Buch über Frauen in der DEFA

Regisseurinnen in der DDR "kamen viel seltener zum Zuge"

08:40 Minuten
Iris Gunser gestikuliert während Jaecki Schwarz ihr zuhört. Hinter den beiden steht ein alter LKW.
Regisseurin Iris Gunser und Jaecki Schwarz bei Dreharbeiten: Interessante Filme über die "kleinste Zelle der Gesellschaft". © DEFA-Stiftung, Christa Köfer
Ralf Schenk im Gespräch mit Timo Grampes · 01.04.2019
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Ralf Schenk und Cornelia Klauß haben ein Buch über 63 DEFA-Regisseurinnen herausgegeben. Im Prinzip hätten sie die gleichen Schwierigkeiten wie die männlichen Kollegen in der DDR gehabt, sagt Schenk - aber nicht die gleichen Chancen.
Timo Grampes: Welche Rolle Frauen im DDR-Film gespielt haben, darüber sprechen wir jetzt, bezeichnenderweise mit einem Mann, Ralf Schenk nämlich, Leiter der DEFA-Stiftung und Herausgeber des Buches "Sie – Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme". Zwei wichtige Fakten vielleicht noch dazu: Ihre Mitherausgeberin, die sonst mit dabei gewesen wäre, ist jetzt krank, Cornelia Klauß. Und dann ein bemerkenswertes Zitat von ihr, wie ich finde, das da lautet: "Männer haben die besseren Frauenfilme gedreht in der DDR." Klingt ja erst mal überraschend. Wie sehen Sie das?
Schenk: Ja, die Männer haben die besseren Frauenfilme gedreht in der DDR – das mag auf die Spielfilme vielleicht ein bisschen zutreffen, denn es gab von Anfang an eine ganze Reihe von DEFA-Spielfilmen von bekannten, berühmten Regisseuren: Konrad Wolf, Frank Beyer, Lothar Warneke, Roland Gräf, die alle Frauengestalten in den Mittelpunkt gerückt hatten. Diese Filme waren aber meistens von Drehbuchautorinnen geschrieben und sie wurden auch meistens von Dramaturginnen der DEFA betreut. Also insofern kann man den Frauenanteil an diesen Filmen schon als sehr, sehr hoch einschätzen.

Frauen von Anfang an in den DEFA-Studios

Grampes: Auf jeden Fall deutlich messbar. Was haben denn Frauen für Frauenfilme gedreht in der DDR? Ganz andere als Männer?
Schenk: Das kann man gar nicht so auf einen Nenner bringen, Frauen waren in allen Studios der DEFA vertreten als Regisseurinnen, sie waren im Trickfilmstudio seit 1955, seit der Gründung; sie waren im Spielfilmstudio ein bisschen später, vor allem seit den sechziger Jahren; und im Dokumentarfilmstudio waren sie von Anfang an da, und sie haben eigentlich alles Mögliche gedreht.
Grampes: Jetzt sind ja auch die Filmbeispiele, die wir gehört haben, schon sehr unterschiedlich gewesen. Ich habe mal auf so eine Liste geguckt von Filmtiteln. Also Beziehungskisten tauchten aber schon mal öfter auf.
Schenk: Beziehungskisten tauchten öfter auf, vor allem im Spielfilm natürlich. Es gab eine ganze Reihe von Regisseurinnen, die sich eben genau auf diese "kleinste Zelle der Gesellschaft", wie das hieß, auf die Familie konzentriert haben und dort nach Ehegeschichten, nach Scheidungsgeschichten, nach solchen Sachen gesucht haben und ziemlich interessante Filme auch gedreht haben, Evelyn Schmidt und Iris Gusner sind ja durch die Filmbeispiele schon genannt worden.

Die Figur der starken, unabhängigen Frau

Grampes: Welche Frauenfiguren tauchen im DDR-Film denn bezeichnenderweise auf?
Schenk: Auch das kann man ganz schwer auf einen Nenner bringen: Es gibt Frauenfiguren von Mädchen, Schulmädchen, die zum Beispiel bei "Winter adé" auftauchen, von Helke Misselwitz gedreht 1988 im Dokfilmstudio. Dort gibt es natürlich nicht nur Schulmädchen, dort gibt es auch andere Frauen: Arbeiterinnen vor allem. Arbeiterinnen sind überhaupt die großen Frauenfiguren der DEFA-Geschichte gewesen, es gibt auch Intellektuelle, es gibt alles Mögliche. Es geht bis hin zu Hexen, die dann von Frauen wie Katharina Thalbach und anderen Schauspielerinnen, die heute noch sehr bekannt sind, gespielt worden sind.
Grampes: Aber welche Rolle spielt die starke Frau? Die starke, unabhängige Frau ist ja in der DDR doch ein gängiges Bild gewesen, das nach außen gerne abgegeben wurde, und das ist ja auch tatsächlich was mit der Realität zu tun. Aber wie taucht das im Film auf?
Schenk: Starke, unabhängige Frauen tauchen im Film immer als Gesprächspartnerinnen, aber auch als Widerpart von Männern auf. Es gibt eine ganze Reihe von Spielfilmen, in denen – übrigens nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern gemacht –, in denen diese Frauen also sehr widerständig gegenüber der Gesellschaft reagieren. Sie gucken genauer hin, was die Gesellschaft an Fehlstellen hat, wo Engstellen sind in dieser Gesellschaft - und reagieren dann auf eine Art und Weise, wie es Männern im DEFA-Film, im DEFA-Spielfilm vor allem, nicht zugestanden worden ist, nämlich mit sehr viel Mut, mit sehr viel Kraft und mit sehr viel Widerspruchsgeist. Das gab es bei den Männerfiguren natürlich auch, aber nicht so oft.

Genauso frei wie die Regisseure

Grampes: Wie frei konnten denn Frauen im Film arbeiten?
Schenk: Ich würde sagen, genauso frei wie Männer, genauso frei wie Regisseure. Allerdings kamen sie viel seltener und viel später zum Zuge, vor allem im Spielfilm. Frauen waren in den DEFA-Studios eingebunden in die ganz normalen Strukturen dieses Studios, sie mussten, genau wie die Männer auch, ihre Stoffe entwickeln, sie mussten sie vorlegen, sie mussten sie dann letzten Ende auch durch die Zensur bringen. Sie hatten damit zum Teil größere Schwierigkeiten als die bekannteren Regisseure – aber die gleichen Schwierigkeiten wie gleichaltrige Regisseure. Gerade in der letzten Generation der DEFA ist das deutlich zu sehen, dass Männer genau die gleichen Kämpfe wie ihre weiblichen Regiekolleginnen durchstehen mussten. Also sie waren eingebunden in ein System und mussten sich in diesem System beweisen.
Grampes: Sie mussten sich beweisen, sie hatten etwas mehr Spielraum teilweise als Filmfiguren. Für Ihr Buch gab es ja viele Interviews mit Frauen aus der DEFA-Zeit, die da mitgewirkt haben in Filmen. Wie gucken die heute auf damals?
Schenk: Das ist auch ganz unterschiedlich. Manche gucken natürlich etwas nostalgisch auf die Zeit von damals. Das hat auch einen ganz einfachen Grund: Wir haben insgesamt 63 Regisseurinnen porträtiert in diesem Buch, davon leben heute noch ungefähr 30 und wir haben mit fast allen von ihnen Interviews geführt für dieses Buch. Oft waren wir übrigens die ersten, die sie nach ihrem Leben gefragt haben.

Oft Karriereende nach dem Mauerfall

Grampes: Wie ist das zu erklären?
Schenk: Das ist so zu erklären, dass sich in den vergangenen 30 Jahren kaum jemand für diese Regisseurinnen der DEFA interessiert hat, sondern eben immer die großen Männerfiguren, Konrad Wolf, Frank Beyer, ich nannte die Namen schon, in den Mittelpunkt gerückt wurden, auch in den Mittelpunkt der Filmgeschichtsschreibung. Und dass diese Frauen eben gerade hier nicht so die Rolle spielten. Und es hängt noch mit was anderem zusammen: Viele dieser Frauen haben ihre Arbeit mit dem Ende der DEFA-Studios auch beenden müssen. Es gab ganz wenige, die es tatsächlich geschafft haben, nach 1990 noch Fuß zu fassen in der gesamtdeutschen Filmlandschaft. Und natürlich ist es klar, dass diese älteren Frauen heute sehr, sehr – nostalgisch ist das falsche – Wort, aber mit sehr viel Gefühl und sehr viel auch Spaß zum Teil auf ihre DEFA-Zeit zurückblicken und diese Jahre als die besten Jahre ihres Lebens empfinden.
Grampes: Hätten Sie abschließend noch eine Filmempfehlung, auch wenn es schwer fällt, sich zu entscheiden, aus den zahlreichen Spielfilmen, die Sie gesichtet haben?
Schenk: Das fällt mir wirklich unheimlich schwer. Ich fange mal an mit einem der ersten Dokumentarfilme an, die bei der DEFA von Frauen gedreht worden sind, Drehbuchautorin und Regisseurin Marion Keller und Ella Ensink: Der Film heißt "Unsere Frauen im neuen Leben", 1950, und er zeigt, wie in der Volkskammer der DDR 1950 eben dieses Gesetz über die Gleichstellung der Frauen behandelt wurde und wie in den Großbetrieben und in der Landwirtschaft der DDR die Frauen – langsam aber doch sehr deutlich und sicher – die Männerberufe in Besitz nehmen. 25 Minuten lang ungefähr, ein ziemlich spannender und toller, alter Schwarz-Weiß-Dokumentarfilm von 1950.
Grampes: Und heute Abend wird es in Berlin Filme zu sehen geben von DEFA-Regisseurinnen im Kino Arsenal. Wer nicht da sein kann, der kann ja auch auf die Buchform zurückgreifen. "Sie – Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme"
Schenk: Ich danke auch und will noch ganz kurz hinzufügen, dass 18 Filme auf zwei DVDs in dem Buch auch enthalten sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Sie: Regisseurinnen der DEFA
Hrsg. von Cornelia Klauß und Ralf Schenk
Bertz und Fischer, 2019
416 Seiten, 29

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