. Der Anlass wird da gleichgültig, er kann gut und gerne ein Film oder Roman sein.
Irgendwann sollte man all dessen müde werden. Aufseufzend sei's gesagt: Wir warten schon ziemlich lange darauf.
Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Schneider, Rolf
Schneider, Rolf© picture alliance / dpa